Nicht erst seit Uli Hoeneß seinen FC Bayern wieder in einen heimeligen Mia-san-mia-Wohlfühltempel korrigiert hat, greift man in München zur Faktenuntermauerung gerne auf Geschichten aus der Vergangenheit zurück. Eine Anekdote, die sie besonders dann gern erzählen, wenn Wechselgerüchte über Bayern-Spieler kursieren, geht so: 2009 wollte der FC Chelsea Franck Ribery kaufen; für damalige Verhältnisse für unwirklich viel Geld. Aber: der FC Bayern blieb standhaft. Er überzeugte seinen Star von einem Verbleib und wimmelte die Offerte aus London erfolgreich ab.
"Von diesem Tag an", so beendete Karl-Heinz Rummenigge jüngst die neueste Interpretation der Geschichte, "wusste die ganze Fußballwelt: Gegen den Willen von Bayern München kann niemand einen Spieler von Bayern München kaufen".
Nun geht es bei der aktuellen Diskussion, die die Säbener Straße gerade in Atem hält, aber weniger um den Willen des FC Bayern München. Sondern vielmehr um den seines Stürmers Robert Lewandowski. Und der lautet angeblich: Ich will weg vom FC Bayern.
Lewandowskis umstrittenes Interview im Spiegel
Für die Münchner ist das alles eine bizarre Situation. Es ist nicht wirklich vorgesehen, dass die Stars des Klubs selbigen verlassen wollen, schon gar nicht diejenigen, die als sportlich essenziell gelten und noch jahrelang unter Vertrag stehen. Und am allerwenigsten die, die dem Klub mit ihrem Gebaren ein ungemütliches Grundsatzproblem vorlegen, mit dem sich die Großkopferten jetzt herumschlagen müssen.
So sah sich Hoeneß Anfang des Jahres noch genötigt, verbal einzugreifen, als sich Ousmane Dembele auf schäbige Weise von Borussia Dortmund zum FC Barcelona gestreikt hatte. "Wir würden den Spieler fragen: Kannst du lesen, wie lange dein Vertrag läuft", hoeneßte es damals. "Und dann wäre Ende der Diskussion. Haben Sie schon mal gelesen, dass ein Spieler dem FC Bayern auf der Nase herumtanzt?"
Nun sind sie in München ja nicht blind, und so werden auch der Führungsriege des FCB die lewandowski'schen Episoden nicht entgangen sein, die allen Beteuerungen zum Trotz zumindest einmal als feines Trippeln auf den bayerischen Riechorganen gedeutet werden müssen.
Letztes Jahr fing es an, als Berater Maik Barthel einen Lewandowski ausrief, der wegen der fehlenden Unterstützung seiner Mitspieler im Kampf um die Torjägerkanone "so was von enttäuscht" gewesen sei, "wie ich ihn noch nie erlebt habe". Es folgte ein am FC Bayern vorbei organisiertes Interview mit dem Spiegel, in dem Lewandowski eine bessere Einkaufspolitik vom Verein forderte und Sachen sagte wie: "Wenn ein Spieler wirklich wechseln will, kann er das auch in der Regel durchsetzen."
Eine Aussage mit Wirkung, bedenkt man, dass Lewandowskis Wunsch, einmal für Real Madrid zu spielen, mehr als ein offenes Geheimnis ist. Und dann heuerte noch den zwielichtigen Transferexperten Pini Zahavi als neuen Ratgeber an - ausgestattet im Übrigen mit einem Vertrag bis zum letzten Tag der kommenden Sommertransferperiode. Wenn das keine Nasentänze sind, dann zumindest klar verständliche Zeichen.
Lewy: Real, ein verweigerter Handschlag - und die Folgen
Eine interessante Wendung hatten nun aber die vergangenen beiden Wochen parat. Zum einen war da das Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid, in dem Lewandowski blass geblieben war und die wenigen Chancen, die ihm serviert wurden, recht ungelenk vergab. Und, als Kontrastprogramm vier Tage nach dem Aus in der Königsklasse, das unglaublich unbedeutende Bundesligaspiel gegen Absteiger Köln, in dem Lewandowski eine knappe Viertelstunde vor dem Ende ausgewechselt wurde und Trainer Jupp Heynckes den Handschlag verweigerte.
Nach den vielen Schwelbränden, die es in der Personalie Lewandowski die vergangenen Wochen und Monate gab, entzündete sich die Situation. Die Geschehnisse von Fröttmaning, Madrid und Köln lockten die großen Meinungsmacher der Medien hervor, genauso wie ehemalige Markenbotschafter (Paul Breitner), Torwart-Legenden (Sepp Maier), Kommentatoren-Legenden (Marcel Reif) oder Didi Hamann. Sie alle degradierten Lewandowski binnen weniger Tage von der essenziellen Tormaschine zum allumfassenden Grund des bayerischen Scheiterns.
Lewandowski ist plötzlich kein angemessen starker Stürmer mehr für Real, nein, Lewandowski ist jetzt nicht einmal mehr gut genug für den FC Bayern.
Aus sportlicher Sicht ist dieses reaktionäre Absprechen jeglicher Klasse bei einem Spieler, der mit einem Treffer gegen Stuttgart am kommenden Wochenende in drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten 30 Tore in der Liga geschossen hat, freilich Unfug. Genau wie das Ausscheiden in der Königsklasse alleine am torlosen Polen festzumachen.
Leistungsdaten von Robert Lewandowski 2017/18
Wettbewerb | Spiele | Minuten | Tore | Assists |
Bundesliga | 29 | 2.079 | 29 | 1 |
DFB-Pokal | 5 | 453 | 5 | 1 |
Champions League | 11 | 955 | 5 | 2 |
Supercup | 1 | 90 | 1 | - |
Einem Stürmer wie Lewandowski das Attribut Weltklasse abzusprechen, bloß weil er in zwei Halbfinals gegen Real Madrid kein Tor gemacht hat? Mit einem Sergio Ramos als Gegenspieler? Lewandowski traf übrigens in seinen vorherigen drei Bayern-Jahren in der jeweils letzten Runde der Champions-League-Saison immer - gegen Barcelona im Halbfinale, gegen Atletico im Halbfinale, vergangenes Jahr trotz Schulterverletzung gegen Real im Viertelfinale.
"Ein Stürmer, der glaubt, er wäre auf einer Ebene mit Cristiano Ronaldo", maulte Breitner bei Sport1, "muss es dann beweisen, wenn er zeigen kann, ob er dem gewachsen ist". Das Problem dabei: Ronaldo ist aktuell der mit Abstand beste Spieler der Welt. Und hatte in den beiden Halbfinals gegen die Bayern genauso wenig mit dem Spiel zu tun wie Lewandowski.
Rummenigge lobt Verhältnis mit Lewandowski
Lewandowski ist in München sportlich unantastbar, besitzt einen Vertrag bis 2021 und hat keine Ausstiegsklausel. Einen Ersatz auf gleichem Niveau oder höher wird der FC Bayern nicht bekommen, dazu sind dem konservativen Hoeneß die Preise zu hoch und der Ruf der Liga zu schlecht. "Wir wissen, was wir an Robert Lewandowski haben, ich bin sehr glücklich, dass wir noch einen so langfristigen Vertrag haben", sagte Rummenigge am Mittwoch: "Es braucht sich keiner Gedanken zu machen. Er wird auch in der nächsten Saison bei Bayern München spielen."
Doch gibt es einen Punkt, an dem die Diskussionen um den Angreifer gerechtfertigt sind. Und das ist der: Wie sinnvoll und gefährlich wäre es für den Verein, einen abwanderungswilligen Lewandowski zu halten? Denn natürlich birgt die Situation Konfliktpotenzial. Ein lustloser Topverdiener kann die Stimmung in der Mannschaft ordentlich strapazieren (siehe den Trainingsstreit mit Mats Hummels), zudem steht mit Niko Kovac ab der kommenden Saison ein unerfahrener Trainer an der Seitenlinie.
Als es um Dembele und Borussia Dortmund ging, sagte Hoeneß: "Ousmane Dembele hätte ich nicht gehen lassen." Und: "Wir sind nicht börsennotiert, deshalb können wir auch einmal 100 Millionen Euro ablehnen." Ließen die Münchner jetzt Lewandowski ziehen, es würde die Bayern durchaus schwach, wenn nicht sogar erpressbar dastehen lassen. Für die Münchner sollte das eigentlich keine Option sein.
Es wird ohnehin erst der Sommer zeigen, ob Robert Lewandowski tatsächlich einen Abschied forcieren wird. Und ob die Münchner ihrem Grundsatz treu bleiben und den Angreifer halten. "Es muss sich keiner Sorgen um Robert Lewandowski und das Verhältnis zum FC Bayern machen", findet auf jeden Fall Rummenigge. "Wir haben ein sehr gutes."
Wie auch immer die Sache ausgeht: In der kommenden Saison werden die Bayern zumindest eine weiter Geschichte zu erzählen haben.