Störenfried und Fallensteller

Stefan Rommel
23. Mai 201316:32
Coach Jupp Heynckes (M.) und zwei seiner Schlüsselspieler: Mario Mandzukic (l.) und Javi Martinezgetty
Werbung
Werbung

Plagiat oder nicht? Tatsache ist, dass sich die Bayern in Dortmunds Spezialdisziplinen nahe zur Perfektion verbessert haben. Was ganz besonders an den Zugängen Mario Mandzukic und Javi Martinez liegt.

Die fantastischen Leistungen der Bayern in dieser Saison sind sehr eng verknüpft mit einer Neuausrichtung des Spielsystems von Trainer Jupp Heynckes. Der Rekordmeister variiert sein Spiel in dieser Saison so sehr, dass einige Bausteine an die von Borussia Dortmund erinnern.

Nicht zuletzt deshalb ließ sich Jürgen Klopp auch zu der riskanten These hinreißen, die Bayern hätten Dortmunds Stil kopiert und wären gerade deshalb so erfolgreich in dieser Saison. Klopp bereut der Vergleich mittlerweile, weil er eine an und für sich lohnenswerte Diskussion ganz schnell auf eine populistische Ebene gezogen hat.

Dennoch ist es interessant zu sehen, wie stark sich die Bayern in ihrem System auf eine abgewandelte Defensivstrategie versteift haben und wie diese funktioniert. Neben den taktischen Inhalten hängt das Verfahren besonders auch an der Spielauffassung von Javi Martinez und Mario Mandzukic.

Im Spielvortrag ergeben sich die Abänderungen durch die Rotation einzelner Spieler zwischen den Mannschaftsteilen, die den Bayern insofern Flexibilität bringt, da nicht nur Referenzpunkte in der Tiefe zu finden sind, sondern auch in der Breite.

Insbesondere den Flügelspielern und den beiden Außenverteidigern kommen hier tragende Rollen bei. Die Münchener versuchen das Spiel im 4-2-3-1 immer wieder in die Breite zu ziehen. Robben/Müller und Ribery sind angehalten, ihre Positionen beim Spielaufbau zu halten. Läufe ohne Ball zur Mitte sind bei Robben und Ribery eher selten, Müller dagegen tummelt sich gerne auch mal weiter eingerückt.

Von den Außenverteidigern schiebt mindestens einer sehr hoch nach vorne. Gleichzeitig lässt sich zumeist Schweinsteiger zwischen die Innenverteidiger fallen. Die Bayern lösen so ihre Viererkette bei eigenem Ballbesitz auf und schaffen durch die beiden aufgerückten Außenverteidiger Überzahl im Mittelfeld. Lahm und Alaba sind in jeden Angriff über ihre Seite involviert und rücken gegebenenfalls auch energisch mit nach. Gerade für Dortmund mit seiner Strategie, den Gegner samt Ball nach außen zu drängen, um ihn dort zu bekämpfen, ein Problem.

In dieser Saison gern gespielt ist demzufolge auch die Variation über einen aufrückenden Außenverteidiger, auf den das Spiel verlagert wird und der als Zwischenstation fungiert für den Pass zurück ins Zentrum. Der Gegner ist jetzt auseinandergezogen und bietet mehr Platz für einen Pass in die Tiefe, in die Robben/Müller oder Ribery mit Tempo einlaufen.

Perfektioniertes Münchener Pressing:

Letzte Saison hatten die Bayern nur selten Momente, in denen sie nach einem frühen Ballgewinn schnell in den Vorwärtsgang umschalten konnten. Das lag zum einen an alten Gewohnheiten. Ex-Trainer Louis van Gaal bevorzugte andere spielerische Elemente und legte weniger Wert auf eine aggressive frühe Balleroberung als auf einen geordneten Rückzug.

Dieses "Nach-vorne-Verteidigen" verinnerlichten die Bayern erst in dieser Saison unter Jupp Heynckes immer mehr - und sie holten sich dafür auch die richtigen Spieler. Vom Zurückweichen vergangener Tage ist kaum noch etwas übriggeblieben, auch wenn die Bayern nicht in jeder Situation sofort nachsetzen, sondern mittlerweile ein nahezu perfektes Gespür dafür entwickelt haben, wann es Sinn macht und wann auch mal nicht.

Vor Manuel Neuer im Tor, der der weit herausrückenden Viererkette die nötige Sicherheit gibt und den Raum auch weit vor seinem Tor jederzeit im Blick hat, um gegebenenfalls einzugreifen, haben die Bayern ihren Block einige Meter nach vorne geschoben. Die Absicherung auch für riskantere Pressingaktionen mit mehreren Spielern ist fast immer da, zumal in Dante/Boateng die wohl beste Innenverteidigung der Liga auch noch aufpasst.

Die größten Umstellungen ergaben sich durch die veränderte Aufgabenstellung für die Flügelspieler im Mittelfeld. Während Müller schon immer eifrig in der Defensivbewegung stattfand, haben nun auch Robben und Ribery ihr Spektrum erweitert. Dabei sind sie beweglich, und laufstark. Eine besondere Zweikampfhärte ist nicht primär gefragt. In den meisten Fällen sind die defensiven Mittelfeldspieler oder nach einem langen Ball die Innenverteidiger in der finalen Balleroberung gefragt.

Seite 2: Zwei Schlüsselspieler für die Defensive

Zwei Schlüsselspieler für die Defensive:

Zwei Spieler, die letzte Saison noch nicht im Münchener Dress unterwegs waren, helfen den Bayern bei der Umsetzung ihrer Defensivtaktik elementar: Javi Martinez und Mario Mandzukic.

Mandzukic hat sich schnell als ein Stürmer moderner Prägung entpuppt. Er bringt neben den Qualitäten in der Offensive auch die Gabe mit, sich in defensive Abläufe schnell und intuitiv einfühlen zu können. Das unterscheidet ihn zum in dieser Disziplin zwar deutlich verbesserten, aber nicht ganz so wertvollen Gomez und zu Pizarro, der im Prinzip noch ein klarer Angreifer im und um den Strafraum herum ist. SPOX

Auffällig dabei ist, wie Mandzukic gar nicht immer nur in vorderster Linie den Aufbau des Gegners stört. Da bekommt er immer wieder Unterstützung von einem der drei offensiven Mittelfeldspieler, manchmal sogar von Schweinsteiger oder Martinez, die aus ihrer Position rausstechen und einen kurzen Moment Druck auf die gegnerischen Innenverteidiger ausüben.

Mandzukic hat eine Nase dafür, wann er sich "einfach" im Raum bewegen muss und wann sich ein hartnäckiges Attackieren lohnen könnte. So steht der Kroate selbst bei minimalem Laufaufwand (und ebenso gedrosselter Laufgeschwindigkeit) so geschickt, dass er viele einfache Passwege des Gegners zustellen kann. Und sich um den Aufbauspieler des Gegners kümmern kann - was ihn gerade gegen den BVB mit Gündogan zu einer Waffe macht.

Unspektakulär, aber effektiv stört Mandzukic immer wieder dessen Kreise, verleitet den Gegner zu Abspielen in gefährliche Zonen, setzt dann plötzlich aus dem leichten Trab energisch zu und erweist sich auch als Offensivspieler im defensiven Zweikampf als äußerst geschickt.

Martinez ist ähnlich listig unterwegs. Der Spanier wirkt durch seine schlaksige Art und seinen unrunden Laufstil immer etwas hölzern. Und trotzdem gewinnt er in der Bundesliga neben Roman Neustädter von Schalke 04 die meisten Bälle.

Ein großes Plus ist dabei seine sensationelle Antizipation. Martinez erahnt die Spielzüge des Gegners, verschafft sich mit vielen kleinen horizontalen und diagonalen Läufen eine gute Ausgangsposition, um dann bei der ersten Gelegenheit zuzugreifen. Dem Gegner fehlen Anspielstationen besonders auf den Flügeln, weil Martinez immer wieder die Bahn der Passwege kreuzt.

Ist er dann doch mal nicht zur Stelle oder - wie in den seltensten Fällen, begeht er, wenn es sein muss, auch weit ab des eigenen Tores ein Foul oder bringt den Gegenspieler zumindest ins Straucheln.

Oft sieht man ihn zwischen seinen Läufen nur scheinbar teilnahmslos durchs Mittelfeld schlendern. Das ist kein Zufall, sondern Methode. Die Gegner fallen auf seine passive Spielwiese rein, rechnen offenbar nicht immer mit Martinez' Gewieftheit. Die Ausbildung in der Innenverteidigung habe ihm dabei sehr geholfen, sich auf die Ideen und Bewegungen gegnerischer Offensivspieler besser einstellen zu können, wie Martinez selbst sagt.

Sehr spannend könnte es werden, wenn Ilkay Gündogan nach Mario Götzes Ausfall aus dem defensiven Mittelfeld eine Position nach vorne rutscht und so noch mehr im Wirkungskreis von Martinez auftaucht. In einen Spieler seiner eigenen Position sollte sich Javi Martinez eigentlich noch besser hineinversetzen können.

Das ist Bayern München