Dieser Artikel wurde erstmals am 28. August publiziert.
Victor Boniface ist einer dieser Spieler, die Lust darauf machen, selbst zu kicken, wenn man ihnen beim Fußballspielen zuschaut. Einer dieser Spieler, bei dem man sich wünscht, dass der nächste Pass zu ihm gelangt. Auch, weil er diese spielerischen Kleinigkeiten macht, die begeistern: Sein No-Look-Pass gegen Leipzig zum Beispiel, seine Beinschüsse gegen Gladbach. Oder einfach die trotz seiner so kantigen Statur unnachahmlich geschmeidige Art, mit der er Bälle behauptet. Kein Wunder, dass der Neuzugang von Bayer Leverkusen schon nach so kurzer Zeit im Verein zum Fan-Liebling bei der Werkself avanciert ist.
Nun haben Simon Rolfes, Xabi Alonso und Co. Boniface natürlich nicht wegen besagter spielerischer Kleinigkeiten für 20,5 Millionen Euro in die Bundesliga geholt. Dafür ist vielmehr ausschlaggebend, dass er Spielwitz mit enormer Torgefahr, mit Effektivität für das Offensivspiel seiner Mannschaft verbindet. "Es war extrem wichtig, die Bälle zu halten - vor allem gegen die starken Innenverteidiger von Leipzig", sagte Sport-Geschäftsführer Rolfes nach dem Liga-Auftakt gegen RB (3:2) inklusive eines klugen Assists von Boniface bei Sport1. "Manchmal kommt er vielleicht selbst gar nicht zum Zug, er ist aber enorm wichtig für die Spielentwicklung."
Bayer-Trainer Alonso lobte derweil schon in der Vorbereitung: "Victor kann es mit zwei Innenverteidigern aufnehmen. Er ist ein großes Problem für die Gegner. Physisch, technisch, er macht die tiefen Läufe", betonte der Spanier und führte aus: "Wir haben gute Dinge von ihm gesehen. Victor hat eine gute Mentalität. Er will nicht für sich, sondern fürs Team spielen."
Victor Boniface: Die Bayer-Fans liebten ihn schon vor dem Wechsel
Fünf Tore und zwei Vorlagen sind es bereits in nur vier Pflichtspielen. Im DFB-Pokal traf Boniface beim 8:0 gegen Teutonia Ottensen, dann wurde er dann in Mönchengladbach mit seinem blitzsauberen Doppelpack zum Matchwinner. Es folgten zwei weitere Tore gegen Darmstadt. Und wie er darüber hinaus mit Florian Wirtz und den anderen hochveranlagten Mitspielern um ihn herum interagierte, ließ jedes Fußballherz höher schlagen.
Boniface macht zuweilen unkonventionelle Dinge. Dinge, die überraschen, die seinem Instinkt entspringen. Das, gepaart mit seiner Intelligenz im Zusammenspiel, macht ihn so spannend, macht ihn in Verbindung mit seiner körperlichen Robustheit und seiner Vielseitigkeit im Torabschluss zu einem derart kompletten Stürmer.
Von den Anhängern bekam er derweil schon nach dem Sieg gegen Leipzig Standing Ovations, in Windeseile flogen ihm die Herzen der Fans seines neuen Klubs zu. Und eigentlich war das auch schon so, bevor der 22-jährige Angreifer überhaupt nach Leverkusen kam.
Denn nachdem er im April mit Ex-Klub Saint Gilloise im Viertelfinale der Europa League an der Werkself gescheitert war, sah man Boniface bei Instagram auf Bildern oder in Live-Videos immer wieder mit dem Bayer-Trikot, das er sich ertauscht hatte. Zudem folgte er dort den Profilen von Alonso und mehreren Leverkusen-Spielern - seine Vorliebe für Bayer war also eindeutig. Logisch, dass die B04-Fans in den Kommentaren schnell seinen Transfer an den Rhein forderten.
Victor Boniface hatte schon zwei Kreuzbandrisse
Dass es schließlich so kam, lag indes nicht nur an Bonifaces starken Auftritten in der vergangenen Europa-League-Saison. "Wir hatten Victor Boniface bereits seit längerem auf dem Radar", sagte Rolfes. "Sein Auftreten im direkten Duell hat unsere positive Einschätzung dann absolut bestätigt."
Gegen Bayer war Boniface beim 1:1 im Hinspiel ein sehenswertes Tor gelungen. Mit insgesamt sechs EL-Treffern - davon zwei im Achtelfinale gegen Union Berlin - wurde der Nigerianer gemeinsam mit Manchester Uniteds Marcus Rashford bester Torschütze des Wettbewerbs.
Plötzlich wurde Boniface bei namhaften europäischen Klubs gehandelt. Und das, obwohl er trotz seiner gerade einmal 22 Jahre auch die Schattenseiten eines Profilebens schon sehr intensiv durchleben musste.
Mit 18 aus der Fußball-Akademie Real Sapphire in der nigerianischen Metropole Lagos zu Bodö/Glimt nach Norwegen gewechselt, zog er sich nur zwei Wochen nach seiner Ankunft dort einen Kreuzbandriss zu. So jung in ein fremdes Land mit einer völlig anderen Kultur zu ziehen, ist ohnehin schon eine Herausforderung. Dann dazu noch monatelang nicht das tun zu können, was man am meisten liebt und wofür man überhaupt dort ist, macht die Sache natürlich noch komplizierter.
Doch Boniface kämpfte, kehrte nach sechs Monaten Pause auf den Platz zurück, erarbeitete sich seine Einsätze und machte Tore. Kurzum: Er war auf einem sehr guten Weg, sich für größere europäische Ligen interessant zu machen, stand sogar schon kurz vor einer Unterschrift beim belgischen Topklub Brügge. Doch dann, im November 2020, schlug das Schicksal erneut zu: Wieder Kreuzbandriss, wieder das gleiche Knie. Die zweite schwere Verletzung, noch bevor er 20 wurde.
Diesmal fiel er sogar ein ganzes Jahr lang aus, erst Ende 2021 stand er wieder auf dem Rasen. Umso erstaunlicher ist Bonifaces rasanter Aufstieg seitdem.
Victor Boniface? "Der Junge gehört zu den besten Stürmern in Europa"
Ein halbes Jahr nach seinem Comeback ging es für Boniface dann doch noch von Bodö/Glimt nach Belgien. Zwar nicht zu Brügge, dafür aber zu Royale Union Saint Gilloise. Und dort empfahl sich der Torjäger bekanntlich vor allem durch seine Leistungen auf internationalem Parkett für höhere Aufgaben, Leverkusen erhielt den Zuschlag.
"Ich habe die Atmosphäre hier im Stadion selbst erlebt und schon damals die Kapazitäten erahnen können, die dieser Verein hat", sagte er bei seiner Ankunft. Und während der Hype um Harry Kanes 100-Millionen-Euro-Transfer zum FC Bayern riesig ist und dessen Wechsel als Segen für die Bundesliga gepriesen wird, lässt sich festhalten: Auch Boniface ist für die deutsche Eliteklasse ein absoluter Gewinn.
Das sieht ziemlich sicher auch Steffen Baumgart so, Trainer von Leverkusens rheinischem Rivalen aus Köln. Der sagte zuletzt in einem Sport-Bild-Interview, dass man beim FC - hätte man dort die finanziellen Mittel dafür - nicht Kane geholt hätte. Der Engländer sei "nicht der Spielertyp, den ich suchen würde", erklärte er. Boniface hingegen wäre das schon.
"Der Junge gehört aus meiner Sicht mit zu den besten Stürmern in Europa", betonte Baumgart. "Er ist 22 Jahre alt, hat einen guten Körper - da weiß man, dass seine Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist, dass von ihm noch viel mehr kommt."
Trotz der Rivalität der beiden Klubs: Auch Kölns Trainer gehört also vermutlich zu denjenigen, die Boniface so gerne beim Fußballspielen zuschauen. Am Freitagabend hat er dazu Gelegenheit. Dann treffen Boniface und Leverkusen auf den FC Bayern mit dem ebenfalls ganz gut Kane (20.30 Uhr im Liveticker).