Kaum ein Klub kann auf eine derart chaotische Vorsaison verweisen und kein anderer Klub hat derart viel an allen zur Verfügung stehenden Stellschrauben gedreht.
Jetzt geht man mit neuem Klubchef, neuem Sportchef, einem fast neuen Cheftrainer und einem stark verjüngten Kader ins Jahr eins nach der Selbstreinigung. Der HSV übt sich in Understatement und strahlt doch neu gewonnenes Selbstvertrauen aus.Das ist neu
Jede Menge. Die Ära Hoffmann ist vorbei und Carl-Edgar Jarchow wurde vom zunächst kommissarischen zum dauerhaften Klubchef gemacht.
"Die Zeit der Alleinherrscher ist vorbei", läutete Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff die neue Zeit beim Liga-Dinosaurier am 9. Juli offiziell ein.
Vorbei ist auch die Zeit des Klotzens. Sparen lautet das neue Credo. Durch die Abgänge vieler Arrivierter wurde die Payroll bereits deutlich gedrückt und der HSV unterhält nicht länger einen Kader auf Champions-League-Niveau.
Verantwortlich dafür ist seit Mai Sportchef Frank Arnesen. Mit dem Dänen hat der HSV endlich wieder einen starken Manager, der über ein klares Konzept und beste Kontakte verfügt.
"Wir vollziehen einen Umbruch. Viele ältere Spieler sind weg. Wir fangen jetzt mit jungen Leuten an, die großes Talent haben, hungrig sind und gern für den HSV spielen", erläutert Arnesen. "Ich weiß, dass das ein Risiko ist. Aber ich bin davon überzeugt, dass dieser Weg der richtige ist. Ich möchte die besten Spieler für wenig Geld."
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Jugendarbeit, die nicht länger brach liegen soll. Arnesen machte Ex-Profi Bastian Reinhardt zum Nachwuchsleiter und verordnete allen Jugendmannschaften ein gemeinsames taktisches Konzept.
Schöner Fußball, offensiver Fußball, 4-3-3, heißt jetzt die Losung. Bahnbrechend ist das nicht, doch bitter nötig für die HSV-Basis.
Cheftrainer Michael Oenning hat sich die Aufgabe auf die Fahnen geschrieben, eine echte Mannschaft zu formen, den Teamgeist zu fördern und die Verantwortung innerhalb des Kaders auf viele Schultern zu verteilen - und: Die Blockaden zu lösen, die den einen oder anderen Spieler im Schatten der großen Stars vielleicht in seiner Entwicklung behindert haben.
Die Taktik
Das System bleibt ein 4-2-3-1 und die meisten Positionen scheinen fest vergeben. Die Aufstellung beim Pokal-Erfolg in Oldenburg dürfte die derzeitige Stammelf sein. An Jaroslav Drobny im Tor ist nicht zu rütteln, genauso wenig an der Außenverteidigerzange Dennis Aogo und Dennis Diekmeier.
In der Innenverteidigung heißt die Formel 2 aus 3: Heiko Westermann scheint hier die Nummer eins zu sein, auch wenn die Kritik am früheren Schalker nach seinem Patzer im Pokal nicht verstummen wird. Die beiden Neuzugänge vom FC Chelsea, Jeffrey Bruma und Michael Mancienne, werden um den zweiten Platz kämpfen. Mladen Petric ist als Sturmführer gesetzt, Eljero Elia auf der linken Seite ebenfalls.
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Die Doppelsechs bilden derzeit David Jarolim und Gojko Kacar. Doch hier ist das Rennen wohl offener als es scheint. Robert Tesche, eine der positiven Erscheinungen der Vorbereitung, könnte sich durchaus in die Mannschaft spielen. Der 24-Jährige fristete in den ersten beiden Jahren beim HSV ein Schattendasein, blüht nach dem Abgang der Oldies aber sichtlich auf. Oenning traut ihm den Durchbruch zu. Die Vertragsverlängerung mit Tesche vor wenigen Tagen kam nicht von ungefähr. "Robert Tesche hat eine ganz andere Körpersprache als im letzten Jahr", sagte der Trainer über den Ex-Bielefelder.
Vollauf überzeugt hat bislang auch Gökhan Töre. Der 19-jährige Deutsch-Türke, der von Chelsea kam, fügte sich glänzend ein, besticht sowohl durch physische Präsenz als auch durch glänzende Technik und kann zentral oder rechts im offensiven Mittelfeld spielen.
Ebenfalls 19 Jahre alt und ebenfalls kaum wegzudenken ist derzeit Heung-Min Son. Der Südkoreaner lieferte eine überragende Vorbereitung ab und traf in den Testspielen nach Belieben. Eine Alternative zu Son oder Töre stellt freilich Paolo Guerrero dar, dessen Galavorstellungen bei der Copa America sehr wohl registriert wurden. Allerdings verpasste der Peruaner die Vorbereitung mit dem Team und dürfte nicht auf Anhieb in der ersten Elf landen.
In der vergangenen Saison krankte das HSV-Spiel oft an mangelnder Kompaktheit. Oenning hat intensiv an den Abständen zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen üben lassen und die Ansätze sind durchaus vielversprechend. Das Umschaltverhalten von Defensive auf Offensive und umgekehrt wirkt ausgereifter. Gerade im Spiel nach vorn will der HSV schneller und zielstrebiger agieren als noch in der Vorsaison, da unproduktives Quergeschiebe im Niemandsland des Mittelfelds häufig zu beobachten war.
Abweichungen vom System sind freilich nicht ausgeschlossen (siehe auch Spieler im Fokus): Eine Variante mit zwei echten Spitzen (Petric/Guerrero oder Petric/Son) ist durchaus denkbar.
Der Spieler im Fokus
Per Ciljan Skjelbred. Es gibt einige Spieler beim HSV, die ganz allein großen Einfluss auf den Saisonverlauf haben könnten. Petric ist freilich einer. Westermann oder Jarolim ebenfalls. Auch Drobny steht nach einem Jahr im Schatten von Rost im Blickpunkt.
Doch auf keinen darf man wohl so gespannt sein wie Per Ciljan Skjelbred. Der HSV hat ohne Zweifel ein kreatives Vakuum im Zentrum und dieses könnte der norwegische Nationalspieler schließen.
Schafft der 24-Jährige, der schon mit 16 Jahren bei Rosenborg Trondheim debütierte, den Sprung von der mäßigen norwegischen Liga in die deutsche Eliteklasse, könnte er Oenning zusätzliche taktische Variationsmöglichkeiten eröffnen. Eine Raute im Mittelfeld mit Skjelbred auf der Zehnerposition oder ein 4-3-3 mit zwei defensiven Mittelfeldspielern an seiner Seite wären denkbar.
Doch sind derartige Spekulationen noch Zukunftsmusik. Skjelbred kommt erst am Donnerstag nach Hamburg, am Tag vor dem Saisonauftakt bei Meister Dortmund - und es dürfte einige Zeit dauern, bis er einen Platz im Team finden wird.
Das Interview
SPOX: Wie definieren Sie ambitioniert?
Michael Mancienne: Hamburg wurde letzte Saison Achter - aber dieses Jahr glaube ich daran, dass wir unter den Top vier landen können. Deswegen habe ich auch die anderen Angebote abgelehnt und mich auf Hamburg eingelassen. Der Verein hat alles: eine Tradition, eine riesige Fan-Basis und eine tolle Arena. Was jetzt fehlt, ist nur der Erfolg.
Hier geht's zum kompletten Interview mit Michael Mancienne
Die Prognose
Der HSV hat sich des ganz großen Erfolgsdrucks erledigt. Davon, dass ein Platz im internationalen Geschäft Pflicht sei, kann in dieser Saison keine Rede mehr sein. Übergangsjahr und Geduld sind die Schlagwörter.
Das bedeutet aber nicht, dass die Hanseaten den fünften Platz nicht erreichen könnten. Die Mannschaft verfügt über große fußballerische Qualität und - immer noch - reichlich Erfahrung.
Entscheidend wird sein, dass alle an einem Strang ziehen und nicht ständig Unruhe in die Mannschaft getragen wird. Potenzial für einen Platz unter den ersten fünf oder sechs der Tabelle ist jedenfalls da. Oenning selbst sprach von der "Wundertüte der Bundesliga".
Der Kader des Hamburger SV im Überblick