Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Polter über seinen "schlimmsten Moment überhaupt", seinen Abschied von Union Berlin und das Ziel, den Verbleib mit dem VfL Bochum in der Bundesliga auch in der nächsten Saison zu schaffen. Diesen hatte sich Bochum am vergangenen Samstag beim 4:3-Sieg gegen den BVB, bei dem Polter zum 1:0 traf, gesichert.
Herr Polter, Sie sind seit mehr als zehn Jahren Profi-Fußballer: Was ist das Wichtigste an Ihrem Beruf?
Sebastian Polter: Ich habe den schönsten Beruf überhaupt, das ist mein absoluter Traumjob. Ich habe immer noch die Leidenschaft und den Stolz, jeden Tag zum Training fahren zu dürfen, den ich schon als Kind oder dann als Jugendlicher hatte. Das ist sehr wichtig für mich. Ich habe aber auch einen sehr speziellen Beruf mit allerhand Risiken - gerade gesundheitlicher Art - und auch einigen Entbehrungen. Das Wichtigste ist, dass meine Familie meinen Job so akzeptiert, wie er ist. Dass sie ihn zu schätzen weiß und damit lebt.
Die Angst vor der nächsten großen Verletzung spielt eine eher untergeordnete Rolle?
Polter: Ich hatte zu Beginn meiner Karriere relativ viele Verletzungen: Je einen Mittelfußbruch rechts und links und zwei Schulterluxationen. Und das innerhalb der ersten beiden Jahre. Damals hieß es, das wären Ermüdungsbrüche und die Frage stand im Raum, wie gut ich den Sprung von der Jugend in den Herrenbereich verkraften könnte.
Hatten Sie Zweifel?
Polter: Ich musste mich schon fragen, ob ich hier überhaupt richtig bin und ob ich das - rein körperlich - alles so packen kann. Das hat sich dann aber nach der zweiten Schulterverletzung auf einmal erledigt und ich war rund sechs Jahre ohne weitere größere Verletzung.
Polter: Das war "der schlimmste Moment überhaupt"
Bis dann die Achillessehne riss.
Polter: Das kam total aus dem Nichts. Ich war Profi in der Bundesliga und in der 2. Liga, dann auch in England und es lief ziemlich gut. Ich war voll in Tritt, meine Karriere hatte richtig Fahrt aufgenommen. Und dann das: Der schlimmste Moment überhaupt.
Hatten Sie Bedenken, ob Sie die Rückkehr noch einmal schaffen?
Polter: Ich habe mit der Zeit gelernt, mental auch dann stark zu bleiben, wenn es nicht so läuft. Das hat mir da schon sehr geholfen. Und es hat mich letztlich auch zu dem Spieler gemacht, der ich jetzt sein kann: Mit rund 100 Bundesligaspielen und auch ein paar Toren auf der Uhr. Und ich bin noch nie abgestiegen, das ist mir tatsächlich auch sehr wichtig.
Der Achillessehnenriss fiel in die Zeit beim FC Union, in Berlin ging es nach der Verletzung erstmal nur noch bergauf.
Polter: Ich bin nach der Reha schnell wieder reingekommen und wir sind durchgestartet. Es gibt als Fußballer nichts Schöneres, als mit seiner Mannschaft aufzusteigen. Das haben wir geschafft und quasi als "Krönung" danach auch den Klassenerhalt gepackt.
War die Entscheidung, nach dem Kapitel Union dann nochmal ins Ausland zu gehen, eine bewusste oder in Ermangelung an Angeboten eher erzwungen?
Polter: Ich hatte auch noch andere Angebote, wollte aber bewusst ein wenig weg vom Radar des deutschen Fußballs. Ich wollte mich auch ohne mediale Störgeräusche voll auf mich selbst und meine eigene Leistung konzentrieren. Ich bin mit der vollen Überzeugung nach Sittard gewechselt, dass ich dort in der Mannschaft wichtig sein kann. Ich hatte das Gefühl, dass ich dort gebraucht werde. Für mich ist es einfach unheimlich wichtig, diese Wertschätzung zu erfahren. Dann kann ich einer Mannschaft helfen - denn von meinen Fähigkeiten bin ich absolut überzeugt.
Die Ausgangslage bei Ihrem Wechsel im Sommer 2020 war aber schwierig: Wegen Corona hatten viele Klubs teilweise massive finanzielle Probleme, niemand wusste genau, wie es weitergehen würde. Für einen Spieler auf Klubsuche keine ganz einfache Situation.
Polter: Bundesliga-Rückkehr "fast wie aus dem Bilderbuch"
Polter: Das ist korrekt. Die Klubs standen nicht gerade Schlange, die meisten haben sich bei Transfers sehr bedeckt gehalten. Keiner wusste so genau, wohin uns die Pandemie noch bringen wird. Mein Vorteil war vielleicht, dass ich ablösefrei zu haben war und ein vergleichsweise großes Spektrum an Erfahrung mitbrachte. Es gab jedenfalls noch andere lukrative Angebote, sowohl finanziell als auch perspektivisch. Aber ich wollte tatsächlich ins Ausland gehen und Sittard war eine perfekte Lösung.
Also kein vermeintlicher Rückschritt?
Polter: Das genaue Gegenteil. In Sittard konnte ich jene Rolle in der Mannschaft und im Klub einnehmen, die mit mir im Vorfeld besprochen wurde. Mit allem, was dazu gehörte: Mit der Rolle des Klubs in der Liga, mit Corona und den fehlenden Zuschauern. Ich habe nicht ein Spiel in Holland vor einer größeren Kulisse gespielt.
Dann kam im letzten Sommer ein Angebot aus Bochum.
Polter: Dass ich so wieder in die Bundesliga zurückkehren konnte, war fast wie aus dem Bilderbuch. So hatte ich mir das gewünscht: Mit einem Traditionsverein wieder in der Bundesliga zu spielen. Der VfL Bochum und ich: Das sind Topf und Deckel.