Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Ist der Hamburger SV endlich gesund oder ist Adrian Fein immun gegen den Hamburger SV? Jahrelang galt bekanntlich die Faustregel: Wer zum Hamburger SV wechselt - völlig egal wie talentiert -, entwickelt sich dort zurück.
Dieser Umstand setzte natürlich auch dem HSV selbst zu, der in der vergangenen Dekade nicht zuletzt deshalb zunächst immer tiefer Richtung Bundesliga-Tabellenkeller rutschte, sich einige Male spektakulär rettete, 2018 schließlich doch abstieg und den sofortigen Wiederaufstieg anschließend verpasste.
Seit diesem verpassten sofortigen Wiederaufstieg spielt aber dieser zweifellos talentierte Adrian Fein beim HSV und der wurde seit seiner Ankunft nicht schlechter, sondern besser. Tatsächlich: Beim HSV wurde er besser! So viel besser, dass Fein sogar eine Zukunft bei seinem Jugendverein FC Bayern München, der ihn ohne Kaufoption für ein Jahr an den HSV verliehen hat, haben soll.
Adrian Fein wechselte mit acht Jahren zum FC Bayern
Um das zu unterstreichen, verkündete der FC Bayern am Freitag die vorzeitige Verlängerung von Feins ursprünglich bis 2021 laufenden Vertrags bis 2023. Kurz zuvor hatte die tz berichtet, dass Fein im Sommer auf jeden Fall zurückkehren und in den Profikader integriert werden soll. "Wir sind von seinem Potenzial überzeugt", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic und lobte, dass Fein zuletzt "große Fortschritte in seiner Entwicklung" gemacht habe.
Der gebürtige Münchner Fein wechselte im Alter von acht Jahren vom TSV 1860 München zum FC Bayern und durchlief im Anschluss alle Nachwuchsmannschaften. Unter Trainer Carlo Ancelotti durfte er als U19-Spieler erstmals bei den Profis mittrainieren und im Januar 2017 mit ins Trainingslager nach Doha reisen.
In der Saison 2017/18 war Fein Stammspieler der damals viertklassigen Reservemannschaft. Anschließend übersprang er eine Liga und spielte eine Saison leihweise unter Trainer Achim Beierlorzer beim SSV Jahn Regensburg in der 2. Bundesliga.
Wo er herkommt und wo er wieder hinwill, wusste damals schon jeder, weil es jeder sah: Auf Feins linkem Arm prangt das Münchner Kindl, das Wappen seiner Heimatstadt. "Natürlich träume ich davon, eines Tages in der Bundesliga für den FC Bayern zu spielen. Ich bin Münchner und schon seit Kindertagen großer Fan des Klubs", sagte er im September im Interview mit SPOX und Goal.
Adrian Fein: Zweikampfstärke und Diagonalpässe
Zu diesem Zeitpunkt spielte Fein bereits bei seiner zweiten Leihstation, beim HSV. Seit dem ersten Spieltag hat er seinen Platz als Sechser im 4-3-3-System von Trainer Dieter Hecking sicher, in der gesamten Hinrunde verpasste er lediglich 63 Minuten. Ein Tor und drei Assists gelangen Fein bisher, aber das Scoren ist gar nicht seine Kernkompetenz.
Mit seinen 1,87 Metern strahlt Fein körperliche Präsenz aus - und setzt sie vor allem im Zweikampfverhalten ideal ein. Eine Zweikampfquote von 60,74 Prozent macht Fein zum zweikampfstärksten Mittelfeldspieler der Liga (mit mindestens 100 bestrittenen Zweikämpfen). Seine 125 Ballgewinne sind ligaweit die fünftmeisten aller Mittelfeldspieler. Fein ist entscheidend mitverantwortlich dafür, dass der aktuell zweitplatzierte HSV mit lediglich 19 Gegentoren die zweitbeste Defensive der Liga stellt (nach dem 1. FC Heidenheim mit 18).
Fein ist aber kein reiner Rackerer, er überzeugt trotz leichter Geschwindigkeitsdefizite auch als spielgestaltender Stratege. Kaum ein Angriff läuft nicht über ihn, Fein ist ligaweit der Mittelfeldspieler mit den meisten gespielten Pässen (1069). Ausbaufähig ist zwar die Erfolgsquote von 84 Prozent, doch das liegt auch an seinem kreativen und somit auch risikoreichen Aufbauspiel. Gerne schlägt Fein aus der Tiefe hohe Diagonalpässe auf die Flügelstürmer. Ein bisschen wie einst Bastian Schweinsteiger, eines seiner Vorbilder.
"Den HSV ohne Adrian Fein könnte man sich aktuell nicht vorstellen, weil er dort so eine dominante Rolle hat", sagte neulich Holger Seitz, Mitglied der Leitung des Nachwuchsleistungszentrums des FC Bayern, der tz. Geht es nach Seitz, muss man sich den HSV aber künftig ohne Fein vorstellen: "Adrian ist für mich so weit, dass er auch bei unseren Profis eine Rolle spielen kann."
Adrian Feins Perspektive beim FC Bayern
Das liegt einerseits an Feins guter Entwicklung, die ihn im September auch in die deutsche U21-Nationalmannschaft beförderte - und andererseits am Kader des FC Bayern. Für einen wie Fein ist dort nämlich durchaus Platz. Es gibt beim FC Bayern aktuell zwar etliche Achter, aber kaum klassische Sechser ohne hindernde Einschränkungen.
Der 31-jährige Javi Martinez verliert zunehmend an Tempo und Handlungsschnelligkeit, außerdem ist er auch in der Innenverteidigung gefragt. Joshua Kimmich spielt zwar gerne auf der Sechs, ist als Rechtsverteidiger aber wohl wertvoller. Thiago spielt zwar oft auf der Sechs, ist auf der Acht aber wohl wertvoller. Und das waren auch schon die Kandidaten.
Nicht umsonst überlegte der FC Bayern im vergangenen Sommer, einen neuen Sechser zu verpflichten. Transfers der potenziellen Kandidaten Rodri, der letztlich von Atletico Madrid zu Manchester City wechselte, und Marc Roca, der bei Espanyol Barcelona blieb, kamen aber nicht zustande. Weil der Verein Feins Entwicklung abwarten wollte?
Womöglich wartete der Verein tatsächlich auf den Spieler, der Spieler aber wartet ganz sicher auf den Verein. "Selbst wenn ich es erst in neun Jahren zum FC Bayern schaffen würde, würde ich sagen, dass ich eine erfolgreiche Karriere gehabt habe", sagt Fein. Aktuell deutet alles darauf hin, dass es schneller gehen wird.
Adrian Feins Leistungsdaten im Seniorenbereich
Saison | Verein | Liga | Spiele | Tore | Assists |
2017/18 | FC Bayern II | Regionalliga Bayern | 27 | 1 | 3 |
2018/19 | FC Bayern II | Regionalliga Bayern | 6 | 1 | 2 |
2018/19 | Jahn Regensburg | 2. Bundesliga | 21 | - | 2 |
2019/20 | Hamburger SV | 2. Bundesliga | 18 | 1 | 3 |