Niclas Füllkrug hat in den beiden letzten Bundesligaspielen seine ersten Tore für Borussia Dortmund geschossen. Auch abseits des Rasens sorgt der Neuzugang mit erfreulich klaren Äußerungen und Analysen für frischen Wind.
"Im Moment haben wir eine mentale Stärke und einen Siegeswillen, der extrem und sichtbar ist. Wir haben uns in eine Richtung entwickelt, die zuvor oft kritisiert wurde, mental stark zu sein, die Spiele zu Ende zu bringen, die Spiele in schweren Momenten zu entscheiden, wie beim Stand von 2:1 in Unterzahl in Hoffenheim. Wir haben gerade viele Jungs hier, die den richtigen Weg wählen und die richtige Mentalität im Training und in den Spielen an den Tag legen - deswegen haben wir auch diese positiven Resultate", sagte der 30-Jährige kürzlich.
Genauso oft wie Füllkrug traf in den siegreichen Partien gegen Hoffenheim und Union Berlin Julian Ryerson ins Netz. Das gelang dem Rechtsverteidiger zuvor nur im Herbst 2021, als er seine einzigen beiden Bundesligatore für die Eisernen erzielte. Ryerson hat somit lediglich 22 Ligapartien für den BVB benötigt, um mehr Tore (3) zu erzielen als in seinen 79 Auftritten für Union (2).
Doch der Norweger ist freilich nicht in erster Linie dafür da, die Bälle über die Linie zu bekommen. Ryerson verkörpert vielmehr genau das, was Füllkrug ansprach: Mentalität in Reinform, extreme Arbeitsmoral und eine Gier, die ihm aus den Ohren herausläuft. Das allein qualifiziert den Norweger zum idealen BVB-Spieler, er verkörpert eine Art Steffen Freund der Neuzeit. Der heutige TV-Experte war einst zwischen 1993 und 1998 aus denselben Gründen in Dortmund absoluter Publikumsliebling.
BVB: Julian Ryerson als würdiger Nachfolger von Bellingham
Das kann Ryerson noch nicht derart von sich behaupten - und das überrascht durchaus. Mit Jude Bellingham hat der BVB im Sommer den Favoriten des Publikums verloren. Der Engländer erspielte sich diese Rolle zwar auch durch seine Treffer und individuellen Qualitäten, vorrangig gefiel den Fans aber das unwiderstehliche Pensum, das er stets abriss. Ryerson wäre längst ein würdiger Nachfolger.
Auch deshalb, weil man in Dortmund für diese Rolle keineswegs perfekt oder besonders herausragend sein muss. Das ist Ryerson in keiner statistischen Kategorie, Top-Werte sind bei ihm nicht zu finden. Er ist damit auch Teil der Kader-Problematik auf den Außenverteidigerpositionen, wo Dortmund mit ihm neben Marius Wolf und Ramy Bensebaini gewiss nicht höchsten Ansprüchen genügt.
So verwundert es nicht, dass Ryerson seit seinem Wechsel zu den Westfalen im vergangenen Januar nur den geteilten vierten Platz im BVB-internen Ranking belegt, wenn es nach der Laufdistanz pro 90 Minuten geht (11,4 Kilometer). Bei den Sprints pro Spiel (23) landet der 25-Jährige auf Rang acht, seine durchschnittlich 6,3 Ballgewinne überbieten vier andere Dortmunder Spieler. In der laufenden Saison wurde Ryersons höchste Geschwindigkeit mit 32,0 km/h gemessen, das bedeutet nur Platz 14 bei den Schwarz-Gelben. Selbst der in dieser Kategorie häufig - zu Unrecht - gescholtene Mats Hummels ist schneller. Und: Mit 327 kommt Ryerson auf die viertmeisten intensiven Läufe beim BVB.
BVB: Julian Ryerson gibt Dortmund Energie und Intensität
Auch wenn er fußballerisch durchaus limitiert ist und längst nicht alles klappt, gibt sein Spielstil der Borussia Energie und Intensität. Das wird honoriert und natürlich auch nicht vom Publikum übersehen. "Hier stehen die Leute nicht nur auf und jubeln, wenn man ein Tor schießt, sondern feiern auch eine geile Grätsche. Ich finde es mega, dass die Mentalität hier so ist. Das passt zu mir", hatte Ryerson vor einiger Zeit bereits gesagt.
Trainer Edin Terzic lobte ihn zuletzt explizit: "Julian ist extrem vielseitig. Er hat bei seinem vorherigen Verein Union Berlin extrem viele und gefährliche Flanken vor das Tor gebracht. Heute haben wir es geschafft, mehr Flanken vor das gegnerische Tor zu spielen als Union, obwohl die Gäste die zweitmeisten Hereingaben in der Liga bringen. Da war Julian mit seinem rechten Fuß ein wesentlicher Faktor." Der Coach weiter: "Was mir extrem gut bei ihm gefallen hat, war das Wechselspiel zwischen ihm und Julian Brandt, wann er ins Zentrum zieht, wann er Jule Brandt auf dem Flügel lässt. Da macht Julian Ryerson gerade große Fortschritte."
Ryerson taucht zwar immer wieder im letzten Drittel auf, allerdings fehlt der von Terzic erwähnten Vielzahl an Flanken meist die Präzision: Nur 19 Prozent seiner im Schnitt 3,2 Hereingaben pro Spiel finden einen Adressaten. Aber: Nur Konkurrent Wolf schlägt mehr Bälle vors Tor (3,5).
BVB: Julian Ryerson und die Entwicklung in kleinen Schritten
"Ich will immer mehr, habe den Hunger und will mich verbessern", sagte Ryerson, dem man zugute halten muss, dass er in Dortmund sofort hinein geschmissen wurde und er es dort seitdem mit dem bislang höchsten Niveau seiner Karriere zu tun hat. Eine Anpassung und positive Entwicklung ist zweifelsohne zu sehen, wenngleich sie nur in kleineren Schritten voranschreitet.
So gewinnt der 19-malige Nationalspieler in dieser Saison beispielsweise mehr Tacklings pro Begegnung (1,6) als in der Vorsaison (1,0). Auch bei den Schüssen, Ballgewinnen und der Zweikampfquote hat Ryerson in statistischer Hinsicht Fortschritte gemacht.
Wertvoll macht ihn dazu seine Verlässlichkeit und Polyvalenz. All seine 22 von 26 möglichen Bundesligaspiele für die Borussia bestritt Ryerson von Beginn an - jeweils elf als Rechts- und Linksverteidiger. Diese Flexibilität bei gleichbleibender Qualität auf beiden Seiten ist neben der aggressiven Spielweise und der enormen Einsatzbereitschaft die große Besonderheit seines Spielerprofils.
BVB: "War das wirklich der Ryerson?"
Und nun scheint sogar noch das Näschen vor dem Tor hinzuzukommen. Mit einer Chancenverwertung von 50 Prozent wird er unter den Spielern mit mindestens zwei Saisontreffern nur von den Leverkusenern Jonathan Tah und Exequiel Palacios (je 67 Prozent) übertroffen. Von Ryerons Ausbeute können seine noch torlosen Offensivkollegen Sébastien Haller, Youssoufa Moukoko und Karim Adeyemi aktuell nur träumen.
"Wir haben uns alle totgelacht. Wir haben uns die Augen gerieben und gesagt: War das wirklich der Ryerson?", sagte Füllkrug nach dem sensationellen Sololauf des Norwegers, den er in der Nachspielzeit in Hoffenheim mit dem 3:1 krönte. Eine "Willensleistung" nannte Sportdirektor Sebastian Kehl das Tor: "Er ist ein absoluter Kämpfer."
Es war damals Ryersons 100. Bundesligaspiel. Zwar kann sich die Konkurrenz auch sehen lassen, doch dieser Treffer hätte in die Auswahl zum Tor des Monats der ARD-Sportschau gehört. In späteren Rückblicken auf die Saison dürfte er jedenfalls nicht fehlen. In Dortmund sollte allein dieses Tor eigentlich ausreichen, um zum nächsten Liebling nach Bellingham zu werden.
BVB: Julian Ryerson und seine Bundesliga-Statistiken bei Borussia Dortmund
Kategorie | Spiele |
Spiele | 22 |
Tore | 3 |
Vorlagen | 0 |
Schüsse pro 90 Min. | 0,7 |
Chancenverwertung | 23% |
Ballaktionen pro 90 Min. | 76 |
Flanken pro 90 Min. | 3,2 |
Flankengenauigkeit | 19% |
Zweikampfquote | 48% |
Luftzweikampfquote | 56% |
Ballgewinne pro 90 Min. | 6,3 |
Laufdistanz pro 90 Min. | 11,4 km |
Sprints pro 90 Min. | 23 |