Kommentar zum Abstieg von Werder Bremen: Niedergang mit zehn Jahren Anlauf

Von Stefan Rommel
Werder Bremen verabschiedet sich nach 41 Jahren aus der Bundesliga.
© imago images

Werder steigt nach 41 Jahren aus der Bundesliga ab. Das böse Ende nahm einen langen Anlauf, ist nach einer beispiellosen Reihe an Fehlentscheidungen und Klüngelei aber nur logisch. Der Verein hat sich beim zwanghaften Versuch, an einem Bremer Weg festzuhalten, fast selbst abgeschafft. Ein Kommentar.

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Der erste Bremer Abstieg nach 41 Jahren kann niemanden mehr überraschen. Nicht nach diesen letzten Wochen, letzten Monaten, letzten Jahren. Denn das, was am Samstag nach dem 2:4 gegen Borussia Mönchengladbach zur Gewissheit wurde, ist der vorläufige Tiefpunkt einer Dekade des Niedergangs und zahlloser Fehler, die dieses eine Mal kein Last-Minute-Tor und keine Relegation mehr kaschieren konnte. Die strategischen Verfehlungen waren am Ende einfach zu gravierend.

Werder hat zu schnell zu viel gewollt, aus einem potenziellen Abstiegskandidaten sollte in ein, zwei Jahren ein ernsthafter Mitstreiter im Kampf um den internationalen Wettbewerb werden. Das kann schon mal funktionieren, aber nicht mit Werders Vorgeschichte.

Der Absturz begann wie so oft in den fetten Jahren. Die letzten Spielzeiten unter Thomas Schaaf läuteten den Niedergang ein, aber in Bremen wollten das die meisten nicht sehen. Oder nicht wahrhaben. Mit jeder Saison verstärkte sich der personelle Aderlass, aus einem Champions-League-Kader wurde der einer voller grauer Mäuse. Das kurze Intermezzo mit den externen Helfern Robin Dutt und Thomas Eichin wurde schnell wieder beendet, Werder jagte lieber einem Phantom hinterher.

Die erfolgreichen Epochen mit Otto Rehhagel und Thomas Schaaf sollten eine Renaissance erfahren, dafür stellten verdiente Werderaner nur noch Personal zur Verfügung, das ebenfalls eine Bremer Vergangenheit hatte. Marco Bode hievte Frank Baumann ins Amt, der versuchte es nacheinander mit Viktor Skripnik, Alexander Nouri und Florian Kohfeldt. Clemens Fritz darf mittlerweile die Scoutingabteilung führen. Hilfe von außen wurde nur noch in absoluten Ausnahmefällen und für Aufgaben in der Peripherie geholt. Die großen Entscheidungen fielen ausschließlich unter den Mitgliedern der Werder-Familie. Oder im Werder-Klüngel, je nach Betrachtungsweise.

Die Werder-Trainer seit 2000:

ZeitraumTrainerSpielePunkte pro Spiel
1999 - 2013Thomas Schaaf6441,65
2013Wolfgang Rolff10,00
2013 - 2014Robin Dutt451,02
2014 - 2016Viktor Skripnik701,31
2016 - 2017Alexander Nouri431,30
2017 - 2021Florian Kohfeldt1431,34
2021Thomas Schaaf10

Werder Bremen: Personalwechsel allein reichen nicht

Die absurde Annahme, das sich beim nächsten Versuch schon der neue Otto oder Thomas finden lasse und vielleicht, also eventuell, womöglich, ja mit Frank Baumann ein neuer Klaus Allofs herauskristallisiert, hat mit einigen Jahren Anlauf ins sportliche Verderben geführt. Wie extrem die wirtschaftlichen Folgen für Werder sein werden, ist noch gar nicht abzusehen. Vom aktuellen Kader wird nicht mehr viel übrig bleiben und eigentlich ist das wohl auch ganz gut so. Ein neuer Trainer muss ohnehin her und auch wenn Baumann weitermachen und sich nicht "aus der Verantwortung stehlen" will: Nach dem Desaster der letzten Jahre mit gleich vier verpfuschten Transferperioden am Stück hat er nicht viele Argumente auf seiner Seite.

Nun aber zu glauben, dass ein paar Personalwechsel allein schon reichen könnten, ist ein Trugschluss. Werder muss sich im Klaren sein, dass jeder einzelne der 34 Spieltage in der zweiten Liga die reinste Hölle werden kann. Werders Abstieg ist nicht der viel zitierte Betriebsunfall, den man im Vorbeigehen repariert. Damit haben sich schon Klubs schwergetan, denen das Wasser nicht so zum Hals stand wie den Bremern. Frag nach beim HSV...

Der Blick kann aber auch nach Berlin gehen und nach Stuttgart, nach Bochum, Kaiserslautern, Hannover und zum TSV 1860. Einige dieser Klubs sind wieder in der Bundesliga, andere haben fast ein Jahrzehnt in der zweiten Liga verbracht, Lautern krebst in der dritten Liga, Sechzig spielte zwischenzeitlich gegen Schalding-Heining und den FC Pipinsried. Hansa Rostock schaffte ein paar Stunden vor Werders Abstieg nach neun Jahren den Aufstieg - in die zweite Liga.

Werder muss sich im Klaren darüber sein, wie eng der Grat zwischen einem langfristigen Neuaufbau und dem dringend notwendigen sofortigen Wiederaufstieg ist. Oft genug hat Werder zuletzt den zweiten, dritten und vierten Schritt vor dem ersten getan und hat dafür nun die Quittung bekommen. Werder benötigt jetzt eine gute Zweitligamannschaft mit einem guten Zweitligatrainer und womöglich auch einen Sportchef, der diese Liga kennt.

Werder Bremen: Darf keine Tabus mehr geben

"Ein ‚Weiter so' wird es nicht geben", hieß es im letzten Sommer nach dem Nahtod der Relegation und einer Saisonanalyse, die offenbar voll ins Leere lief. Es wurde viel geredet, aber wenig geschafft. Eine ungünstige Konstellation, die sich der Klub nun endlich auch mal eingestehen und die ganz großen Fragen klären muss.

Jene nach einer Vereinskultur, die vom klaren Leistungsgedanken geprägt ist - und nicht von einer Utopie. Wie will Werder in den kommenden Jahren im Profifußball bestehen als wirtschaftsschwacher Standort und ohne eine überdurchschnittlich gute Scoutingabteilung? Ist der Verzicht auf externe Experten und auch Investoren noch zeitgemäß oder nurmehr eine ausgewachsene Bremer Hybris? Wer gräbt sich durch den finanziellen Schutt, der den Klub an den Rand des Ruins treibt und räumt da auf?

In den Debatten darf es jetzt keine Tabus mehr geben. Werder hatte genug Chancen, sich Alternativen zu überlegen, mehr als diesen einen Plan zu entwickeln. Der Klub hat sie alle fahrlässig liegen lassen und sich beim zwanghaften Versuch, an einem Bremer Weg festzuhalten, fast selbst abgeschafft. So endete das, was vor zehn Jahren mit Thomas Schaaf begann, nun - eher zufällig - auch wieder mit Thomas Schaaf. Einmal rum im Kreis - und ab in die zweite Liga.