Hertha-Boss Fredi Bobic im Interview: "Ich habe den Schlüssel in den Decoder gesteckt und NFL geschaut"

Florian Regelmann
12. August 202208:52
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Fredi Bobic hat als Hertha-Boss die wohl schwierigste Herausforderung seiner Karriere angenommen. Nach dem Fast-Abstieg in der letzten Saison läuft es in Berlin auch zum Start der neuen Spielzeit bescheiden - Pokal-Aus in Braunschweig, dazu die Derby-Pleite gegen Union am ersten Spieltag.

Im Interview mit SPOX und GOAL erklärt Bobic, warum sich die Lage bei der Hertha trotzdem verbessert hat und warum der eingeschlagene Weg auch bei weiteren Niederlagen nicht mehr verlassen wird.

Außerdem spricht der 50-Jährige über seine große NFL-Leidenschaft, erinnert sich an sein erstes Azubi-Gehalt und verrät, was sich die Hertha von seinem Lieblingsklub, den San Francisco 49ers, abschauen kann.

Herr Bobic, die Bundesliga-Saison hat wieder begonnen, aber auch der Start der NFL-Saison rückt endlich wieder näher. Sonntage haben endlich wieder einen Sinn, oder?

Fredi Bobic: (lacht) Das stimmt. Ich habe schon geschaut, wir spielen mit der Hertha nicht sonntags an den beiden ersten NFL-Spieltagen, das ist gut. In meiner Frankfurter Zeit hatten wir wegen unserer Europa-League-Einsätze viele Spiele am Sonntag, da habe ich immer gehofft, dass wir das 15.30-Uhr-Spiel haben und nicht später. Wenn doch, habe ich natürlich die ersten zwei Stunden der Red Zone verpasst. Aber zum Glück geht die Red Zone ja bis in die Nacht hinein und meine 49ers spielen eh immer spät. Wobei ich zugeben muss, dass ich die Night Games manchmal nicht schaffe, das ist schon hart. Aber dann schaue ich mir wenigstens die Highlights in Ruhe am nächsten Tag an.

Sie sind ja jetzt schon seit über 30 Jahren bei der NFL dabei. Wie ging das alles los?

Bobic:Tele5 war damals einer der wichtigsten Sender auf meiner Fernbedienung. Sie übertrugen zwei Sachen, die aus Amerika nach Deutschland rüber geschwappt sind - Wrestling und American Football. Zwei Jahre lang habe ich mir auch Wrestling reingezogen, aber das war mir dann irgendwann doch zu viel Show.

Ich habe letztens erst nochmal den SummerSlam 1994 angeschaut.

Bobic: Eine Zeit lang hat mich das auch gepackt, aber die Liebe zum American Football war viel größer und ist bis heute geblieben. Am Anfang hatte ich wenig Ahnung von den Regeln und musste mich einlesen. Das war gar nicht so einfach, aber es gab damals zum Glück schon Zeitschriften über American Football, die man sich besorgen konnte. Zeitschriften, das ist das mit dem Papier, für die Jüngeren an dieser Stelle. (lacht) Nicht jeder Kiosk hatte es im Angebot, aber wenn man am Bahnhof ganz hinten in der Ecke schaute, konnte man ein paar Schätze entdecken. Die haben aber auch ein paar Mark mehr gekostet damals.

Ihre 49ers-Liebe lag natürlich schnell auf der Hand, das war ja die große Zeit von Joe Montana, Jerry Rice und Co. - woran erinnern Sie sich spontan?

Bobic: Der erste Super Bowl, den ich gesehen habe, war 1989. 49ers vs. Bengals. Da könnte ich Ihnen bis heute fast jeden Spielzug noch nacherzählen. Wie Montana kurz vor Schluss den Pass auf Taylor zum 20:16-Sieg wirft. Da war's um mich geschehen. Joe Montana ist der Grund, weshalb ich diesen Sport so verehre.

Wie ging es weiter?

Bobic: Ich habe mir von meinem ersten Azubi-Gehalt einen Premiere-Decoder gekauft. Das war eine große Investition. Ich stand ganz am Anfang meiner Karriere und habe in der Oberliga für Ditzingen gespielt. Premiere (Vorgänger von Sky, Anm. d. Red.) hatte damals noch gar keinen Fußball, der kam erst später. Aber ich habe den Schlüssel, wer erinnert sich noch, in den Decoder gesteckt und in meiner Bude NFL geschaut - rauf und runter. Mit dem legendären Günther Zapf als Kommentator. Als ich jetzt in der Corona-Zeit ein bisschen ausgemistet habe zuhause, ist mir ausgerechnet dieser Vertrag wieder in die Hände gefallen. Echt witzig. Eine unvergessene Zeit für mich.

Fredi Bobic spricht im Interview über seine Liebe zum American Football.imago images

Bobic: "Es war arschkalt und ich bin fast erfroren"

Können Sie auf den Punkt bringen, was Sie so fasziniert hat?

Bobic: Ich hatte sehr früh einen Bezug zum US-Sport, weil ich in Bad Cannstatt, einem Stuttgarter Stadtteil, aufgewachsen bin, nicht weit entfernt vom Militärstützpunkt der Amerikaner. Da sind wir als Kids immer vorbeigelaufen und haben gespickt, was die Amerikaner so an Sportarten machen. Irgendwann haben wir dann angefangen, ihnen nachzueifern und haben zum Beispiel Baseball gespielt. Aber mit Tennisbällen, weil die richtigen Bälle zu teuer waren. Insofern hatte ich generell einen Bezug zum US-Sport. Beim Football war es dann aber vor allem der taktische Aspekt, der mich so sehr faszinierte. Wenn du das Spiel das erste Mal siehst, siehst du ja nur Büffel, die wild aufeinander zu rennen und irgendwie so ein komisches Ei durch die Gegend werfen. Aber je mehr du dich mit dem Spiel beschäftigst, desto faszinierender wird es. Allein zu verstehen, wie verdammt schwer es ist, diese zehn Yards für ein neues First Down zu erzielen, ist total spannend. Und dann hat sich für mich nochmal viel verändert, als ich das erste Mal ein Spiel live vor Ort gesehen habe.

Was war Ihr erstes Spiel vor Ort?

Bobic: Das war Mitte der 90er Jahre, Jets vs. Patriots im alten MetLife-Stadium in den Meadowlands. Im Winter. Es war arschkalt und ich bin fast erfroren. Aber es war vor allem eine wahnsinnige Erfahrung, den Speed und das ganze Spiel mal mit den eigenen Augen zu sehen. Mit der Zeit fuchst du dich immer tiefer in die Materie rein, die ganzen Spielzüge gehen in Fleisch und Blut über. Bis zu dem Zeitpunkt, das kennt wahrscheinlich jeder NFL-Fan, ab dem du denkst, du wärst der bessere Offensive Coordinator und anfängst, die Spielzüge anzusagen. Die verrückteste Erfahrung war aber eine andere.

Erzählen Sie.

Bobic: Lustigerweise war vieles ähnlich zu meinem ersten Spiel. Es war wieder Jets vs. Patriots. Es war wieder Winter, am zweiten Weihnachtsfeiertag, und es war wieder schweinekalt. Und die Jets haben natürlich wieder verloren, so wie sie gefühlt ja fast immer verlieren. (lacht) Das Coole war aber, dass bei den Patriots ein neuer junger Quarterback auf dem Feld stand namens Tom Brady. Das Spiel war auch klasse, aber das Problem war wirklich die Kälte. Ich war mit einem Kumpel beim Spiel und wir hatten beide unsere Töchter dabei. Irgendwann im dritten Viertel mussten wir leider die Segel streichen, sonst wären unsere Mädels echt erfroren. Die haben nur noch gebibbert, das war schon grenzwertig. Also sind wir aus dem Stadion ... finde mal ein Taxi da in New Jersey vor dem Stadion, das war auch noch ein Abenteuer. Das Ende von der Geschichte war, dass wir den Rest des Spiels noch im Hotel angeschaut haben. Aber das gehört für mich auch irgendwie zu der Faszination dazu, dass die NFL eigentlich bei jedem Wetter spielt, so eklig es auch sein mag. Früher war das ja beim Fußball auch noch so.

Sie haben den jungen Brady live gesehen. Wie haben Sie seine Karriere dann im Laufe der Zeit verfolgt?

Bobic: Es war eine Art kleine Hassliebe. Er war mir von seiner Spielart manchmal einfach zu langweilig. Das war mir alles zu eintönig. Zu unspektakulär. So ein bisschen wie bei Lionel Messi, wenn er schon wieder zum Dribbling ansetzt und ich mir denke: Mach doch mal was anderes. Aber auf der anderen Seite steht natürlich Bradys wie Messis Genialität. Die Fähigkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wie Tom Brady Defenses zerlegt, wie er mit der anderen Mannschaft Katz und Maus spielt - das ist extrem beeindruckend. Und wovor ich am meisten den Hut ziehe, ist seine überragende Konstanz. Er liefert ab, Jahr für Jahr für Jahr. Diese Konstanz, diese Ausstrahlung, gepaart mit seiner Fitness - das ist großartig. Es gibt so viele Sportler, die nach zwei starken Jahren einen fetten Vertrag unterschreiben und dann nie mehr an ihre Leistung herankommen. Und am Ende werden sie dreimal getradet und haben irgendwann bei neun Klubs gespielt. Aber Brady liefert immer ab. Das macht ihn für mich - auch unabhängig von den ganzen Titeln - so besonders. Deshalb freue ich mich auch, dass er doch noch ein Jahr weiterspielt.

Die Chancen Ihrer 49ers erhöht das in der NFC aber natürlich nicht. Bei der vorletzten Super-Bowl-Teilnahme hieß der Quarterback noch Colin Kaepernick.

Bobic: Ich war immer ein großer Kaepernick-Fan. Ich finde es falsch, wie mit ihm umgegangen wurde in der NFL. Das ist nicht zu akzeptieren. Vor kurzem ist mit Bill Russell eine absolute NBA-Legende verstorben. Viele kennen ihn leider nicht mehr, aber ich kann nur jedem empfehlen, seine Biografie zu lesen. Und Kaepernick geht auf moderne Weise in eine ähnliche Richtung. Im Endeffekt hat man Kaepernick seine Karriere genommen, weil hier wieder Dinge vermischt wurden, die man nicht vermischen sollte. Natürlich hat auch er den Sport als Plattform für seine Überzeugungen genutzt, das ist immer ein schmaler Grat, aber es war richtig, was er gemacht hat. Wir müssen uns nur anschauen, was seitdem in den USA alles passiert ist. Er hatte recht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die 49ers mit Kaepernick den einen oder anderen Titel hätten gewinnen können. Der ganze Umgang mit ihm, die Heuchelei an vielen Stellen - das ist auf jeden Fall ein Schandfleck für die Liga.

Die 49ers suchen seitdem immer noch den neuen Franchise-Quarterback. Glauben Sie, dass Trey Lance das sein kann?

Bobic: Ich hoffe es natürlich. Wichtig ist, dass man ihm jetzt die Chance gibt. Die 49ers brauchten dringend frischen Wind auf der QB-Position. Jimmy G hat es zwar ordentlich gemacht, aber er hat auch sehr von Kyle Shanahan profitiert und war nie der Mann, der in den wirklich entscheidenden Situationen abgeliefert hat. Genau dann musst du als Quarterback aber liefern. Ganz entscheidend war es unabhängig davon, dass Deebo Samuel verlängert hat. Er ist aktuell mein Lieblingsspieler. Sein Abgang wäre schlimm gewesen. Gefühlt kannst du ihn überall auf dem Feld hinstellen und er ist brandgefährlich. Ich glaube, dass er MVP-Potenzial hat.

Bobic: Das können wir uns von den 49ers abschauen

Wenn wir von der NFL die Brücke zum Fußball schlagen, was kann sich die Hertha denn von den 49ers abschauen?

Bobic: Vorbild wäre ein zu starkes Wort, weil wir die NFL nicht mit der Bundesliga vergleichen können. Aber es gibt sicher einige Bereiche, bei denen wir uns etwas abschauen können. Ich war selbst vor Ort und habe gesehen, wie modern die 49ers zum Beispiel beim Thema Analytics arbeiten. Wie datenbasiert sie arbeiten, das ist wirklich hochinteressant, genauso kann man sich anschauen, wie eine NFL-Organisation strukturell aufgebaut ist und einiges auch auf uns übertragen. Auf der anderen Seite ist es eben eine komplett andere Welt. Wenn der Besitzer einer NFL-Franchise sieht, dass alle Season Tickets verkauft sind und das Marketing läuft, dann ist er zufrieden. Und wenn es sportlich nicht so gut läuft, kommt ja schon der nächste Draft. Dann halt "next year". Und wir kämpfen hier im Abstiegskampf ums nackte Überleben. Diesen Druck kennen sie da drüben nicht. Und ich konnte nach der letzten Saison für die Hertha leider auch keinen Jungstar an Position 3 draften. (lacht)

Fredi Bobic hat bei der Hertha die wohl größte Herausforderung seiner Karriere gefunden.imago images

Wie würden Sie die Kräfteverhältnisse in der Bundesliga denn aktuell einschätzen? Kämpft jeder Verein ab Platz sieben fast schon um den Klassenerhalt?

Bobic: Wir haben mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre keinen wirklich spannenden Meisterschaftskampf mehr, das sieht jeder, aber ich finde dennoch, dass viel Bewegung drin ist in der Bundesliga. Beim Kampf um die Champions-League-Plätze ist der vierte Spot meistens vakant. Bei den Klubs, die sich für die Europa League und Europa Conference League qualifizieren, wird einigermaßen bunt durchgemischt. Und dann gibt es das angesprochene breite Mittelfeld, zu dem wir auch gehören und wo du nie genau weißt, schwingt das Pendel eher in die obere Hälfte aus, oder geht es in Richtung Abstiegszone. Die Bundesliga ist vielleicht langweilig geworden, was den Kampf um den Titel angeht, aber ansonsten überhaupt nicht, da erleben wir jedes Jahr einige Überraschungen.

Sie haben mal gesagt, als Sie nach Berlin gekommen sind, sei die Hertha wie ein gemischter Salat gewesen, der nicht so richtig geschmeckt hat. Wie schmeckt er denn aktuell?

Bobic: (lacht) Besser. Wir mussten eine absolut brutale Rückrunde inklusive Relegation überstehen. Es war extrem viel Unruhe um den Verein, aber auch im Verein selbst. Jetzt kann ich aber nach den letzten Monaten sagen, dass wir in ein ruhiges Fahrwasser gekommen sind. Wir haben einen neuen Präsidenten bekommen, mit dem nicht nur ich sehr gut zusammenarbeite, wir haben im Sport einen neuen Trainer bekommen, über den wir alle hier sehr glücklich sind. Man spürt endlich eine gewisse Ruhe und auch eine Art Aufbruchsstimmung, die unserer täglichen Arbeit enorm guttut. Dazu gehört auch eine neue Spielart der Mannschaft, die wir entwickeln wollen - aggressiver, aktiver, mutiger. Der Prozess hat begonnen, aber es muss auch jedem klar sein, dass es ein Prozess ist und dass wir Hausaufgaben zu erledigen haben. Wir stecken noch mitten in einer Transferperiode, in der wir noch versuchen müssen, Überschuss zu erwirtschaften. Wir befinden uns in der Post-Corona-Zeit, hoffentlich Post-Corona, muss man ja sagen. Und wir müssen immer noch einige Dinge aus der Vergangenheit aufarbeiten und auf ein gesundes Fundament stellen. Das braucht aber Zeit.

Sie wussten ja, dass die Hertha eine große Herausforderung sein wird. Jetzt sind Sie ein Jahr dort. Waren Sie vom Ausmaß der Probleme dennoch überrascht?

Bobic: Du kannst zwar von außen auf einen Verein draufschauen und du kannst dich auch informieren vorab, aber es bleibt trotzdem Halbwissen. Das habe ich in meinem ersten Jahr festgestellt. Du weiß nie genau, wie tief die Probleme zum Beispiel reichen, bis du selbst involviert bist. Ich habe eine Organisation kennengelernt, die in vielen Bereichen wirklich faszinierend ist, die aber auch hier und da zerstritten und teilweise verkrustet war. Das zu erkennen ist auch gar nicht so schlimm, solange du die Probleme gemeinsam anpackst und offen und ehrlich miteinander umgehst. Wir haben es jetzt geschafft, dass wir in die richtige Richtung rudern und jetzt hoffe ich, dass wir im Sport auch das nötige Quäntchen Glück auf unserer Seite haben, dass die Ergebnisse stimmen und wir uns als Verein insgesamt gut weiterentwickeln können.

Sie haben nach der aktiven Karriere schon einiges erlebt, wenn wir an Ihre Stationen in Stuttgart, Frankfurt und jetzt in Berlin denken. Sie mögen es kompliziert, oder?

Bobic: Ich fühle mich eigentlich so ein bisschen in die Zeit als Spieler zurückversetzt. Auch dort habe ich Höhen und Tiefen erlebt. Ich bin ein Mensch, der immer neue Herausforderungen sucht, da haben Sie recht. Ich hätte mich auch ganz gemütlich in ein gemachtes Nest setzen können, statt nach Berlin zu kommen, aber das wäre nicht ich. Ich habe Bock auf schwierige Challenges, so bin ich wohl gestrickt.

Sie haben schon den neuen Präsidenten Kay Bernstein angesprochen und die Zusammenarbeit gelobt. Wie ist der Austausch?

Bobic: Der Austausch ist ganz entspannt. Wir sprechen ganz offen und ehrlich über alle Themen, die auf der Agenda stehen. Niemand sollte Kay unterschätzen, er hat einen sehr klaren Blick auf die Themen und er ist auch nicht mehr der Mensch und der Ultra, der er vor 20 Jahren war. Das war ein Teil von ihm, aber eben auch nur ein Teil, das sollte jeder akzeptieren und respektieren. Der Start der Zusammenarbeit hätte besser nicht sein können. Jetzt versuchen wir gemeinsam, einen neuen Geist bei der Hertha zu erzeugen, weil wir uns alle einig sind, dass jetzt wirklich genug gestritten wurde. Sowohl Kay als auch ich wollen positiv vorangehen und ein Miteinander vorleben, das von Offenheit, Respekt und auch Transparenz geprägt ist.

Bobic: "Neue Gewinner, aber auch neue Loser"

Der neue Präsident wird sicher auch positiv für das Verhältnis zu den Fans sein, nachdem es im Abstiegskampf bekanntlich zu einigen Zerwürfnissen gekommen ist. Generell ist es ja in der Gesellschaft inzwischen ein sehr schmaler Grat zwischen Emotionen und berechtigter Kritik, aber auch Hass und Häme, gerade in den sozialen Netzwerken. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?

Bobic: Das ist leider nichts, was nur in Vereinen verankert ist. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich auch im Sport widerspiegelt. Und jede Saison trifft es andere Vereine. Wir erleben in jeder Saison die großen Gewinner, bei denen ins andere Extrem fast schon über jedes vernünftige Maß gefeiert wird. Und dann erleben wir die großen Verlierer mit den bekannten und auch bedenklichen Auswirkungen, dass es Hass und Anfeindungen gibt. Jetzt beginnt eine neue Saison und wir werden wieder neue Gewinner sehen, aber auch neue Loser. Und dann werden wieder Grenzen überschritten werden. Aber so ist der Mensch, das muss man auch so klar sagen. Über das Ausmaß sollten wir uns allerdings alle Gedanken machen. Emotionen gehören zum Sport dazu, die Fans leiden positiv und negativ mit der Mannschaft mit. Aber wenn eine Grenze überschritten wird, ist es unsere Aufgabe, das zu benennen. Ich sage immer: Wenn du Kritik üben willst, dann mach das doch, aber dann zeig dich auch. Verstecke dich nicht hinter irgendwelchen Nicknames im Netz, sag, wer du bist und was Dir nicht gefällt, alles andere ist für mich nicht akzeptabel.

Fredi Bobic im Gespräch mit Kevin-Prince Boatengimago images

Aus sportlicher Sicht ist Sandro Schwarz als neuer Cheftrainer die wichtigste Personalie und wohl Ihre wichtigste Entscheidung bislang. Wann wussten Sie, dass er jetzt genau der richtige Mann für die Hertha ist?

Bobic: Ich wusste es sehr schnell. Ich kannte Sandro schon seit längerem und habe seinen Weg intensiv verfolgt. Ich mochte ihn als Typ schon von Beginn an und fand es sehr imponierend zu sehen, welche Entwicklung er als Trainer genommen hat. Als wir uns dann das erste Mal getroffen haben, hat es sofort gepasst. Man merkt das ja sehr schnell, ob es matched oder nicht. Wir haben die gleichen Vorstellungen, was die Art und Weise angeht, wie wir Fußball spielen lassen wollen bei der Hertha. Aber genauso wichtig, wir haben auch die gleichen Werte im persönlichen Miteinander, die uns wichtig sind. Dazu gefällt mir Sandros Klarheit und Zielorientiertheit in allen Abläufen, ich bin total davon überzeugt, dass wir hier einen Trainer gefunden haben, mit dem wir gemeinsam einen guten und erfolgreichen Weg gehen werden.

Pokal-Aus und die Niederlage bei Union - das war natürlich jetzt rein ergebnistechnisch kein guter Start, was passiert, wenn es nicht schnell besser wird?

Bobic: Wir haben mit Sandro jetzt mit voller Überzeugung einen Weg begonnen. Daher machen wir das nicht nur an den Ergebnissen fest. Das ist unser Weg. Wir werden ihn nicht verlassen, auch nicht, wenn wie in Braunschweig oder bei Union Stolpersteine kommen. Wir werden auf diesem Weg bleiben, wohl wissend, dass das nicht von heute auf morgen gehen wird, wohl wissend, dass wir die Mannschaft nicht in einer Transferperiode umkrempeln können, aber alles andere ergibt keinen Sinn. Das sollte jeder verstehen.

Hertha BSC: Die Bilanz der letzten Jahre

SaisonTabellenplatzPunkte
2021/221633
2020/211435
2019/201041
2018/191143
2017/181043
2016/17649