Die Jahreshauptversammlung des FC Bayern München ging im Vergleich zum Vorjahr deutlich ruhiger über die Bühne. Dennoch sorgten vor allem zwei Themen, darunter ein altbekanntes, für Diskussionsstoff. SPOX macht einen Faktencheck und ordnet die beiden Streitpunkte ein.
Nach der chaotischen und emotional aufgeladenen Jahreshauptversammlung vor rund einem Jahr war ein klarer Kontrast zu erkennen. Zwischen den Mitgliedern und dem Präsidium um Herbert Hainer und Oliver Kahn gab es einen weitestgehend sachlichen Austausch, was auch an der deutlich offeneren Kommunikation - sowohl im Vorfeld als auch während der Veranstaltung - der FCB-Verantwortlichen lag.
Dennoch prägte die JHV erneut das wegen der Menschenrechtsverletzungen des Emirats umstrittene Katar-Sponsoring, über das erwatungsgemäß durchweg intensiv gesprochen wurde. Bei den immer mit Spannung erwarteten Wortmeldungen am Ende wurde ein weiteres Fass aufgemacht: die in Augen vieler Fans mangelnde Nachwuchsarbeit und deren Folgen. SPOX nimmt die beiden Themen unters Brennglas.
Die Jahreshauptversammlung im Liveticker zum Nachlesen.
FC Bayern - Thema Katar: Der FCB hat aus seinen Fehlern gelernt, aber ...
Als Mitglied Rudi Grabmeier bei den Wortmeldungen kurz vor der Wahl des Präsidiums dafür plädierte, das "Thema Katar ruhen zu lassen", ging ein regelrechtes Raunen durch den Audi Dome. Vereinzelter Applaus wurde schnell von lautstarken und teils von Kraftausdrücken übersäten Rufen übertönt. Schon bei Hainers Eröffnungsrede, in der er sich für den Ablauf der JHV 2021 inklusive vorzeitigem Abbruch entschuldigte, war zu erkennen, dass das Thema Katar längst nicht ausgestanden ist.
Vorneweg: Der FC Bayern hat aus vielen seiner Fehlern gelernt - auch wenn sich die inhaltliche Situation eigentlich nicht geändert hat. Der offene Austausch hat nicht nur bei der JHV, sondern besonders im Vorfeld diversen Diskussionsrunden und Round Tables sichtlich Spannung genommen. Kritiker wie Rechtsanwalt Michael Ott, dessen Antrag zur Einstellung des Sponsorings im vergangenen Jahr abgelehnt worden war, fühlten sich vom Klub ernstgenommen. Von einer vollumfänglichen Zufriedenheit unter den Mitgliedern kann aber noch lange nicht die Rede sein.
Das unterstreichen die 78,2 Prozent für Hainer bei dessen Wiederwahl. Was faktisch eine deutliche Mehrheit darstellt, ist auf den zweiten Blick eine klare Bestätigung, dass das vergangene Jahr nicht spurlos an den Mitgliedern vorbeigegangen ist. Bei seinem Amtsamtritt hatte er sich mit 98,1 Prozent noch bei seinen Vorgängern Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß und Karl Hopfner, die alle über 97 Prozent der Stimmen erhielten, nahtlos eingereiht. Innerhalb von drei Jahren verlor er nun aber beinahe 20 Prozent. Ein Denkzettel!
gettyBayern-Präsidenten: Die vorherigen Wahlergebnisse
- Uli Hoeneß 2009 als Nachfolger von Franz Beckenbauer: 99,3 Prozent
- Uli Hoeneß 2012: 97,1 Prozent (bis zum Haftantritt 2014)
- Karl Hopfner 2014: 99,6 Prozent (bis zur Hoeneß-Rückkehr 2016)
- Uli Hoeneß 2016: 97,7 Prozent
- Herbert Hainer 2019: 98,1 Prozent
In das Ergebnis spielte sicher auch der Umstand hinein, dass Hainer und Co. erneut eine klare Antwort vermieden, ob die im nächsten Jahr auslaufende Partnerschaft mit Qatar Airways verlängert wird. Auch Otts klare Worte, die Haltung der Führung würde den Verein "endgültig instrumentalisieren", führte zu keinem Bekenntnis. "Diese Frage kann ich heute nicht mit Ja oder Nein beantworten", sagte Hainer, der wiederholt auf die Gespräche nach der Weltmeisterschaft im Winter und die anschließende Analyse verwies.
Kahn erklärte in seiner Rede, dass er die Meinung "einiger Fans respektiere". Die Zusammenarbeit rechtfertigte er damit, dass es in Katar in puncto Arbeits- und Menschenrechten "zu Fortschritten gekommen" sei und schlug damit in eine ähnliche Kerbe wie Uli Hoeneß bei dessen Anruf im Sport1-Doppelpass.
Der Ehrenpräsident, eigentlich nur Zuschauer an diesem Abend, war es auch, der das für die Mitglieder wohl grundlegende Problem beim Umgang des Vereins mit dem Katar-Sponsoring am eigenen Beispiel aufzeigte: die fehlende Anerkennung der Fan-Meinung. Denn als er den Saal nach der Präsidentenwahl kurzzeitig verlassen hatte, knöpfte er sich Ott persönlich vor.
"Ihr Auftritt war peinlich! Das ist der Fußballclub Bayern München und nicht die Generalversammlung von Amnesty", beschimpfte er den Juristen und fiel hinsichtlich des sachlichen Dialogs der Klubführung somit aus dem Rahmen. Daran würde Hoeneß ohnehin kein Interesse zeigen, wie Ott später gegenüber der Bild erklärte.
"Ich habe ihm noch gesagt, auch der Fußballclub Bayern München sollte sich an die Menschenrechte halten, aber er wollte meine Antwort gar nicht hören", wird Ott zitiert und bestätigte damit, dass zumindest Teile der hohen Herren beim FC Bayern - dazu zählt Hoeneß noch immer - trotz der Round Tables und Debatten der Meinung der Fan-Seite weiterhin nicht den notwendigen Respekt zollen.
FC Bayern - Thema Nachwuchsarbeit: Jamal Musiala als Paradebeispiel
Angelo Stiller, Adrian Fein, Emre Can, Niklas Dorsch, Chris Richards - die Liste der FCB-Eigengewächse, die kaum oder sogar nie eine Rolle beim deutschen Rekordmeister spielten, ist lang. Dem nahm sich auch ein Mitglied an und sorgte damit für eine Diskussion, mit der im Vorfeld nicht unbedingt zu rechnen war.
"Das ist eine derartig hohe Misswirtschaft", sagte er über die Nachwuchsarbeit des FC Bayern und nannte explizit Stiller und Fein als Beispiel für Talente mit langer Münchner Vergangenheit, die bei den Profis "überhaupt keine Chance" bekommen hätten. Stattdessen würde in "spielerischen Ramsch investiert" werden: "Wie Marc Roca und Bouna Sarr." Es folgte eine knallharte Ansage in Richtung Hainer und Co.: "In anderen Jobs wären sie jetzt überall, aber nicht mehr in ihren Ämtern." Zudem kritisierte der Fan, dass die Verantwortlichen Jamal Musiala als Erfolg für den eigenen Nachwuchs deklarieren würden, obwohl dieser doch beim FC Chelsea ausgebildet wurde.
Eine berechtigte Anmerkung, wie die Vita des 19-Jährigen zeigt. Von 2011 bis 2019 hatte der derzeit gefeierte Musiala die Jugendteams von Chelsea durchlaufen, ehe er an den Campus wechselte. Über die U17 und U19 landete er binnen eines Jahres bei den Profis. In der Saison 2020/21 kam der gebürtige Stuttgarter zu regelmäßigen Kurzeinsätzen, ehe ihm in der vergangenen Spielzeit der endgültige Durchbruch gelang. Er wurde Nationalspieler und fuhr zur EM.
Oliver Kahns Antwort auf die Aussagen, dass Musiala "jung" zum FC Bayern gekommen ist, stimmt freilich. Ihn angesichts des kurzen Aufenthalts am Campus als Aushängeschild für die Nachwuchsarbeit zu feiern, grenzt allerdings an Schönrednerei. Zu lange ist es her, dass ein Spieler schon im Kindesalter das Bayern-Trikot trug und letztlich ein fester Bestandteil der Profi-Mannschaft wurde. Zuletzt gelang das bei Thomas Müller 2009. Auch David Alaba, der 2008 erst mit 16 Jahren von Austria Wien an die Isar wechselte, fällt genau genommen aus diesem Raster.
imago imagesFC Bayern: Mit dieser Aussage trifft Kahn den Nagel auf den Kopf
"Der Abstand zwischen Jugend- und Amateurmannschaft und der Profimannschaft ist gewaltig geworden. Zu unserer Idee gehört es auch, internationale Top-Talente zu verpflichten", erklärte Kahn und nannte Ryan Gravenberch und Mathys Tel als brandaktuelle Beispiele. Dennoch traf er damit den Nagel auf den Kopf, wie insbesondere Stillers Werdegang zeigt.
Als einen "Schlag ins Gesicht" beschrieb der heutige Mittelfeldspieler der TSG Hoffenheim seine Gefühlslage, nachdem ihm im Oktober 2020 in Marc Roca und Tiago Dantas zwei Spieler vor die Nase gesetzt wurden, kurz nach seinem Abschied im Sommer 2021. Dabei war ihm zuvor Hoffnung gemacht worden, wie er im Sommer im Interview mit SPOX und GOAL verriet: "Wer bei der Reserve Leistung bringt, kriegt oben seine Chancen - das war uns immer gesagt worden. Ich hätte mich gefreut, wenn ich mehr Vertrauen gespürt hätte."
Dantas setzte sich letztlich nicht durch und kehrte nach Ablauf seiner Leihe zu Benfica Lissabon zurück. Roca ging im Sommer für zwölf Millionen Euro (17 Millionen Euro mit möglichen Boni) zu Leeds United. Den Spanier als Ramsch zu bezeichnen sei alleine deshalb "schwierig" (Kahn), weil der FC Bayern mit ihm mindestens ein Transferplus von drei Millionen Euro erwirtschaftet hat - obwohl er kaum zum Zug kam. Bei Sarr ist das hingegen nicht zu erwarten. Im Sommer scheiterten die Versuche, einen Abnehmer für den am Knie operierten Franzosen zu finden.
Ebenfalls bezeichnend für die problematische Lage im Nachwuchsbereich des FC Bayern ist das derzeitige Abschneiden der Reserve. Nach der Drittliga-Meisterschaft 2019/20 folgte der Abstieg in die ungeliebte Regionalliga. Weil man den Wiederaufstieg knapp verpasste, kam es zur erneuten Talenteflucht. Gleich elf der 15 am häufigsten eingesetzten Spieler der Vorsaison wechselten, darunter die Leihen von Gabriel Vidovic, Torben Rhein und Bright Arrey-Mbi. Außerdem gibt es Gerüchte, dass Mega-Talent Arijon Ibrahimovic unbedingt weg will. Aus dem angeblich gleichen Grund wie schon bei vielen anderen auch: die mangelnde Perspektive.
So wäre es auch keine Überraschung, wenn Kahn und Co. in ein paar Jahren auch bei Tel und weiteren Talenten, die verpflichtet werden, von guter Nachwuchsarbeit sprechen würden. Dass langjährige Jugendspieler auch nur ansatzweise in die Fußstapfen eines Müllers treten, könnte mit dieser Denkweise aber noch mehr zur Seltenheit werden.
FC Bayern München: Vorstand des Rekordmeisters
Position | Name |
Präsident | Herbert Hainer |
Vorstandsvorsitzender | Oliver Kahn |
Stellvertretender Vorstandsvorsitzender | Jan-Christian Dreesen |
Vorstand Corporate Partnerships und Marketing | Andreas Jung |
Vorstand Sport | Hasan Salihamidzic |