Für den Moment des Genies

Von Aufgezeichnet von Stefan Rommel und Oliver Wittenburg
Wembley macht sich schick fürs Champions-League-Finale zwischen Barcelona und ManUnited
© Getty

Im neuen Wembley steigt das Spiel des Jahres, das Champions-League-Endspiel zwischen dem FC Barcelona und Manchester United. SPOX sprach mit Barca-Intimkenner und Enke-Biograph Ronald Reng und England-Experte Raphael Honigstein über die vielen Gesichter von ManUtd und Alex Ferguson, den berühmt-berüchtigten Barca-Code und das gewisse Etwas der Superstars Wayne Rooney und Lionel Messi.

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SPOX: Welche Erwartungen habt Ihr an das Spiel?

Ronald Reng: Ich gehe davon aus, dass wir ein attraktiveres Spiel erleben werden, als die Halbfinals zwischen Barcelona und Real Madrid. Manchester United wird eine defensivere Variante wählen mit Fletcher und Carrick im zentralen Mittelfeld. Aber sie werden nicht so körperbetont und so oft Foul spielen wie Real. Es wird auf jeden Fall ein unterhaltsameres Spiel werden. Wenn eine gute Dynamik ins Spiel kommt, dann werden wir vielleicht ein Finale erleben, über das man noch ein paar Jahre länger sprechen wird.

Raphael Honigstein: Ich fürchte, dass es ein ähnliches Spiel werden wird wie vor zwei Jahren. Damals war es zehn Minuten lang sensationell, doch nach Eto'os frühem Tor hat Barcelona das Spiel mit seinen Passfolgen diktiert. Ich habe am Dienstag kurz mit van der Sar gesprochen und er glaubt, dass das erste Tor entscheidend sein wird. Ich glaube auch, dass es in diesem Spiel absolut kritisch wäre, wenn United in Rückstand gerät. Dann könnte es so laufen wie 2009.

Reng: 2009 war United anfangs wirklich sensationell. Man saß auf der Tribüne und dachte: 'Geil, endlich mal eine Mannschaft, die gegen Barcelona spielt und sensationell spielt!' Aber das Tor hat Barca die absolute Kontrolle gegeben. Und wenn man gegen sie in Rückstand gerät, dann sieht man einfach den Ball nicht wieder. Bei 90 Prozent liegt in dieser Saison die Passsicherheit bei Barca. Das hat nicht mal Dietmar Hamann geschafft. Es kann aber durchaus passieren, dass es lange 0:0 steht oder United das erste Tor macht. Beide haben die Qualität, dass es ein ordentliches Finale wird.

Honigstein: 2009 habe ich 3:0 für United getippt. Der Hintergrund war, dass ich das Gefühl hatte, dass Ferguson nach 1999 und 2008 ein Finale so gewinnen wollte, dass hinterher alle von seiner Mannschaft schwärmen. Und so haben sie dann auch gespielt. Allerdings hielt das nur zehn Minuten. Wenn er aber diese Überlegung ausblendet und nur ans Ergebnis denkt, was er sicher machen wird, dann müsste sich United eigentlich sehr weit hinten reinstellen. Das hat 2008 zum Beispiel fantastisch geklappt.

Reng: Ferguson erzählt verdächtig oft, wie gut das damals beim Halbfinal-Hinspiel in Barcelona funktioniert hat. Da hat Wayne Rooney im rechten Mittelfeld und beinahe einen zweiten Rechtsverteidiger gespielt. Und so hat United ein 0:0 nach Hause geschaukelt und sich im Rückspiel qualifiziert. Sie werden defensiv spielen, aber nicht so ultradefensiv wie etwa Real Madrid im Halbfinale. Manchester wird das berühmt-berüchtigte Umschalten deutlich häufiger und präziser versuchen und auch praktizieren als Real.

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SPOX: Mit welchem Ansatz wird Manchester versuchen, das Spiel von Barcelona zu verteidigen?

Honigstein: Das größte Problem ist ja, dass United gegen eine Mannschaft spielt, die keinen Mittelstürmer hat. Vidic hat erzählt, dass er und Ferdinand teilweise wohl gar nicht wissen werden, was sie eigentlich tun sollen, weil Messi irgendwo am Mittelkreis sein wird. Das genau ist die Schwierigkeit. Uniteds Verteidigung ist unheimlich stark, aber eben gegen englische Mittelstürmer, die vorne rumwühlen. Solche Leute prallen bei Vidic und Ferdinand einfach ab. Schwierig wird es eben gegen einen wie Messi, der häufig dann erst auftaucht, wenn es schon zu spät ist. Sie sind es nicht gewohnt gegen einen unsichtbaren Sturm zu spielen. Das ist kaum eine Mannschaft gewöhnt - und hier in England erst recht nicht.

Reng: Gegen Barcelona ist der Denkanspruch immer sehr hoch und sehr große Konzentration gefordert. Die Viererkette wird ständig von einer auf die andere Seite gescheucht. Und sehr wichtig ist, dass sich keiner der Innenverteidiger von Leo Messi aus der Viererkette locken lässt. Am besten spielt man dagegen, indem man zwei oder sogar drei defensive Mittelfeldspieler einsetzt, um Barcelonas Kreativität schon im Mittelfeld zu ersticken. Aber das Problem bleibt natürlich und es ist so banal wie schwer zu lösen: Barca besetzt beide Flügel und zieht damit das Spiel und die gegnerische Verteidigung so weit in die Breite, dass Lücken entstehen. Und da konsequent fünf oder sechs Spieler in der Offensive involviert sind, finden sie auch die Räume.

Honigstein: Interessant wird eben sein, wie United das im Mittelfeld löst. Das haben sie Viertausend....ach Quatsch... 2009...

Reng: Viertausend wird Fergie immer noch Trainer sein.

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Honigstein: Also 2009 haben sie es nicht hingekriegt. Ronnie wird sich auch erinnern: Da haben sich alle gewundert, dass Ferguson 90 Minuten nicht reagiert hat, obwohl United im Mittelfeld immer einen Mann zu wenig hatte. Die Idee, dass sich Giggs im 4-4-2 als hängende Spitze zurückfallen lässt und das Mittelfeld verstärkt, hat überhaupt nicht funktioniert und Carrick und Anderson sind damals nur irgendwelchen Schatten hinterher gejagt. Die Frage ist jetzt, ob Fletcher schon die notwendige Fitness hat. Ferguson zweifelt selbst daran. Aber mit Carrick und Giggs als Schirm vor der Abwehr wird es sehr schwer, auch wenn Rooney sicher viel nach hinten arbeiten kann.

Reng: Er kann aber nicht mit Giggs und Carrick im zentralen Mittelfeld spielen. Das ist meine Meinung. Das beste Beispiel, wie man gegen Barcelona spielt, hat immer noch Guus Hiddink im Halbfinale 2009 mit Chelsea gegeben. Auch damals hat Guardiola Messi schon als "falschen Mittelstürmer", wie man hier sagt, gebracht. Aber Chelsea hat mit Essien, Ballack und Lampard im Mittelfeld komplett zugemacht und besser als jede andere Mannschaft gezeigt, wie man Barcelona schon im Mittelfeld bremsen kann und aktiv den Ball sucht.

SPOX: Was passiert eigentlich, wenn Manchester United den Ball hat?

Reng: Ich glaube, dass United versuchen wird, punktuell über Mittelfeldpressing Druck zu machen und bei Ballbesitz schnell umzuschalten. Mit Park und Rooney haben sie die Spieler mit den technischen Fähigkeiten, einen Pass in den Rücken der Abwehr zu spielen. Es geht darum, die technische Superqualität in einer kleinen Sekunde zu finden und den Moment des Genies irgendwann zu haben.

Honigstein: Was in den letzten Wochen sehr gut geklappt hat, war einfach Rooneys Spiel. Er hat im Moment den Fokus und die Konzentration, genau das Richtige zu machen. Und das klappt so gut, weil vorne Chicharito spielt, der die Verteidiger sehr weit hinten hält, weil man gegen ihn nicht so hoch verteidigen kann - dafür ist er zu schnell. Er gibt Rooney die Räume, in denen er wirbeln kann. Die Frage ist aber, ob Chicharito spielen wird, falls Ferguson einen dritten zentralen Mittelfeldspieler bringt. Das ist ein echtes Dilemma für Ferguson, weil das 4-4-2 oder 4-4-1-1 zuletzt so gut funktioniert hat. Eine starke Waffe waren zuletzt auch die Diagonalbälle. Simpel eigentlich, aber schwer zu verteidigen, wenn sie perfekt gespielt sind. Ich sehe es aber ähnlich wie Ronnie, dass United es drei, vier Mal richtig versuchen wird, um dann aus diesen Situationen das Tor zu machen. Das geht natürlich nur, wenn du den Ball auch mal so hast.

SPOX: Apropos... Wie emotional abgehärtet muss man eigentlich sein, um das Spiel von Barcelona als Gegner 90 Minuten oder auch länger ertragen zu können?

Reng: Man muss sich eben bewusst sein, dass das keinen Spaß macht und irgendwann der Punkt kommt, an dem man eigentlich nicht mehr immer nur blöd hinterher rennen will. Aber in einem Champions-League-Finale ist man sehr leidensfähig, und die Spieler haben eine so hohe Qualität und Konzentrationsfähigkeit, dass sie das als normal akzeptieren werden und sich halt denken werden, dass sie eben einen anderen Sport machen, Leichtathletik oder Langstreckenlauf...

SPOX: Wie ist eigentlich der Stellenwert des FC Barcelona in England? Nicht aus der Sicht des Experten, sondern aus der Perspektive des normalen Fußball-Fans...

Honigstein: Barca wird auch vom normalen Fan als beste Mannschaft der Welt gesehen, allerdings gab es einen gewissen Backlash nach den Halbfinalspielen gegen Real. Zum Horror der Fernseh-Reporter, Journalisten und Fans lag da der eine oder andere Barcelona-Spieler zu viel am Boden und hat sich Körperteile gehalten, die überhaupt nicht getroffen worden sind. Das hat Barca schon viele Sympathien gekostet, denn wenn der Engländer eins nicht sehen kann, dann sind das auf dem Boden liegende, schreiende Spieler. Da hat die Wertschätzung definitiv gelitten. Und das Bedürfnis vieler Leute, Barca siegen zu sehen, ist sicher nicht mehr so ausgeprägt wie 2009.

SPOX: Und umgekehrt: Wie steht der Spanier zu United?

Reng: Manchester ist die Mannschaft des Jahrzehnts neben Barcelona. Es wird sehr bewundert, wie es Ferguson gelingt, das Team immer neu zu erfinden, umzubauen und ganz anders Fußball zu spielen und doch immer zu gewinnen. Der Respekt ist sehr groß vor dieser Fähigkeit.

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