Ein Attribut, das in Verbindung mit Bayerns Auftritt gegen Manchester City am Mittwochabend des Öfteren zu lesen war, lautete "engagiert". Die Hausherren hätten demnach im Viertelfinalrückspiel der Champions League eine engagiertere Vorstellung als noch in der Vorwoche im Etihad Stadium dargeboten. Der Eindruck entstand unter anderem deshalb, weil Bayern im Spielaufbau deutlicher und häufiger die Positionen verschob.
Im Gegensatz zum Hinspiel, als in einzelnen Situationen die Bayern quasi im Sechs-gegen-Sechs im eigenen Spielfelddrittel den Ball gegen Citys Pressing behaupten wollten, boten sich in der Allianz Arena mehr Spieler für kurze Passkombinationen an.
Gerade der Steckpass durch Citys offensive Viererlinie hindurch sollte ein wichtiges Mittel sein, um den eigenen Angriff schneller voranzubringen. Citys Pressing wurde dadurch einige Male schnell gebrochen und ein größerer Teil des englischen Teams musste versuchen, anschließend wieder hinter den Ball zu kommen. Im besten Fall entstanden dadurch für die Bayern vertikale Passstafetten in Richtung des Tores von Ederson.
Konnten die Bayern den Spielaufbau jedoch nicht schnell auslösen, standen sie vor ähnlichen Problemen wie in den vorangegangenen Spielen. Die Pressing-Trigger von City leiteten ein aggressives Aufrücken der Engländer ein und bauten besonders auf Dayot Upamecano Druck auf. Wurde sicherer Raumgewinn erzielt, fehlte es Leroy Sané und Jamal Musiala in den vorderen Räumen an einem Zielspieler für Dreieckskombinationen. Eric Maxim Choupo-Moting ging, wenn er in der Spitze positioniert war, innerhalb der City-Innenverteidigung unter.
Thomas Müller gegen Manchester City nur Reservist
Wer bis zur 72. Minute gar nicht auf dem Rasen stand, war Thomas Müller, was abseits des enttäuschenden Ergebnisses und der kriselnden Stimmung im Klub die Frage aufwarf, ob denn der ewige Bayern-Spieler noch eine wichtige Rolle unter Tuchel spielen könnte. In Liga und Pokal kam Müller seit der Amtsübernahme Tuchels stets von Beginn an zum Einsatz, im Viertelfinale der Champions League blieb für den 33-Jährigen lediglich die Reservistenrolle.
Tuchel gab vorm Rückspiel zur Entscheidung, Müller auf der Bank zu lassen, eine vergleichsweise ausführliche Erklärung ab. Er wählte den Routinier nicht für die Startelf, "weil ich komplett das gleiche Spiel erwarte, in dem wir die Zone vom tiefen Ballbesitz bis zum Tor, diese 60 Meter, mit Geschwindigkeit, Tempo-Dribblings und Läufen überwinden müssen." Das sei "eine Charakteristik, die Thomas nicht auf den Leib geschnitten ist". Müller sei "absolute Weltklasse auf den letzten 25 Metern, bei Abprallern, bei kurzen, gesteckten Bällen, bei ganz kurzen Laufwegen in die Box rein."
Da City aktuell eines der dynamischsten und am weiträumigsten agierenden Spitzenteams ist und Bayern sehr schnell aus dem tiefen Spielaufbau den Raumgewinn einleiten musste, sah Tuchel in Müller eine schlechtere Option als in den tempostärkeren Sané, Musiala und Kingsley Coman. Allerdings stellen die Duelle mit City eine Ausnahme dar, weil es so einen Gegner ansonsten nicht im Spielplan gibt.
Thomas Müller ist und bleibt kein Zielspieler
Die sportliche Zukunft von Müller entscheidet sich in anderen Partien. Glänzen konnte er unter der Leitung Tuchels vor allem beim 4:2-Sieg gegen Borussia Dortmund. Seitdem hat der neue Cheftrainer versucht, das Team noch weiter nach seinen Vorstellungen zu verändern. Anders als seine Vorgänger Julian Nagelsmann und Hansi Flick möchte Tuchel dosierteres Risiko bei eigenem Ballbesitz gehen. So rücken die Außenverteidiger unter ihm nicht mehr unmittelbar nach der ersten Spielaufbauphase weit nach vorn, sondern behalten zunächst die Restverteidigung im Auge; gegen City hat das übrigens nicht immer geklappt.
Im Mittelfeld wird Wert auf die angesprochenen linienbrechenden Pässe sowie Verlagerungen auf die Außen gelegt. Allerdings waren in den bisherigen Partien mit Tuchel an der Seitenlinie schon einige Offensivschemen zu erkennen. Der 49-jährige Cheftrainer ist auf der Suche nach der optimalen Rezeptur mit Choupo-Moting vorn drin oder einer alternativen Variante. Müller wird in jedem Fall den Zielspieler und Ballhalter, den es seit dem Weggang von Robert Lewandowski so nicht mehr gibt, auch nicht ersetzen können.
Seine Stärken liegen bekanntlich in der Vorwärtsbewegung, seinem Timing und dem Erkennen von Räumen. Gegen Dortmund spielte Müller phasenweise groß auf, weil beispielsweise Leon Goretzka den BVB-Sechser Emre Can ein bisschen nach links zog und dadurch Räume für Müller öffnete, der von rechts diagonal einlaufen konnte - entweder in die Zone vor der Abwehr oder direkt in die Dortmunder Abwehrkette hinein.
Stürmerfrage auch für Thomas Müller entscheidend
Wir sind wie immer bei der bekannten Müller-Problematik: Auf dem Papier erfüllt Musiala die Anforderungen, die an den Zehner im 4-2-3-1 oder hohen Achter im 4-3-3 gestellt werden, besser als Müller. Zudem haben die Außenstürmer im Tuchel-System im Optimalfall gehörig Tempo, um sich für Verlagerungen freizulaufen oder auch schnell diagonal in die Mitte zu ziehen. Eine Rolle als etwas eingerückter zweiter Zehner wäre denkbar, wobei dadurch der Außenverteidiger dahinter als breitegebender Spieler schneller aufrücken müsste, was wiederum etwas konträr zur grundsätzlichen Ballbesitzausrichtung Tuchels liefe.
Aber wie so oft in Müllers bisheriger Karriere wird er sich noch eine Weile als Semi-Stammspieler behaupten. Musiala kann ohnehin nicht alle Partien absolvieren und durchläuft wie jeder andere auch Formtiefs. Darüber hinaus ist Müllers Spielweise im letzten Spielfelddrittel kompatibel mit einem höher positionierten Goretzka. Diese Variante gab es gegen den BVB und sie könnte fortan von Zeit und Zeit zum Einsatz kommen, wenn Tuchel etwa eine Doppelsechs mit Goretzka und Müller auseinanderziehen möchte.
Allerdings hängt Müllers Leistungsvermögen - wie das wohl der gesamten Mannschaft - von der Stürmerfrage ab. Müller hat in seiner Karriere immer dann brilliert, wenn er mit einem physisch präsenten Stürmer kooperierte. Choupo-Moting kann gewiss den Teilzeit-Neuner geben, aber die große Lösung, die nun auch öffentlich von der Chefetage des FC Bayern diskutiert wird, ist er nicht.
FC Bayern München: Restprogramm in der Bundesliga - Spiele, Gegner, Termine
Spieltag | Heim | Auswärts | Datum | Anpfiff |
29 | 1. FSV Mainz 05 | FC Bayern München | Samstag, 22. April | 15.30 Uhr |
30 | FC Bayern München | Hertha BSC | Sonntag, 30. April | 15.30 Uhr |
31 | Werder Bremen | FC Bayern München | Samstag, 6. Mai | 18.30 Uhr |
32 | FC Bayern München | FC Schalke 04 | Samstag, 13. Mai | 15.30 Uhr |
33 | FC Bayern München | RB Leipzig | Samstag 20. Mai | 18.30 Uhr |
34 | 1. FC Köln | FC Bayern München | Samstag, 27. Mai | 15.30 Uhr |