Zwei Jahre lang sollte Oliver Kahn eigentlich als einfaches Vorstandsmitglied behutsam von Karl-Heinz Rummenigge auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern München vorbereitet werden, den er anschließend von ihm erben wird. Aber schon bei seinem allerersten öffentlichen Auftritt in neuer Rolle wurde Kahn von Rummenigge anders als ursprünglich angedacht einfach alleine gelassen.
Grund dafür war ein sogenannter Norovirus, der Rummenigge nach Vereinsauskunft befallen hat. Da dieser als hochansteckend gilt, verzichtete Rummenigge aus Rücksicht auf Kahn, den ebenfalls anwesenden Präsidenten Herbert Hainer sowie die berichtenden Pressevertreter auf einen Besuch von Kahns offizieller Vorstellung.
>Drei Kriterien für die Verpflichtung von Oliver Kahn
Als Kahn dann ohne Rummenigge neben sich zu reden begann, ging es zunächst ebenfalls um Medizin, beziehungsweise um Genetik. "14 Jahre", sagte Kahn, meinte damit die Dauer seiner Zeit als Spieler des FC Bayern und wiederholte die Zahl dramatisch gleich nochmal: "14 Jahre für den FC Bayern München. Das war eine extrem lange Zeit mit sehr, sehr vielen Emotionen und sehr, sehr vielen Erlebnissen. Da steckt die DNA dieses Vereins tief in einem drinnen."
Die Verpflichtung Kahns ist ja eigentlich eine Rückholaktion und damit genau das, was man sich beim FC Bayern seit jeher erträumt: Dass ehemalige Spieler nach dem Karriereende in neuer Funktion zurückkehren. So war es bei Uli Hoeneß, so ist es bei Rummenigge, bei Sportdirektor Hasan Salihamidzic und auch beim aktuellen Trainer Hansi Flick.
Laut Hainer (als Präsident ohne Bayern-Spieler-Vergangenheit in dieser Hinsicht eine absolute Ausnahme) sei diese bei Kahn vorhandene Bayern-DNA einer von drei Gründen für dessen Anstellung gewesen, wie er bei der Pressekonferenz verkündete. Die anderen beiden seien "absoluter Fußball-Sachverstand und wirtschaftliche Kompetenz".
Aus seinen Funktionen als langjähriger Nationalkeeper und anschließend langjähriger TV-Experte für das ZDF kennt Kahn den Fußball sowohl von innen als auch von außen bestens. Mit seinem Sportmanagement-Studium und der Gründung seines Unternehmens Goalplay erarbeitete er sich wirtschaftliche Kompetenzen.
Oliver Kahns Ziele mit dem FC Bayern
Kahn hat also die nötigen Voraussetzungen - aber was will Kahn daraus machen? Was sind seine Ziele mit dem FC Bayern? Grundsätzlich wiederholte er immer wieder zwei Aspekte: Einerseits seine seit Spielerzeiten bekannte Sucht nach dem Siegen, dem ewigen Streben nach der Spitze. Andererseits die Wichtigkeit des Wie.
"Es muss uns gelingen, junge Spieler an die Profi-Mannschaft heranzuführen und Identifikationsfiguren zu bekommen", sagte Kahn, ohne bei der Zielerfüllung konkreter zu werden. Und: "Wir wollen eine Spielphilosophie kreieren, die absolut Bayern-Like ist." Näher definierte sie Kahn kaum, umschrieb sie wahlweise nur mit "exzellentem, bestmöglichem Fußball" und "hochklassigem absoluten Weltklasse-Fußball".
Und so war es bei vielen Themen, über die Kahn an diesem Dienstagmittag sprach: Er machte klar und deutlich, was er sich im Großen vorstellt, ging bei seinen Ausführungen aber kaum in Details. Zu konkreten Aspekten befragt, verwies er zunächst immer wieder auf das Wort mit "Ei". Meinte anders als zu Spielerzeiten damit jedoch nicht "Eier", sondern "Einblicke." Einblicke, er braucht erst Einblicke!
"Nur was sich verändert, bleibt lebendig", sagte er einmal zum Beispiel. "Aber ich muss mir erstmal einen Einblick verschaffen, um sinnvolle Aussagen darüber machen zu können, was wirklich veränderbar ist."
>Oliver Kahn über Manuel Neuer und Alexander Nübel
Noch am Dienstagnachmittag fliegt Kahn zum Trainingslager nach Katar, wo er die Gelegenheit nutzen will, "um mir einen ersten Einblick zu verschaffen". Womöglich kommt es dort auch zu einem Gespräch mit Kapitän Manuel Neuer, über dessen Zukunft seit der Verpflichtung des zehn Jahre jüngeren Alexander Nübel intensiv diskutiert wird.
Auf diese Causa angesprochen, betonte Kahn, dass Nübel bereit sei, "sich erstmal hintenanzustellen und von Manuel Neuer zu lernen". Den Transfer von Nübel lobte Kahn indes als "kluge, strategische Entscheidung", zu weiteren Transferplänen wollte er sich jedoch nicht äußern. Dies sei generell Sache von Salihamidzic, wenngleich Kahn betonte, "überall mein Wissen einzubringen".
Bis er am 1. Januar 2022 den Posten des Vorstandsvorsitzenden übernehmen wird, soll Kahn aber nicht nur sein Wissen einbringen, sondern vor allem auch das Wissen des scheidenden Rummenigges aufsaugen. Dieser war bei der Pressekonferenz zwar eigentlich nicht da, aber am Ende dann zumindest rhetorisch irgendwie schon.
Ob denn zu erwarten sei, dass sich das künftige Führungsduo des FC Bayern Kahn und Hainer ähnlich wie einst Rummenigge und Hoeneß verbale Duelle liefern wird? "Natürlich wollen wir eine Diskussionskultur haben. Wenn es Meinungsunterschiede zwischen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß gab", sagte Hainer und finalisierte in bester Rummenigge-Rhetorik, "wurde am Ende des Tages auch immer zum Wohle des FC Bayern entschieden." Das sollte sich in Zukunft nicht ändern.