Mit der Verletzung von Harry Kane steht der FC Bayern München vor Problemen, die der Rekordmeister lange nicht mehr hatte: Wie überbrückt man die Zeit ohne den besten Torschützen der Liga, der in 19 Pflichtspielen satte 20 Treffer geschossen hat? Auf der so wichtigen Stürmerposition hat der sonst so tiefe Kader der Münchner keine wirkliche Alternative, die Kane zu hundert Prozent ersetzen kann - ein Dilemma, in dem ausgerechnet Bayer Leverkusen, Bayerns Pokal-Gegner am Dienstag, so nicht steckt.
Auch der amtierende Meister muss zurzeit in Form von Victor Boniface (Oberschenkelverletzung) den Ausfall seines gefährlichsten Angreifers verkraften. Anders als der FC Bayern hat die Werkself jedoch eine passende Antwort auf ihr Problem. Mit Patrik Schick hat man einen der besten Back-up-Stürmer der Welt in den eigenen Reihen. Obwohl der Tscheche vor allem zu Beginn der Saison unter Trainer Xabi Alonso kaum zu Einsatzminuten kam, hatte er überhaupt kein Problem damit, nun in seine neue alte Rolle zu schlüpfen und Boniface adäquat zu ersetzen - und vielleicht sogar mehr als das.
In den vergangenen vier Pflichtspielen erzielte Schick wettbewerbsübergreifend sechs Tore und war dadurch mehr als tatkräftig daran beteiligt, dass Bayer zehn von möglichen zwölf Punkten einfuhr. Mit seinem 48. Treffer im 100. Einsatz für Bayer stellte Schick beim 2:1-Sieg gegen Union Berlin am Samstag zudem den Vereinsrekord von Sturmlegende Ulf Kirsten ein.
Patrik Schick: Durchbruch in Italien - gescheiterter Wechsel zu Juventus
Der europäischen Bühne für Top-Stürmer näherte sich Schick zum ersten Mal in der Saison 2016/17, als er im Trikot von Sampdoria Genua, heute italienischer Zweitligist, damals aber noch in der Serie A beheimatet, in 35 Spielen 13 Tore schoss. Diese eine herausragende Saison reichte aus, um große Klubs auf den Plan zu rufen. Die Mannschaften aus der Serie A kannten Schick aus der Vorsaison am besten und waren deshalb besonders darauf erpicht, sich die Dienste des heute 28-Jährigen zu sichern: allen voran Italiens Rekordmeister Juventus Turin.
Sampdoria, Schick, Juventus - alle Parteien hatten dem Deal bereits ihr Ja-Wort gegeben, alle drei schienen als Gewinner den Verhandlungstisch zu verlassen. In einer unerwarteten Wende fiel der Transfer jedoch schlussendlich doch noch ins Wasser. Der Grund war ein ungewöhnlicher: der Medizincheck. Was nach nicht mehr als einem Standard-Prozedere aussah, das alle Profis, die zu einem neuen Verein wechseln, über sich ergehen lassen müssen, wurde Schick letztlich zum Verhängnis. "Sampdoria und Juventus bestätigen, dass der Transfer von Patrik Schick gecancelt wurde", schrieb der italienische Rekordmeister am Abend des 18. Juli 2017 auf seiner Homepage. "Es wird vermutet, dass der Spieler eine zuvor nicht diagnostizierte Erkrankung hat, weshalb die Entscheidung, ihn zu verpflichten, rückgängig gemacht wurde. Nach weiteren Gesprächen in Rom haben sich die Klubs geeinigt, dass Schick nicht zu Juventus wechselt."
Es stellte sich schnell heraus, dass die Mediziner in Turin bei Schick einen Herzfehler entdeckt hatten, was der damalige Genua-Präsident Massimo Ferrero so nicht wahrhaben wollte: "Es ist eine Farce. Er ist nicht nur gesund, er ist sogar sehr gesund", schimpfte er. Jahre später sprach Schick in einem Sport-Bild-Interview über die Gründe für den geplatzten Deal. "Ich hatte damals etwas am Herzen", gab er zu. Er betonte jedoch auch, dass das Problem aus der Welt geschafft und kein Hindernis mehr sei. "Heute ist alles gut und das Thema ist medizinisch komplett abgeschlossen, ohne Nachwirkungen und damit aus der Welt."
Der Juve-Wechsel war also vom Tisch, nichtsdestotrotz tat Schicks damaliges Herzproblem seiner Karriereentwicklung keinen Abbruch. Mit der AS Rom klopfte ein anderer italienischer Gigant an der Tür und holte sich den Stürmer per Leihe, bevor man ein Jahr später 42 Millionen Euro Ablöse für seine feste Verpflichtung an Sampdoria überwies. Nach 58 Pflichtspielen für die Römer, in denen er acht Tore beisteuerte, verschlug es den Tschechen nach Deutschland, wo ihn RB Leipzig zuerst lieh, ehe sich Leverkusen 2020 für 26,5 Millionen Euro Ablöse endgültig seine Dienste sicherte.
Patrick Schick muss sich bei Bayer hinter Victor Boniface anstellen
In Leverkusen angekommen, dauerte es auch nicht lange, bis Schick zündete. Mit der tschechischen Nationalmannschaft glänzte er zuerst bei der Europameisterschaft 2021, als er mit fünf Treffern, gemeinsam mit Portugals Superstar Cristiano Ronaldo, Torschützenkönig wurde. Sein Weitschuss-Geniestreich von der Mittellinie gegen Schottland wurde später zum schönsten Tor des Turniers gekürt und brachte ihm eine Nominierung für den prestigeträchtigen Puskas-Award ein.
Auch auf Vereinsebene lief für Schick alles nach Plan. 24 Liga-Tore in seiner zweiten Saison für die Werkself katapultierten ihn auf Rang zwei der Bundesliga-Torschützenliste, einzig Robert Lewandowski war 2021/22 besser. Hartnäckige Adduktorenprobleme raubten dem 1,91-Meter-Hünen in der darauffolgenden Saison und zu Beginn der Double-Saison 2023/24 jedoch zahlreiche Einsätze und Spielminuten. Schick nahm daraufhin langsam aber sicher die Back-up-Stürmerrolle hinter Victor Boniface ein, was sich bis heute grundsätzlich nicht geändert hat.
Davon zeigte sich Schick zuletzt jedoch nicht beeindruckt. Auf dem Spielfeld präsentierte sich der Tscheche in den vergangenen Wochen wieder mit der Selbstverständlichkeit eines Stammspielers, die er zu Beginn seiner Zeit in Leverkusen hatte. Und genau diese Stammspieler-Rolle will Schick Boniface streitig machen. Als Boniface im Rahmen der Länderspielpause für Nigeria im Einsatz war, sagte Schick im Oktober und November jeweils für die Nationalmannschaft ab, um sich auf den Verein zu konzentrieren. "Er hat das Selbstvertrauen, aber vor allem die Qualität, dazu ist er körperlich in einer super Verfassung und arbeitet mit, auch defensiv", lobte Bayers Sportgeschäftsführer Simon Rolfes Schick jüngst nach dem Union-Spiel, bei dem Schick den Siegtreffer zum 2:1 markiert hatte.
Trotz oder wahrscheinlich gerade wegen seiner starken Form ist nicht alles rosig zwischen Schick und Leverkusen. Einem Sky-Bericht zufolge soll der Tscheche (Vertrag bis 2027) mittlerweile doch über einen Winterwechsel zugunsten von noch mehr Spielzeit nachdenken. In der aktuellen Verfassung, da gibt es kaum andere Meinungen, ist Schick einfach zu gut, um langfristig von der Ersatzbank zu kommen.
Als Interessent wird ausgerechnet Juventus angeführt, das wohl bereit zu sein scheint, einen zweiten Versuch zu starten, Schick zur Alten Dame zu lotsen. Leverkusen wolle davon allerdings nichts wissen und sei nur bei einem lukrativen Betrag willig, über einen potenziellen Verkauf Schicks zu diskutieren.
Bis dahin bleibt der Angreifer Leverkusens Luxusproblem, das der FC Bayern aktuell wohl liebend gerne hätte.