Bayern-Trainer Jupp Heynckes schwärmt von der "ungeheuren Angriffswucht" vom heutigen Champions-League-Gegner Real Madrid, hat aber auch Schwachstellen bei der Mannschaft von Trainer Jose Mourinho entdeckt. Die Schlüssel für einen möglichen Erfolg des FC Bayern München gegen die Königlichen.
107 Liga-Tore in 33 Spielen. Vier Punkte Vorsprung auf den FC Barcelona. Ungeschlagen ins Halbfinale der Champions League gestürmt. Real Madrid spielt eine starke Saison, laut Bayern-Trainer Jupp Heynckes gar eine "viel bessere, effektivere" als 2010/11, als die Königlichen immerhin den spanischen Pokal gewannen, Vizemeister wurden und das Halbfinale der Champions League erreichten.
Der Respekt des FC Bayern München vor dem heutigen Gegner (20.15 Uhr im LIVE-TICKER) ist zweifelsohne da - mehr aber auch nicht. "Wer Angst hat, ist im Fußball fehl am Platz. Und wenn wir nicht in einem Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid alles aus uns herauslosen - wann dann?", sagte Kapitän Philipp Lahm.
Heynckes schwärmt von Reals "ungeheurer Angriffswucht" und dem Eifer der Mannschaft. "Das Team ist sehr arbeitswillig, jeder bringt sich total für das Kollektiv ein. Das ist der große Unterschied zu den einstigen 'Galaktischen'", sagte Heynckes dem "Kicker".
Dennoch hat der Bayern-Coach in vielen Videostudien "Schwachstellen bei Real" entdeckt. Bayerns Schlüssel für einen möglichen Erfolg gegen Real Madrid.
Ballverluste im Zentrum verhindern
Die Angriffsreihe Ronaldo/Özil/di Maria empfängt den Gegner weit in dessen Hälfte. Sobald Druck am Ball ist, rückt zusätzlich einer der beiden defensiven Mittelfeldspieler (meistens Xabi Alonso) ein paar Meter nach vorne.
Das schnelle Umschaltspiel nach der Balleroberung ist ein Faustpfand der Königlichen. Der Mittelstürmer (in München wahrscheinlich Karim Benzema) lässt sich fallen, um als zusätzliche Anspielstation zu dienen. Die offensive Dreierreihe schwärmt in alle Richtungen aus und schafft schnell Überzahl. (siehe Bild 3)
Die Bayern müssen sich auf ein Vabanquespiel einlassen. Einerseits darf die Defensive nicht zu tief stehen, damit Real weitgehend vom eigenen Tor weggehalten wird. Zudem sind auf den Flügeln Ronaldo und auch di Maria schwer zu stoppen, wenn sie ins Dribbling gehen.
Andererseits laufen die Bayern Gefahr, bei zu hoch stehender Verteidigung, wie in der Diashow veranschaulicht, überrannt zu werden. Sie müssen daher Ballverluste im Zentrum vermeiden, sonst wird's gefährlich.
"Die größte Schwierigkeit besteht darin, Reals explosives Umschalten in die Offensive zu kontrollieren, da sind sie sehr gut", sagte Valencias Ricardo Costa, der es beim 0:0 in Madrid am 7. April mit Ronaldo zu tun bekam.
"Die Defensivarbeit gegen Real ist ungemein fordernd. Sie verlangt totale Konzentration, Schnelligkeit, viel Kommunikation und Disziplin. Die kommen mit fünf, sechs Mann auf dich zu, sind in ihrem Spiel unglaublich vertikal und schnell. Da ist es umso wichtiger, nah an deinem Gegenspieler zu sein, sonst bist du verloren", so Costa.
Teil 2: Die Aufgabe der Doppelsechs
Teil 3: Agieren statt reagieren: Druck auf die Außenverteidiger
Die Aufgabe der Doppelsechs
Um die Gefahr des schnellen Gegenangriffs zu unterbinden, wird es für die Bayern zudem wichtig sein, die Abstände zwischen Doppelsechs und Viererkette so gering wie möglich zu halten. Bastian Schweinsteiger spielte beim 0:0 gegen Mainz einige Meter hinter Partner Anatolij Tymoschtschuk und reihte sich bei Mainzer Angriffen bisweilen als dritter Innenverteidiger ein. Eine Rolle, die Barcelonas Sergio Busquets in vielen Spielen gegen Real Madrid erfolgreich ausübte.
Für Schweinsteiger könnte die "Übung" gegen Mainz am Dienstag Sinn machen. Die Bayern würden Real (vor allem Özil) so weniger Platz im Zentrum lassen, der Abstand zur Viererkette wird klein gehalten. Gegen Mainz rückte Schweinsteiger bei eigenem Ballbesitz nach vorne auf eine der beiden Halbpositionen, wo er Löcher zulief und die Außenverteidiger beim Aufrücken unterstützte.
Von dort spielte Schweinsteiger weite Diagonalbälle zur Spielverlagerung auf die andere Seite - gerade gegen eine Mannschaft wie Real, die das Pressing bevorzugt, eine brauchbare Waffe.
Schweinsteigers Partner gegen Real (voraussichtlich Luiz Gustavo) muss gleich zwei defensive Aufgaben lösen. Wichtigster Auftrag: Xabi Alonso aus dem Spiel nehmen. Alonso gibt als Verbindungsglied zwischen Defensive und Offensive im Real-Spiel den Takt vor, fast alle Angriffe laufen über ihn. Unterstützt werden muss Gustavo dabei von Bayerns zentral-offensivem Mittelfeldspieler (wahrscheinlich Kroos).
"Die Defensive von Real ist im Aufbau nicht sicher, sucht sofort Xabi Alonso. Das zu unterbinden ist wichtig", sagte Ex-Real-Spieler und -Coach Bernd Schuster.
Wie es funktionieren kann, zeigte zuletzt der FC Valencia beim 0:0 im Ligaspiel. Der Argentinier Tino Costa wurde als Wachhund für Alonso abgestellt. Oft lag so die wichtigste Phase des Spielaufbaus bei Arbeloa, Sami Khedira oder Raul Albiol, deren Talent für derartige Belange knapper bemessen ist.
Die zweite Aufgabe von Gustavo besteht darin, Lahm bei der Verteidigung Ronaldos zu unterstützen und zu verhindern, dass der Portugiese ins Zentrum zieht oder den Ball quer auf Özil ablegt.
Teil 1: Ballverluste im Zentrum verhindern
Teil 3: Agieren statt reagieren: Druck auf die Außenverteidiger
Druck machen auf die Außenverteidiger
Reals Grundordnung ist asymmetrisch. Der linke Verteidiger (Marcelo oder - eher wahrscheinlich - der defensiv stärkere Fabio Coentrao) geht oft mit nach vorne, Rechtsverteidiger Arbeloa hält sich vergleichsweise deutlich zurück.
Bei Kontern des Gegners rückt Arbeloa nach innen, um mit den Innenverteidigern Ramos und Pepe eine defensive Dreierkette zu bilden. Dadurch entsteht aber zwischen Arbeloa und di Maria ein Vakuum, das von Alaba, Ribery und auch Kroos genutzt werden muss, um die linke Seite zu überladen. Und Ribery hat im Eins-gegen-Eins mit Tempo gegen Arbeloa klare Vorteile. Getty
Ähnlich vielversprechend ist der Ball auf Arjen Robben, wenn Reals Linksverteidiger zu weit aufgerückt ist. Lahm und Alaba müssen zudem Gelegenheiten finden, Ribery und Robben zu hinterlaufen, um di Maria und auch Ronaldo zur ungeliebten Abwehrarbeit zu zwingen.
Durch die Grundordnung hat Real Madrid dann defensiv ein Problem, wenn der Gegner den Ball aus dem Zentrum auf den Flügel bringt und dort in Überzahl agieren kann, wenn sich der jeweilige Außenverteidiger mit einschaltet.
Wird der Ball schnell gemacht, stehen Reals Außenverteidiger alleine da und sind in ihrem Rücken verwundbar. Verhindert werden kann dies von Madrid nur, wenn einer der defensiven Mittelfeldspieler die Verteidiger unterstützt - eine Aufgabe für Laufwunder Khedira.
Agieren - nicht reagieren
Real Madrid hat neben dem FC Barcelona die beste Offensive in Europa. Philipp Lahm fordert daher "höchste Konzentration und Agressivität" in der Defensive und würde im Hinspiel bereits ein 0:0 akzeptieren. Um eine echte Chance gegen Real zu haben, müssen die Bayern aber aktiv das Spiel gestalten.
Valencia hat es im Bernabeu vorgemacht. "Unsere Richtlinien lauteten: einen gewissen Prozentsatz an Ballbesitz zu haben, ihre Konter zu vermeiden und an unsere eigenen Optionen zu glauben. Das hat ganz gut funktioniert", sagte Trainer Unai Emery.
Bernd Schuster empfiehlt den Bayern frühes Pressing. "Frühe Ballverluste tun Real weh. Sie haben ohnehin großen Respekt vor Bayern, vor allem auswärts. Real Madrid hat in München noch nie etwas gerissen. Denen wird schon mulmig, wenn sie den Münchner Flughafen ansteuern. Man sollte sie von Beginn an unter Druck setzen."