Es gab reichlich Pfiffe des Publikums nach Borussia Dortmunds erster Niederlage im Jahr 2024. Vielsagender war jedoch das, was sich beim Heimspiel gegen Hoffenheim (2:3) in den 90 Minuten zuvor auf den Rängen abgespielt hatte.
"Am allerwichtigsten: Lasst uns so laut sein wie noch nie", sagte Edin Terzic nach seiner Ernennung zum Cheftrainer Ende Mai 2022 in einer Video-Botschaft in Richtung der Fans des BVB. Am Sonntagabend war dieser Appell fast ins Gegenteil verkehrt. Das einst so stimmungsvolle Westfalenstadion verfolgte die Partie erstaunlich leise.
Das an sich ist schon beachtlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass unten auf dem Rasen eine Mannschaft stand, die nach der Winterpause der Bundesliga eine Aufholjagd starten möchte, seitdem noch kein Spiel verlor und nach 25 Minuten innerhalb von 240 Sekunden aus einem 0:1 eine 2:1-Führung machte. Die Stimmung hätte eigentlich ausgezeichnet sein müssen.
Das war und ist sie aber nicht - und dies längst nicht zum ersten Mal. Das hat auch weniger mit der Zunahme an Event-Publikum im Dortmunder Stadion zu tun, die seit einigen Jahren zu beobachten ist. Es ist in erster Linie Zeugnis einer mangelnden Euphorie sowie einer immer stärker verblassten Identifikation durch und mit Klub wie Mannschaft.
Wo BVB-Boss Hans-Joachim-Watzke die Realität verkennt
Das Team des BVB strahlt nichts aus, sein dargebotener Fußball emotionalisiert nicht. Es ist unklar geworden, wofür der gesamte Verein überhaupt steht oder stehen soll. Der einst von Jürgen Klopps Heavy-Metal-Vollgasfußball geformte Markenkern ist mittlerweile ausgehöhlt.
"Ich habe gedacht, einer muss kurz vor dem Abstieg stehen", sagte der 2025 scheidende Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bei der Mitgliederversammlung im vergangenen November mit Blick auf vermeintliche Unterschiede in der medialen Berichterstattung zwischen RB Leipzig - Dortmunds derzeit größtem Konkurrenten um den Platz zur direkten Champions-League-Qualifikation - und dem BVB. Doch da verkennt Watzke schlicht die Realität: Der immer stärker gewordenen Unausgewogenheit der Liga zum Dank ist Dortmunds "Abstiegskampf" das Rennen um Platz vier, nicht um Rang 15. Befindet sich die Borussia unter dem Strich, dann ist das jener, der die CL- von den Europa-League-Qualifikanten trennt - und genau dort stand der zweitgrößte Klub Deutschlands in den vergangenen Jahren viel zu oft.
Diese Tatsache führt einen direkt in den sportlichen Bereich. Dortmund ist unter Terzic analog zu dem von ihm geprägten Slogan in der Tat nur noch wenig sexy. In der laufenden Saison spricht einzig der Erfolg in der Königsklasse, der bei einem möglichen Aus im Achtelfinale allerdings auch keine Glanztat mehr wäre, an die man sich Jahre später noch erinnern wird, noch für ihn. Der Fußball, den seine Mannschaft spielt, spricht längst gegen ihn.
Der BVB ist an einem absehbaren Punkt angekommen
Aktuell ist man beim BVB mal wieder an einem Punkt angekommen, der absehbar war. Es brauchte nur eine Pleite, damit der nächste Krisenmodus herrscht. Nun, mit fortwährender Dauer des Spieljahres, wird Terzic mitsamt der kompletten Saison in Frage gestellt.
Genau genommen ist der Zeitpunkt dafür jedoch aberwitzig. Es steht schließlich längst außer Frage, dass der BVB eine Krisensaison spielt. Dieses Zeugnis wird sich auch dann nicht mehr bessern, sollte sich die Mannschaft in den verbleibenden elf Bundesligapartien zum dritten Mal unter Terzic zu einer Rückrunden-Siegesserie aufraffen und die Champions League noch erreichen.
Den abermaligen Dämpfer gegen Hoffenheim hat es doch gar nicht gebraucht, um zu erkennen, woran die Borussia krankt. Die gegen die Kraichgauer aufgetretenen Negativ-Muster waren zuvor schon dutzende Male zu beobachten, ob in der aktuellen oder der vergangenen Saison. Wer behauptet, dass die sieben Pflichtspiele, die Dortmund vor dem TSG-Duell nicht verlor, die eigentlichen Probleme kaschiert hätten, wie vielerorts zu hören war, ignoriert die Realität.
Der BVB versucht es unter Edin Terzic mit Heldenfußball, dem die Helden fehlen
Selbst in diesen sieben Begegnungen (vier Siege, drei Unentschieden), allesamt gegen schlagbare Kontrahenten, spielten die Westfalen biederen, fragilen Fußball, der niemanden vom Hocker reißt und erst Recht nicht auf eine positive Entwicklung hindeutet. Auch nicht beim 3:0 gegen extrem dezimierte Freiburger, das von den Verantwortlichen als Schritt in die richtige Richtung verklärt wurde.
Eine solche Entwicklung hätte aber zwingend einsetzen müssen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele komplette Trainingswochen Terzic und seinem neu besetzten Trainerteam um die Co-Trainer Nuri Sahin und Sven Bender zur Verfügung standen. Das waren in dieser Hinsicht für Dortmunder Verhältnisse paradiesische Zustände, der rein fußballerische Ertrag auf dem Feld war bislang jedoch nah an der Hölle.
Stattdessen passierte bis auf ein paar taktische Anpassungen so gut wie nichts. Der BVB stagniert auf einem schwachen Niveau und versucht es unter Terzics Führung weiterhin mit Heldenfußball, dem die Helden fehlen. Wer sich auch nur fünf beliebige Minuten des DFB-Pokalspiels zwischen Bayer Leverkusen und dem VfB Stuttgart, den beiden besten Mannschaften dieser Saison, anschaute, der konnte erkennen, was dem Dortmunder Fußball alles fehlt. Er ist meilenweit von den dort zur Schau gestellten Abläufen, Spielstrukturen, Intensitäten, ja auch individuellen Qualitäten, entfernt.
Champions League ohne den BVB ist unter Edin Terzic mehr als nur eine Befürchtung
Und trotzdem besteht zumindest tabellarisch weiterhin Hoffnung auf die CL-Teilnahme, denn die Borussia hat einen Punkt Vorsprung auf Rang fünf und somit alles in der eigenen Hand. Es hat den Anschein, dass genau diese Sichtweise derzeit das zarte Pflänzchen ist, an das sich die Verantwortlichen klammern. Angesichts der Sachlage lässt der Blick in die nahe Zukunft allerdings Fatales erahnen.
Dortmund hat nun zwei Auswärtsspiele vor der Brust, die man gewinnen muss (Union, Bremen). Bei elf Versuchen kamen bislang aber erst vier Erfolge in der Fremde zustande. Beim kommenden und seit sechs Heimspielen unbezwungenen Gegner aus Berlin verlor der BVB gar drei der vier Bundesligapartien an der Alten Försterei. In knapp zwei Wochen kommt es gegen die PSV Eindhoven zum Rückspiel in der CL. Ein Ausscheiden vor eigenem Publikum würde Dortmunds Situation dramatisieren, ein Weiterkommen kein Stück in der Bundesliga helfen und nach aktuellem Stand auch nur schwer vorstellbar einen erheblichen Aufschwung auslösen.
Stattdessen ist es mehr als nur eine Befürchtung, dass der BVB unter Terzic die erneute Quali zur Königsklasse vergeigen wird. Dieser Zustand ist mit ihm an der Seitenlinie kein unbekannter. In Terzics Interimssaison 2020/21 verlor Dortmund am 27. Spieltag zu Hause gegen Frankfurt und stand sieben Zähler unter dem Strich. Es folgten sieben siegreiche Partien in Serie, die keiner dem Team zutraute. Bis auf Mats Hummels, der früh schon wusste, dass Terzics Arbeit noch fruchten wird.
Der BVB braucht das Geld aus der Champions League
Der Unterschied: Mittlerweile ist Terzic deutlich länger im Amt. Auch ist die aktuelle Lage nicht so gefährlich wie nach der damaligen Frankfurt-Pleite. Doch es genügt eine Rückschau auf die Bilanz der Hinrunde - da gelangen der Borussia in den elf finalen Spielen nur noch vier Siege und 16 Punkte.
Auch ohne die Retrospektive braucht es keinen Propheten, um zu erkennen, dass der BVB mit dem unter Terzic gebotenen Fußball gegen die meisten der spielstarken kommenden Gegner auf verlorenem Posten stehen wird. Zumal Kontrahent Leipzig die größten Brocken (Leverkusen, Bayern, Stuttgart) bereits hinter sich hat.
Es ist Fakt, dass es Terzic spätestens dann an den Kragen gehen wird, wenn nach weiteren Enttäuschungen die Champions-League-Qualifikation auch in der Tabelle ablesbar in Gefahr geraten sollte. Da wird ihm auch sein freundschaftliches Verhältnis zu Watzke und dessen unnötiges Bekenntnis, das dieser mittlerweile einkassiert hat, helfen. Dortmund braucht dieses Geld, gerade wo es durch die CL-Reform ab der kommenden Spielzeit noch mehr zu verdienen gibt.
Beim BVB kann man sich einen Cheftrainer Nuri Sahin durchaus vorstellen
Aus Terzic selbst, der in seinen Analysen oft nur noch wie eine gesprungene Schallplatte klingt, spricht wenig Zuversicht auf Besserung. Woher also soll der Glaube daran bei Mannschaft wie Fans kommen, wenn sich bald die Qualität der Gegner deutlich erhöht und man zugleich die immer selben sowie von den Protagonisten oftmals als "unerklärlich" eingestuften Problematiken schon durch die gesamte Saison schleppt?
'Wehret den Anfängen', möchte man den Dortmundern daher zurufen. Zumal die naheliegende Lösung ohnehin bereits im Verein angestellt ist. Zuletzt spekulierte der Boulevard, dass Sahin von Terzic vor Beginn der baldigen Länderspielpause übernehmen würde, wenn man gegen Union und Bremen nichts holen sollte. Dass man sich beim BVB mit dem Gedanken an einen Cheftrainer Sahin zur neuen Saison - bis dahin dürfte er auch über die nötige Lizenz verfügen - durchaus anfreunden kann, gilt nach SPOX-Informationen als gesichert.
Dennoch blieben zahlreiche weitere Baustellen, auch ohne ein mögliches Verpassen der CL. Bereits zum Sommer soll ein Geschäftsführer Sport einsteigen, an den Watzke laut eigener Aussage sportliche Verantwortung abtreten wird. Trotz der Gerüchte um Frankfurts Markus Krösche gilt Sportdirektor Sebastian Kehl als aussichtsreicher Kandidat. Die Frage, welche Berechtigung dieser Aufstieg angesichts von Kehls schwacher Transfer-Bilanz hätte, soll hier nicht im Detail erörtert werden.
BVB muss spätestens nach der Ära Watzke ein neues Leitbild verabschieden
Die neue Führung, wie auch immer sie letztlich personell zusammengestellt sein wird, muss dann unmittelbar an den dysfunktionalen Kader heran. Nicht auszuschließen, dass es erneut wie schon zu Kehls Amtsantritt im Sommer 2022 "mehrere Transferperioden dauern" wird, um darin angestrebte Veränderungen zu implementieren.
Alternativlos wird jedoch sein, besonders vor dem Hintergrund der endenden Ära Watzke, ein neues Leitbild zu verabschieden, von dem sich die Philosophie des Vereins ableitet und das die Spielidee vorgibt. Dem Hin und Her der Post-Klopp-Zeit, als man diffus zwischen verschiedenen Spiel- wie Trainerstilen divergierte, ist dringend ein Ende zu setzen. Wenn der Verein dies auf wie abseits des Spielfelds mit Leben füllt und stringent danach handelt, besteht auch wieder die Chance auf die berüchtigte, altbekannte Stimmung im Westfalenstadion.
BVB: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund
Datum | Wettbewerb | Gegner |
2. März, 15.30 Uhr | Bundesliga | Union Berlin (A) |
9. März, 18.30 Uhr | Bundesliga | Werder Bremen (A) |
13. März, 21 Uhr | Champions League | PSV Eindhoven (H) |