Es war Anfang Juli, als Kovac in seiner Funktion als WM-Kolumnist für die FAZ den puren Ballbesitzfußball in seiner bisherigen Form für tot erklärte. "Ohne Geschwindigkeit bringt Ballbesitz heutzutage nicht mehr viel. Und wenn die Spieler im Laufe der Endlos-Kombinationen auch noch weit vorrücken, wird der Ballbesitzfußball sogar gefährlich, weil bei Ballverlust so viele Räume für den Gegner zum Kontern entstehen", schrieb er.
Berauscht war Kovac damals noch vom Sieg seines Ex-Vereins Eintracht Frankfurt im DFB-Pokalfinale gegen seinen neuen Verein FC Bayern. 23:77 Prozent lautete im Berliner Olympiastadion das Ballbesitzverhältnis, 3:1 Tore aber das Ergebnis. Dem aggressiven Gegenpressing und schnellen Umschalten, phasenweise auch dem Zurückziehen und Kontern seiner Mannschaft sei Dank - gleichzeitig dem Ballbesitzfußball der gegnerischen.
Wollte sich Kovac nun aufmachen, seine in Frankfurt bewährten Ideen auch der Mannschaft des besiegten FC Bayern beizubringen? Einer Mannschaft, die zu großen Teilen drei Jahre lang geprägt wurde von Pep Guardiola und dessen Ideen von perfektem Positionsspiel, von drückender Dominanz. Und einer Mannschaft, die zu ihren Heimspielen in der Allianz Arena antritt, in der schon eher der Wunsch nach einer agierenden statt reagierenden Mannschaft vorherrscht.
"Wir wollen den Spielstil der letzten Jahre beibehalten, aber schon das eine oder andere modifizieren", erklärte Kovac bei seinem Amtsantritt relativ wenigsagend.
FC Bayern: der Lauf und sein Ende
Die ersten sieben Pflichtspiele gewann der FC Bayern dann und bei so einem Lauf sind ja immer alle ganz zufrieden. Kovac brachte die richtigen Spieler gegen die richtigen Gegner, er stabilisierte die Defensive. Aber was man auch dazusagen muss: individuell war der FC Bayern seinen bisherigen Gegnern einfach überlegen, das macht es prinzipiell einfacher. Es ging nicht so sehr ums Konzept. Es galt, auf der sogenannten Welle zu reiten.
Dann aber schwappte die Welle in Form eines Felix Götze mit hochrotem Kopf einfach über. Im Trikot des FC Augsburg erdreistete er sich, einen späten 1:1-Ausgleich gegen den FC Bayern zu erzielen. In den folgenden vier Partien war das sogenannte "Spielglück" auf einmal nicht mehr auf Seiten des FC Bayern, die Defensivspieler patzten reihenweise, Kovacs Wechsel funktionierten nicht mehr so gut und die Kleinheit des Kaders machte sich auch wegen Verletzungen bemerkbar.
Seit vier Spielen wartet der FC Bayern mittlerweile auf einen Sieg, seit 223 Bundesligaminuten auf ein Tor und mindestens seit den Spielen gegen Ajax Amsterdam (1:1) und Borussia Mönchengladbach (0:3) sogar auf eine gesunde Portion Torchancen.
FC Bayern in der Saison 2018/19
Wettbewerb | Gegner | Ergebnis |
Supercup | Eintracht Frankfurt (A) | 5:0 |
DFB-Pokal | SV Drochtersen/Assel (A) | 1:0 |
Bundesliga | TSG Hoffenheim (H) | 3:1 |
Bundesliga | VfB Stuttgart (A) | 3:0 |
Champions League | Benfica Lissabon (A) | 2:0 |
Bundesliga | Bayer Leverkusen (H) | 3:1 |
Bundesliga | FC Schalke 04 (A) | 2:0 |
Bundesliga | FC Augsburg (H) | 1:1 |
Bundesliga | Hertha BSC (A) | 0:2 |
Champions League | Ajax Amsterdam (H) | 1:1 |
Bundesliga | Borussia Mönchengladbach (H) | 0:3 |
Fragen an Trainer Niko Kovac
Und in so einer Phase, die man Krise nennt, geht es dann auf einmal doch ums Konzept. Der Trainer muss unangenehme, entlarvende Fragen beantworten. Warum schießt die Mannschaft keine Tore mehr? Warum erspielt sie sich nicht einmal Torchancen? Und überhaupt: was ist denn jetzt eigentlich das Offensivkonzept?
Nach dem 0:3 gegen Gladbach wurde Kovac darauf angesprochen. Er wich zunächst aus und sprach über den Gegner: "Es ist schon so, dass der Gegner sehr kompakt steht, dass der Gegner uns dann auch unter Druck setzt. Wir versuchen über Außen die Lücken aufzureißen, aber der Gegner ist dort doppelt und dreifach positioniert." Dann sprach Kovac doch über seine Mannschaft und wirkte dabei etwas resignativ: "Wir schaffen es im Moment nicht, dass wir uns über die Außen durchsetzen. Das ist ein entscheidender Punkt. Und über die Mitte schaffen wir es auch nicht. So werden wir wenige Tore schießen."
Abschließend sagte Kovac noch: "Wir müssen zusehen, dass wir schleunigst, aber wirklich schleunigst wieder so auftreten, wie wir uns das alle vorstellen." Die Frage, die diesbezüglich jedoch schleunigst, aber wirklich schleunigst beantwortet werden muss, ist lediglich: Was stellt er sich denn nun vor mit dem FC Bayern?