Drei Schlüssel und ein Problem

Daniel Börlein
25. April 201119:53
Manchester United kämpft gegen Schalke 04 um den Einzug ins Champions-League-FinaleGetty
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Der FC Schalke trifft im Champions-League-Halbfinale auf Manchester United (Di., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER). Die Red Devils sind in der Königsklasse Stammgast in der Runde der letzten Vier. Der Grund: Das Defensivkonzept, der neue Ryan Giggs und die Rolle Wayne Rooneys. Aber: United hat auch ein Problem.

In der Premier League ist Manchester United das Maß aller Dinge. Allerdings erlaubten sich die Red Devils in der Liga auch schon den einen oder anderen Ausrutscher, wie Anfang März, als es binnen fünf Tagen Niederlagen gegen Chelsea und Liverpool setzte.

In der Champions League zählt das Team von Coach Sir Alex Ferguson zum vierten Mal in den letzten fünf Jahren zu den besten vier Teams Europas. Einen Ausrutscher in der Königsklasse gab es in dieser Saison bislang noch nicht. Nach zehn Spielen ist United noch immer ungeschlagen, vor allem dank einer starken Defensive.

Sieben Mal blieb das Team um Kapitän Nemanja Vidic ohne Gegentreffer, insgesamt musste Keeper Edwin van der Sar erst drei Mal hinter sich greifen. Uniteds Defensivkonzept gehört zweifelsohne zum Besten, was der Klub-Fußball zu bieten hat. Die Begriffe Ordnung und Balance sind dabei entscheidend.

Darauf hat Sir Alex Ferguson seine Spieler getrimmt, danach richtet er häufig auch seine Aufstellung aus. Generell soll keine Offensivaktion die Stabilität der eigenen Defensive gefährden. Vor allem Uniteds zentralen Mittelfeldspielern kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Michael Carrick ist in der Regel als Sechser gesetzt. Er hält den Raum vor der Abwehr, rückt nur selten mit nach vorne und bietet sich den eigenen Innenverteidigern als zentrale Anspielstation an.

Ryan Giggs: Balance und Ballverteilung

Immer häufiger setzte Ferguson in den letzten Wochen auf Ryan Giggs als Partner von Carrick. Seine Erklärung: "Giggs gibt uns eine bessere Balance, wenn er im Zentrum spielt." Was Ferguson damit meint: Giggs gibt Uniteds Spiel bei Ballbesitz aus der Sechserposition heraus häufig schon mit der ersten Aktion einen Impuls, verleiht der Defensive mit seinem klugen Raumverhalten aber gleichzeitig Sicherheit.

Regelmäßig suchen die Innenverteidiger neben Carrick auch Giggs als Anspielstation für den ersten Ball in der Spieleröffnung. Der Vorteil: Giggs ist der umsichtigere Ballverteiler.

Der Waliser spielt seinen ersten Ball vornehmlich in die Breite, vergrößert damit das aktive Spielfeld und dadurch Uniteds Möglichkeiten für die nächste Aktion und nötigt den Gegner gleichzeitig dazu, möglichst weit verschieben zu müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Abstände dabei nicht genau eingehalten werden und Lücken entstehen, erhöht sich dadurch.

Mit Vorstößen in die Offensive geht Giggs weitaus sparsamer um, als beispielsweise Scholes oder Fletcher, die nach dem ersten Ball nach außen häufiger in die Tiefe gehen, während Giggs eher dem Ball hinterher geht und sich als sichere Anspieloption anbietet. Defensive Stabilität geht eben vor offensiver Variabilität. Ausgerechnet der gelernte Angreifer Giggs setzt dies derzeit am konsequentesten um.

Das Defensivkonstrukt

Im Spiel ohne Ball hat der 37-Jährige seinen festen Platz in Uniteds Defensivkonstrukt - wie alle anderen Akteure auch. Die Defensivordnung ist vorgegeben und wird nach Möglichkeit auch unter allen Umständen eingehalten. Heißt: Acht Feldspieler befinden sich bei gegnerischem Spielaufbau hinter dem Ball, der zehnte (zweiter Stürmer bzw. hängende Spitze) agiert als Störspieler der gegnerischen Mittelfeldzentrale. Einzig die Sturmspitze muss sich nicht konsequent am Spiel gegen den Ball beteiligen.

In der Praxis sieht die United-Ordnung so aus, dass die Außen- und Flügelspieler einrücken, die Abstände zum eigenen Nebenmann so auf wenige Meter verringern und zwei Viererlinien entstehen (siehe Bild 1).

Der ballnahe Akteur der Vierer-Mittelfeldreihe agiert gegen den Ball, rückt allerdings in der Regel sofort wieder auf seine Position zurück, sobald der Ball in den Raum eines Mitspielers weitergespielt wird (siehe Bild 2 bis 5). Nur bei einer vielversprechenden Gelegenheit wird der ballführende Gegenspieler mit mehreren Akteuren attackiert und aggressiv nach dem Ball gejagt.

Uniteds Balleroberungs-Idee besteht vielmehr in der Verknappung des Raumes in der Tiefe und den damit verbundenen schwindenden Möglichkeiten des Gegners, offensiv gezielt agieren zu können. Rund 40 Meter vor dem Tor beginnt dieser Bereich, in dem Uniteds Vierermittelfeld den Gegner in Empfang nimmt.

Teil 2: Rooneys Rolle und ein Problem

Die Rolle von Wayne Rooney

Uniteds Defensivkonzept basiert auf Ordnung, Balance und der disziplinierten Umsetzung der Vorgaben. Die Durchschlagskraft in der Offensive ist eng mit dem Namen Wayne Rooney verknüpft - und vor allem der Art und Weise, wie er seine Rolle interpretiert.

Teilweise bringt Ferguson den 25-Jährigen als vorderste und alleinige Spitze, in den letzten Wochen bevorzugte Manchesters Coach allerdings meist die Variante, Rooney mit Javier Hernandez einen zweiten gelernten Stürmer zur Seite zu stellen. Auf dem Papier agiert United damit mit zwei Angreifern, in der Praxis allerdings agiert Rooney keineswegs als zweite Spitze.

Bei gegnerischem Ballbesitz lässt sich Rooney zurückfallen und stört den Spielaufbau im Zentrum, in dem er den Passweg zurück zustellt oder den ballführenden Gegenspieler aus dessen Rücken kommend anläuft und ihn damit zum schnellen Abspiel zwingt (siehe Diashow Seite 1). Immer wieder klinkt sich Rooney bei seiner Defensivarbeit auch in der Mittelfeldreihe ein, verringert dadurch die Abstände noch mehr und stopft eventuell entstandene Lücken.

Rooney zwischen Mittelfeld und Sturm

Kontrolliert United das Spiel, ist Rooneys Verhalten noch interessanter. Während Hernandez in der Regel konsequent das Sturmzentrum hält und auf Höhe der Innenverteidigung lauert, ist Rooney immer in Bewegung - und zwar ständig zwischen Angriff und Mittelfeld.

Fast bei jedem kontrollierten Spielaufbau sucht Rooney den vertikalen Laufweg Richtung eigene Hälfte, bietet sich als zusätzliche Anspielstation an und eröffnet seiner Mannschaft dadurch zwei Möglichkeiten. Option eins: Rooney bekommt den Ball in den Fuß gespielt (meist mit dem Rücken zum Tor). Von ihm wandert der Ball direkt oder über eine Zwischenstation vornehmlich auf eine der Außenbahnen - im Idealfall auf die von Rooney gesehen weiter entfernte (siehe Bild 1 bis 3).

Der Grund: Ähnlich wie im Fall von Giggs (siehe Seite 1) wird das Spiel dadurch verlagert, die aktive Spielfläche vergrößert und der Gegner zum schnellen Verschieben gezwungen. Der Unterschied zu Giggs: Rooney sucht nach seinem Abspiel den Weg in die Spitze. Dadurch dass der Gegner im Verbund ballseitig verschiebt, kann Rooney auf der ballfernen Seite im Rücken seiner Gegenspieler aus der Tiefe einlaufen und ist durch die Tatsache, dass er aus der zweiten Reihe kommt und von Mittelfeld auf Abwehr übergeben werden muss, noch schwerer greifbar (siehe Bild 4 und 5).

Option zwei: Rooney bekommt den Ball nicht. Durch den Laufweg aus der Spitze Richtung Ball zieht er einen defensiven Mittelfeldspieler oder einen der beiden Innenverteidiger einige Meter aus dessen Position heraus, weil dieser eine kontrollierte Ballannahme Rooneys im gefährlichen Raum vor dem Tor verhindern will.

Der Abwehrreihe wird es dadurch erschwert, eine Linie zu halten, weil innerhalb kürzester Zeit entschieden werden muss: Herausrücken oder die Position halten? Entscheidet sich einer der Abwehrspieler anders als der Rest, entstehen Lücken zum Einlaufen für die Außenbahnspieler oder die Gefahr, dass ein langer Ball auf den lauernden Hernandez zum wirkungsvollen Mittel wird.

Probleme bei Pressing

Uniteds Defensive ist das Aushängeschild der Mannschaft, unverwundbar ist die Ferguson-Elf deshalb allerdings keineswegs. In den letzten Wochen offenbarten die Red Devils bisweilen Probleme, wenn sie mit Pressing aggressiv und früh unter Druck gesetzt wurden. Vor allem Manchester City brachte United im FA-Cup-Halbfinale mit diesem Mittel immer wieder in Schwierigkeiten. So war der Siegtreffer durch Yaya Toure ein Resultat von Citys aggressivem Spiel gegen den Ball weit in ManUniteds Hälfte.

Das Problem: Uniteds Innenverteidiger, ob nun Rio Ferdinand, Nemanja Vidic oder Chris Smalling, haben allesamt Luft nach oben in Sachen Spieleröffnung. Die beiden Außenverteidiger hingegen neigen im Spielaufbau ab und an dazu, zu weit nach vorne zu schieben und nehmen sich damit als mögliche Anspielstation selbst aus dem Spiel (siehe Bild 6 und 7).

Soll die Spieleröffnung dann kontrolliert erfolgen, bleibt dem jeweiligen Innenverteidiger in der Regel nur der flache Pass ins Zentrum auf einen der defensiven Mittelfeldspieler, wodurch bei einem früh attackierenden Gegner die Gefahr des Ballverlustes steigt.

Um dieses Risiko so selten wie möglich einzugehen, müssen Ferdinand, Vidic oder Smalling dann entweder auf die Notlösung Rückpass zu van der Sar zurückgreifen (siehe Bild 9), um wenigstens in Ballbesitz zu bleiben, oder den langen Ball spielen, der allerdings die Aussicht auf Ballverlust deutlich erhöht.

Teil 1: Balance und Ordnung