Das ungefährliche Offensivspiel des FC Bayern München: Was will Niko Kovac denn eigentlich?

Nino Duit
08. Oktober 201812:55
Nach vier Pflichtspielen ohne Sieg steckt der FC Bayern in der Krise.getty
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Die Gründe für die aktuelle Krise beim FC Bayern München unter Trainer Niko Kovac sind vielschichtig. Der wohl eklatanteste Mangel ist aber das ungefährliche Offensivspiel. Was Kovac wirklich will, erscheint etwas unklar.

Es war Anfang Juli, als Kovac in seiner Funktion als WM-Kolumnist für die FAZ den puren Ballbesitzfußball in seiner bisherigen Form für tot erklärte. "Ohne Geschwindigkeit bringt Ballbesitz heutzutage nicht mehr viel. Und wenn die Spieler im Laufe der Endlos-Kombinationen auch noch weit vorrücken, wird der Ballbesitzfußball sogar gefährlich, weil bei Ballverlust so viele Räume für den Gegner zum Kontern entstehen", schrieb er.

Berauscht war Kovac damals noch vom Sieg seines Ex-Vereins Eintracht Frankfurt im DFB-Pokalfinale gegen seinen neuen Verein FC Bayern. 23:77 Prozent lautete im Berliner Olympiastadion das Ballbesitzverhältnis, 3:1 Tore aber das Ergebnis. Dem aggressiven Gegenpressing und schnellen Umschalten, phasenweise auch dem Zurückziehen und Kontern seiner Mannschaft sei Dank - gleichzeitig dem Ballbesitzfußball der gegnerischen.

Wollte sich Kovac nun aufmachen, seine in Frankfurt bewährten Ideen auch der Mannschaft des besiegten FC Bayern beizubringen? Einer Mannschaft, die zu großen Teilen drei Jahre lang geprägt wurde von Pep Guardiola und dessen Ideen von perfektem Positionsspiel, von drückender Dominanz. Und einer Mannschaft, die zu ihren Heimspielen in der Allianz Arena antritt, in der schon eher der Wunsch nach einer agierenden statt reagierenden Mannschaft vorherrscht.

"Wir wollen den Spielstil der letzten Jahre beibehalten, aber schon das eine oder andere modifizieren", erklärte Kovac bei seinem Amtsantritt relativ wenigsagend.

FC Bayern: der Lauf und sein Ende

Die ersten sieben Pflichtspiele gewann der FC Bayern dann und bei so einem Lauf sind ja immer alle ganz zufrieden. Kovac brachte die richtigen Spieler gegen die richtigen Gegner, er stabilisierte die Defensive. Aber was man auch dazusagen muss: individuell war der FC Bayern seinen bisherigen Gegnern einfach überlegen, das macht es prinzipiell einfacher. Es ging nicht so sehr ums Konzept. Es galt, auf der sogenannten Welle zu reiten.

Dann aber schwappte die Welle in Form eines Felix Götze mit hochrotem Kopf einfach über. Im Trikot des FC Augsburg erdreistete er sich, einen späten 1:1-Ausgleich gegen den FC Bayern zu erzielen. In den folgenden vier Partien war das sogenannte "Spielglück" auf einmal nicht mehr auf Seiten des FC Bayern, die Defensivspieler patzten reihenweise, Kovacs Wechsel funktionierten nicht mehr so gut und die Kleinheit des Kaders machte sich auch wegen Verletzungen bemerkbar.

Seit vier Spielen wartet der FC Bayern mittlerweile auf einen Sieg, seit 223 Bundesligaminuten auf ein Tor und mindestens seit den Spielen gegen Ajax Amsterdam (1:1) und Borussia Mönchengladbach (0:3) sogar auf eine gesunde Portion Torchancen.

FC Bayern in der Saison 2018/19

WettbewerbGegnerErgebnis
SupercupEintracht Frankfurt (A)5:0
DFB-PokalSV Drochtersen/Assel (A)1:0
BundesligaTSG Hoffenheim (H)3:1
BundesligaVfB Stuttgart (A)3:0
Champions LeagueBenfica Lissabon (A)2:0
BundesligaBayer Leverkusen (H)3:1
BundesligaFC Schalke 04 (A)2:0
BundesligaFC Augsburg (H)1:1
BundesligaHertha BSC (A)0:2
Champions LeagueAjax Amsterdam (H)1:1
BundesligaBorussia Mönchengladbach (H)0:3

Fragen an Trainer Niko Kovac

Und in so einer Phase, die man Krise nennt, geht es dann auf einmal doch ums Konzept. Der Trainer muss unangenehme, entlarvende Fragen beantworten. Warum schießt die Mannschaft keine Tore mehr? Warum erspielt sie sich nicht einmal Torchancen? Und überhaupt: was ist denn jetzt eigentlich das Offensivkonzept?

Nach dem 0:3 gegen Gladbach wurde Kovac darauf angesprochen. Er wich zunächst aus und sprach über den Gegner: "Es ist schon so, dass der Gegner sehr kompakt steht, dass der Gegner uns dann auch unter Druck setzt. Wir versuchen über Außen die Lücken aufzureißen, aber der Gegner ist dort doppelt und dreifach positioniert." Dann sprach Kovac doch über seine Mannschaft und wirkte dabei etwas resignativ: "Wir schaffen es im Moment nicht, dass wir uns über die Außen durchsetzen. Das ist ein entscheidender Punkt. Und über die Mitte schaffen wir es auch nicht. So werden wir wenige Tore schießen."

Abschließend sagte Kovac noch: "Wir müssen zusehen, dass wir schleunigst, aber wirklich schleunigst wieder so auftreten, wie wir uns das alle vorstellen." Die Frage, die diesbezüglich jedoch schleunigst, aber wirklich schleunigst beantwortet werden muss, ist lediglich: Was stellt er sich denn nun vor mit dem FC Bayern?

FC Bayern und der Ballbesitz

Kovacs Aussagen beim Amtsantritt und in seiner WM-Kolumne zufolge: weniger oder zumindest zielführenderen Ballbesitz. Im Vergleich zur vergangenen Saison hat der durchschnittliche Ballbesitzanteil beim FC Bayern in dieser Saison aber ganz im Gegenteil sogar zugenommen. Von 64,2 Prozent auf 68,6 Prozent.

"Wir haben den Ball, aber wir haben ihn in ungefährlichen Räumen. Wir haben zu wenige Leute da, wo es dem Gegner wehtut", sagte Mats Hummels nach der Niederlage gegen Gladbach und ergänzte: "Niko Kovac ist jemand, der es theoretisch ein bisschen anders sehen will, aber wir verfallen speziell bei Rückständen in alte Muster."

Kovac will demnach also ein ballbesitzärmeres, direkteres Spiel nach vorne sehen, es mangelt offenbar an der Umsetzung der Spieler. Oder an ihrem Willen zur Umsetzung? Joshua Kimmich etwa sah sich genötigt zu betonen: "Ich glaube nicht, dass wir eine klassische Kontermannschaft sind. Wir müssen unser System schon unseren Spielern anpassen." Macht Kovac das etwa nicht?

Die Rollen von Thomas Müller, James und Robert Lewandowski

Der FC Bayern hat wegen der individuellen Klasse seiner Spieler und der Herangehensweise seiner Gegner zumeist fast automatisch mehr Ballbesitz. Damit daraus aber auch ein zielführendes Offensivspiel entsteht, brauchen die Spieler Vorgaben, wann sie sich wo aufzuhalten haben. Eine der Spezialdisziplinen von Ex-Trainer Guardiola. "Wir haben derzeit ein bisschen Probleme, die richtigen Räume zu besetzen. Gerade wenn der Gegner so tief steht, ist es wichtig, die richtigen Positionen einzunehmen, und das haben wir nicht gemacht", sagte Leon Goretzka.

Speziell die Rolle von Thomas Müller im zumeist praktizierten 4-3-3 -System ist diffus. Nominell auf der Achterposition aufgeboten, treibt er sich überall ein bisschen aber nirgends so wirklich herum. Für James, mit den besten Techniker der Mannschaft, hat Kovac dagegen noch gar keine wirkliche Rolle gefunden.

Den alternden Arjen Robben sowie Franck Ribery mangelt es bekanntlich etwas an Tempo und Robert Lewandowski wirkte nicht nur gegen Gladbach (16 Ballkontakte) völlig abgeschnitten von der restlichen Mannschaft. In den ersten sieben Pflichtspielen erzielte er acht Treffer, seitdem keinen mehr. "Wir müssen es wieder mal schaffen, dass wir vier, fünf Spieler in der Box haben und der Lewy da nicht immer komplett alleine gegen vier Verteidiger steht", findet Hummels.

FC Bayern und die Probleme mit dem "Kreieren"

Dass der FC Bayern alleine deswegen zu Torchancen kommt, weil er eben der FC Bayern ist, hat sich jedenfalls als Trugschluss erwiesen. Als nach dem Remis gegen Augsburg noch die Chancenverwertung statt der Chancenanzahl als Problem ausgemacht wurde, hatte Kovac nämlich mantraartig gesagt: "Wir werden immer unsere Chancen kreieren." Die folgenden Spiele straften ihn Lügen. Seitdem wurde nämlich wenig kreiert, gegen Gladbach exakt ein irreguläres Tor aus Abseitsposition und ein Schuss von Lewandowski.

Bei den Spielern ist immerhin das Wort "kreieren" hängen geblieben. Nach der Niederlage gegen Gladbach hieß es: "Wir haben zu wenig kreiert." (Robben) "Was uns im Moment ein bisschen fehlt - und das ist auch kein Geheimnis -, ist das Chancen kreieren." (Hummels) "Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir Chancen kreieren." (Kimmich)

Gedanken muss sich aber nicht nur über das Chancen kreieren an sich gemacht werden, sondern vor allem auch darüber, mit welchem Offensivkonzept sie denn eigentlich kreiert werden sollen. Es ist die Aufgabe des Trainers.