"Kylian kam extra, um mir als Erster in der Kabine zu gratulieren", sagte Jonathan Ikone Anfang September 2019, nachdem er sein Debüt für die französische Nationalmannschaft gegeben hatte. 14 Minuten durfte der Youngster des OSC Lille damals gegen Albanien mitwirken, krönte seinen ersten Einsatz für die A-Auswahl gleich mit einem Tor.
Zur großen Freude Kylian Mbappes, der verletzungsbedingt ausgefallen war: "Vor allen anderen hat er angefangen zu weinen und ich glaube, er war wirklich glücklich", schilderte Ikone den emotionalen Moment.
Was hatte Mbappe dazu veranlasst, derart emotional auf das Debüt seines Landsmannes zu reagieren? Die Antwort gab ein anschließendes Foto der beiden auf Instagram, das mit den Worten "Made in Bondy" garniert war.
Ikone und Mbappe sind seit Kindesbeinen befreundet, wurden beide im tristen Pariser Vorort Bondy geboren, wuchsen ebenda auf und gingen zwischenzeitlich sogar in dieselbe Schulklasse. Beide einte die unbändige Begeisterung für den Fußball, beide einte das unglaubliche Talent.
Mbappe und Ikone: Das gefürchtete Duo aus Bondy
Gemeinsam spielten sie für den hiesigen Klub AS Bondy, bildeten auf den Vorort-Plätzen ein gefürchtetes Duo. Im Interview mit France Football erinnerte sich der erste Jugendcoach Tonio Riccardi: "Wir hatten Kylian auf dem linken Flügel und Jonathan auf dem rechten. So konnten beide nach innen ziehen und mit ihrem starken Fuß abschließen. Das war außergewöhnlich."
Während sie im Verein zusammenkickten, wurden sie im Schulsport aufgrund ihrer Qualitäten stets getrennt: "Unserer Lehrer ließen uns nie in einem Team spielen", sagte Ikone einmal.
Seinerzeit sei Ikone, der ein halbes Jahr vor Mbappe das Licht der Welt erblickte, sogar der verheißungsvollere Spieler gewesen. Jugendfreund Luigi Palma verriet bei RMC Sport: "Wir sagten meistens, dass Jonathan der Besere ist. Wenn wir im Sportzentrum Turniere hatten, war er wie Messi! Es sah aus, als würde er gegen Slalomstangen spielen."
"In athletischer Hinsicht war Jonathan weiter als Kylian"
Mbappes Vater Wilfried, der seinen Sohn und Ikone bei der AS Bondy trainierte, sagte in einem Gespräch mit France Football einst: "In athletischer Hinsicht war Jonathan weiter als Kylian."
Im Alter von zwölf Jahren zog es Ikone zum Spitzenklub PSG, Mbappe blieb drei weitere Jahre bei Bondy und heuerte im Anschluss bei der AS Monaco an - erst 2016, sechs Jahre nachdem sich die Wege getrennt hatten, standen die beiden wieder zusammen auf dem Platz, verloren mit der U19 der Equipe Tricolore mit 0:2 gegen Spanien. Es blieb der bis dato letzte gemeinsame Auftritt.
Seit vergangenem Wochenende eint die Kumpels nicht bloß die Heimatstadt oder die Tatsache, es in die A-Nationalmannschaft geschafft zu haben. Ikone, seit 2018 in Diensten des OSC Lille, darf sich mittlerweile - wie Mbappe - französischer Meister nennen. 37-Mal kam der 23-Jährige in der frisch abgelaufenen Saison in der Liga zum Einsatz und steuerte vier Tore sowie fünf Vorlagen zum Ligue-1-Coup der Doggen bei.
Droht Lille das gleiche Schicksal wie der AS Monaco?
Lille, dem Underdog-Meister, könnte nun ein ähnliches Schicksal drohen wie der AS Monaco im Jahr 2017, die nach ihrem Triumph von einer Abwanderungswelle heimgesucht wurde. Etliche Leistungsträger verließen den Klub aus dem Fürstentum, auch Shootingstar Mbappe kehrte den Monegassen den Rücken, wechselte zu PSG.
Auch im Falle Lilles sind einige Akteure in den Fokus größerer Vereine gerückt, Ikone hat France Football zufolge Begehrlichkeiten bei Borussia Dortmund geweckt. Laut Bild-Zeitung soll Neu-Trainer Marco Rose sich für eine Verpflichtung des Offensivspezialisten starkmachen. Als mögliche Ablöse für Ikone, dessen Vertrag bei den Nordfranzosen noch bis 2023 gültig ist, nennt das Blatt rund 25 Millionen Euro.
Ikone als möglicher Sancho-Nachfolger beim BVB
Demnach habe der BVB Ikone als möglichen Nachfolger für Jadon Sancho auserkoren, den es im Sommer nach England ziehen könnte. Dabei ist das Gerücht, Dortmund habe ein Auge auf Ikone geworfen, nicht neu.
"Es ist nicht das erste Mal, dass Ikone mit einem Wechsel zum BVB in Verbindung gebracht wird", sagt Olivier Fosseux, der den OSC für die in Lille ansässige Zeitung La Voix du Nord begleitet, im Gespräch mit SPOX und Goal. Er ergänzt: "Sollte es zu einem Transfer kommen, müsste Lille jedoch einen beträchtlichen Anteil an Ikones Ex-Klub PSG zahlen." Die Weiterverkaufsklausel soll bei 40 Prozent liegen.
Journalist Fosseux beschreibt Ikone als technisch versierten, flinken Freigeist, der sowohl auf den Außenbahnen als auch im Zentrum hinter der Spitze eingesetzt werden kann. "Er ist sehr, sehr schnell und kann eine Defensive mit seinen Dribblings aushebeln. Er ist in der Lage, seine Mitspieler entscheidend in Szene zu setzen, zudem hat er enorme Fortschritte im Pressing gemacht und verfügt über ein starkes Mindset."
Vor des Gegners Tor habe Ikone noch Luft nach oben, er sei manchmal etwas zu überhastet beim Abschluss, im Kopfballspiel ziehe er aufgrund seiner Größe von 1,75 Meter darüber hinaus zumeist den Kürzeren.
"Unter Meistertrainer Christophe Galtier lief er zumeist Rechtsaußen oder als 'freier Mann' hinter der Spitze auf. Auf dieser Position, auf der er mehr Freiheiten hat, gefällt er mir noch besser als auf den Außen. Seine Qualitäten im Dribbling kommen noch besser zur Geltung, weil er auf den Flügeln manchmal dazu neigt, etwas eigensinnig zu handeln", erklärt Fosseux.
BVB ließ Ikone offenbar scouten, aber ...
Ob Ikone seine Qualitäten in der kommenden Spielzeit beim BVB unter Beweis stellen wird, ist derzeit aber noch völlig offen. Die Ruhrnachrichten berichten, dass die Borussia den Nationalspieler zwar eingehend gescoutet habe, Ikone aber nicht zum engeren Kandidatenkreis auf die mögliche Sancho-Nachfolge zähle.
Bis Ikone sich mit einem neuen Arbeitgeber beschäftigen darf, könnte es ohnehin noch ein paar Tage dauern. Zunächst einmal gilt es, mit der französischen U21-Nationalmannschaft bei der EM-K.o-Runde in Ungarn und Slowenien zu bestehen, in der die Mannschaft am Montag im Viertelfinale auf die Niederlande trifft.
Ikone muss sich allerdings nicht nur bezüglich der Klärung seiner Zukunft gedulden - auch ein gemeinsamer Auftritt mit Kumpel Mbappe wird in diesem Sommer nicht zustande kommen. Während Ikone mit der Nachwuchsauswahl auf den "kleinen" EM-Titel hofft, soll Superstar Mbappe die A-Auswahl auf den europäischen Olymp führen.