Der FC Bayern hat für kolportierte 13 Millionen Euro einen 17-Jährigen aus der MLS verpflichtet. Für einen jungen Spieler, der wie Alphonso Davies international so begehrt sei, müsse man eben viel Geld in die Hand nehmen, meint Kovac. Die jüngere Historie hat jedoch gezeigt, dass der Rekordmeister damit nur selten gut gefahren ist. Vom Wunder- zum Sorgenkind ist es an der Isar bekanntermaßen nur ein kurzer Weg.
Fragt man Bekannte, Freunde oder Mitspieler in Vancouver, was sie an Davies so schätzten, fällt nicht selten das Wort "Demut". "Er lässt nicht raushängen, dass er ein so toller Fußballer ist", sagte einer seiner engsten Freunde erst kürzlich in einem Interview mit CBC Canada. Davies halte die Dinge einfach, brauche keine Extrawürste und sei so bodenständig, wie es nur gehe.
"Ich weiß, wo ich herkomme. Wo meine Eltern herkommen", begründet der 17 Jahre alte Davies seine Demut im Umgang mit dem Hype in Kanada und den USA, der um seine Person seit seinem MLS-Debüt 2016 ausgebrochen ist. Er sagt das in einem ruhigen, sehr reflektierten, aber nicht minder bestimmten Ton.
Er lache gerne, sei ein lustiger Zeitgenosse und versuche die Dinge nicht zu ernst zu nehmen, denn das Leben sei "zu kurz, um immer nur wütend auf irgendwas zu sein". Davies weiß, wovon er spricht und wenn er sagt, dass er wisse, wo er und seine Familie herkommen, ist das ebenso wenig eine leere Floskel.
gettyFC Bayern holt Alphonso Davies: Bürgerkriegsflüchtling und Ausnahmetalent
Das Leben auf der Flucht von Kindesbeinen an hat ihn geprägt. Seine Eltern verließen kurz vor seiner Geburt das vom Bürgerkrieg gebeutelte Liberia. "Wir haben es dort einfach nicht mehr ausgehalten. Um dort zu überleben, musstest du eine Waffe tragen. Das wollten wir nicht, also entschlossen wir uns zu fliehen", sagt sein Vater Debeah über die Zeit in Monrovia, der Hauptstadt von Liberia.
Geboren wurde Davies schließlich in einem Flüchtlingscamp in Ghana. "Es war sicher, aber trotzdem hart. Dort hatten wir nichts. Kein Essen, keine Kleidung", erinnert sich seine Mutter Victoria an die ersten fünf Lebensjahre ihres Sohnes, die sie mit einem Leben in einem Container vergleicht: "Sie schließen dich ein und du hast eigentlich keine Chance da rauszukommen."
2005 ergab sich aber doch eine Möglichkeit und die Familie gelangte über Windsor, Ontario nach Edmonton, Alberta in Kanada. Dort habe alles angefangen, sagt Davies. Auf dem Kunstrasen der Edmonton Strikers, von dem Davies nur zwei Häuserblocks entfernt lebte und in der Schulturnhalle der St. Nicholas Highschool, in der heute ein riesiges Konterfei des Youngsters hängt, gleich neben dem Schul-Leitspruch: "Protect this House!"
Im Alter von 13 Jahren wurde er bei einem Probetraining der Vancouver Whitecaps vorstellig, da seine Highschool seit Jahren eine gute Beziehung zum MLS-Klub pflegte. "Er war okay", erinnert sich Craig Dalrymple, technischer Direktor der Nachwuchsförderung, "aber es war nicht so, dass wir dachten: 'Den müssen wir unbedingt jetzt schon nehmen.'" Er sei damals schlichtweg noch nicht bereit gewesen.
Alphonso Davies bei den Whitecaps: Jüngster Profi der MLS-Geschichte
Ein Jahr später änderte sich das. Die Whitecaps, deren Name sich auf die schneebedeckten Kuppen der nördlichen North Shore Mountains und der schaumigen Wellen des Pazifischen Ozeans im Westen bezieht, konnten nicht länger warten.
Doch die knapp 1160 Kilometer Distanz zwischen Vancouver und Edmonton bereiteten Mutter Victoria Sorgen. Sie ließ Davies erst gehen, als dieser versprach, immer der gleiche zu bleiben, seinen Schulabschluss zu machen und kein "Bad Boy" zu werden, wie es seine Mutter formulierte. "Das war der Deal", sagt Davies rückblickend.
Von da an sei alles so wahnsinnig schnell gegangen. Im Februar 2016 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag und wurde in der zweiten Mannschaft der Whitecaps an das MLS-Team herangeführt. Fünf Monate später folgte sein Debüt gegen Orlando City. Als er eingewechselt wurde, zitterte er nach eigener Aussage am ganzen Körper: "Ich war so nervös und fast schon schockiert, dass er (Carl Robinson, Trainer der Whitecaps, Anm. d. Red) mich tatsächlich bringt."
In seinen ersten zwei Spielzeiten musste sich Davies noch an die nordamerikanische Profiliga gewöhnen. Trainer Carl Robinson ließ seiner Entwicklung Luft und brachte ihn nur rudimentär von Beginn an. Zwei Torvorlagen steuerte Davies, der sowohl Links- als auch Rechtsaußen spielen kann, in 34 Spielen bei.
Am ersten Spieltag der Saison 2018 platzte endlich der Knoten. Beim 2:1-Sieg der Whitecaps über Montreal Impact wurde Davies zum Matchwinner mit einem Tor und einer Vorlage. Seitdem läuft es für ihn wie am Schnürchen (3 Tore, 6 Vorlagen). 138 Mal ging Davies in dieser Spielzeit in Offensiv-Zweikämpfe und gewann davon 90. Ein Topwert in der MLS. Vor zwei Wochen gelang ihm ein herrliches Tor, als er vier Gegenspieler von DC United austanzte und aus 18 Metern abschloss.
Alphonso Davies wechselt zum FC Bayern: Die Sanches-Problematik
Bereits zuvor hatte der jüngste Nationalspieler in der Geschichte Kanadas das Interesse zahlreicher Top-Klubs geweckt. Doch das interessierte Davies dem Vernehmen nach recht wenig, denn um das Geschäftliche sollten sich schließlich andere kümmern.
Davies will einfach nur das tun, was er liebt: auf dem Platz stehen. Deshalb kümmerte sich in erster Linie sein Agent um die Gespräche bezüglich eines möglichen Wechsels. "Wenn er etwas für mich hat, das von Interesse sein könnte, dann wird er schon Bescheid sagen", sagte Davies erst kürzlich gegenüber CBC Canada.
Das tat sein Berater offensichtlich, als der FC Bayern bei ihm und den Whitecaps vorstellig wurde. 13 Millionen Euro soll der deutsche Rekordmeister Vancouver für Davies geboten haben. "Alphonso bringt bereits großartige Fähigkeiten mit und war nicht umsonst von vielen Spitzenklubs heiß umworben", rechtfertigte Bayerns Sportdirektor Hasan Salihamidzic den Transfer. Trainer Kovac sagte Davies obendrein "eine große Zukunft voraus".
Solche Töne hatte man an der Säbener Straße zuletzt 2016 angeschlagen. Damals war es Pep Guardiola, der dem frisch für 35 Millionen Euro verpflichteten Renato Sanches eine "große Zukunft" prognostizierte. Die vergangenen zwei Jahre im Falle von Sanches haben gezeigt, wie schwer es für einen hochtalentierten, aber eben noch sehr jungen Spieler an der Isar sein kann. Der Weg vom Wunder- zum Sorgenkind ist gerade beim Rekordmeister ein kurzer.
FC Bayern und die eingekauften Nachwuchstalente: Mehr Flop als Top
Zwar bestätigen die ersten Eindrücke, dass die Formkurve bei Sanches nach einer katastrophalen Leihe an Swansea City wieder nach oben zeigt. Doch die jüngere Historie zeigt, dass der FC Bayern nicht für jedes Nachwuchstalent der ideale Platz zur Entwicklung ist. Die Namen Breno (12 Millionen Euro) oder Sinan Kurt (3 Millionen Euro) sind beispiellos mit bajuwarischen Fehlinvestitionen in U21-Spieler verbunden.
In den vergangenen Jahren konnten sich eigentlich nur Joshua Kimmich und mit Abstrichen und Anlaufschwierigkeiten Kingsley Coman durchsetzen. Letzterer dürfte in Zukunft auf Davies Stammposition der größte Konkurrent und gesetzt sein. Überhaupt ist Zukunft das treffende Stichwort. Die soll beim FC Bayern nun zum Ende der Robbery-Ära endlich Einzug erhalten.
Ein Fingerzeig darauf ist die Verpflichtung von einem dynamischen, schnellen und technisch starken 17-Jährigen allemal. Davies soll spätestens nach Ablauf der aktuellen MLS-Saison (Playoff-Finale am 8. Dezember) zum Rekordmeister stoßen. Geht es nach Kovac, solle er so schnell wie möglich nach Deutschland kommen und mit den Profis trainieren.
Alphonso Davies in der MLS: Leistungsdaten bei den Vancouver Whitecaps
Saison | Spiele | Tore | Torvorlagen |
2018 | 20 | 3 | 6 |
2017 | 26 | 0 | 3 |
2016 | 8 | 0 | 1 |
Aussagen wie diese deuten darauf hin, dass Davies nicht für das NLZ oder für einen langsamen Aufbau in der Reserve eingeplant ist. Allerdings wird auf Davies ein ganz anderes Umfeld und vor allem ein deutlich höheres Niveau zukommen als noch in Nordamerika, welches ihm möglicherweise schneller als gedacht seine oftgelobte Leichtigkeit nehmen könnte.
Und obwohl der Transfer eines der vielversprechendsten MLS-Talente mitten in einer USA-Promo-Reise etwas kalkuliert anmutet, haftet an Davies dieses verhältnismäßig große Preisschild und eine damit verbundene Erwartungshaltung. Schließlich hätten sich die Münchner auch einen verdienten, etablierten Profi für 40 oder 50 Millionen Euro leisten können.
Stattdessen entschieden sich die Bayern-Bosse für den Jungen mit dem Ahornblatt auf der Brust, der noch mitten in der Entwicklung steckt und sich noch nicht ansatzweise auf Bundesliga-ähnlichem Niveau bewegt hat. Unter Kovac wird Davies seine Einsatzzeiten bekommen. Diese wird er vor dem kritischen Bayern-Publikum jedoch nutzen müssen.
Die gestiegene Erwartungshaltungen ist Davies schon gewöhnt. Bei der Weltmeisterschaft 2026 in Kanada soll er das Gesicht des Gastgeberlandes und Star des Turniers werden. Doch wie schon gesagt: Der Weg vom Wunder- zum Sorgenkind ist kurz - und das nicht nur in München.