"Deutsche sind schwer zu bekommen"

Dietmar Beiersdorfer bekleidet seit 2012 das Amt des Sportdirektors bei Zenit St. Petersburg
© getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Sie arbeiten bei Zenit vorwiegend im Hintergrund. In Deutschland erfährt man kaum etwas darüber, wie es Ihnen in St. Petersburg geht. Liegt Ihnen diese relative Anonymität?

Beiersdorfer: In Russland gibt es eine ganz andere Einstellung zur Medienpräsenz eines Sportdirektors. Das ist am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, bringt aber auch viele Vorteile. Man hat zum Beispiel wesentlich mehr Zeit, sich auf seine eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren. In der Bundesliga stellt die Öffentlichkeitsarbeit auch für den Sportdirektor einen immensen Zeitfaktor dar.

SPOX: Wie verlief denn die Phase des gegenseitigen Beschnupperns? Hat man Sie da zunächst etwas genauer beobachtet?

Beiersdorfer: Es ist immer so, dass man angenehmer und erfolgreicher arbeiten kann, wenn gegenseitig Vertrauen herrscht. Dieses gilt es aufzubauen, mit dem Trainerteam genauso wie mit der Administration und den Entscheidungsträgern. Das ist ein fortlaufender Prozess. Zumindest das unterscheidet sich nicht viel von der Bundesliga, nur das man am Start viel, viel weniger übereinander weiß. Aber man wächst mit der Zeit rein und es kommen die Situationen, in denen man weiß, wann man, von wem, was erwarten kann oder auch nicht.

SPOX: Wie sieht die Unternehmensstruktur bei Zenit aus? Wer trifft die Entscheidungen oder segnet Vorschläge ab?

Beiersdorfer: Wie fast jeder Verein haben auch wir ein Board of Directors. Meine Aufgabe ist es, die Personalien im sportlichen Bereich auf- und vorzubereiten und den Headcoach in diese Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das Board hat natürlich auch eine sportliche Einschätzung, überprüft aber im Wesentlichen die wirtschaftliche Machbarkeit. Ich habe einen Generaldirektor und einen Präsidenten als Vorgesetzte, mit denen ich in solchen Fällen zusammensitze und die Transfers bespreche. Am Schluss entscheidet der Präsident.

SPOX: Zwischen Ihrer Zeit bei Red Bull und Ihrem Engagement bei Zenit lag etwas mehr als ein Jahr. Den Kontakt zu Ihnen stellte die Agentur Sportstotal her. Wann sind Herr Struth und Herr Hebel erstmals auf Sie zugekommen?

Beiersdorfer: Es gab diverse Kontakte zu anderen Klubs, doch wollte ich mir vor einem neuerlichen Engagement Zeit lassen. Der erste Kontakt fand Mitte Juni statt. Die Agentur stand zuvor in Gesprächen mit den Entscheidungsträgern von Zenit. Diese sagten, dass der Verein einen Sportdirektor suche, der auch international tätig sein kann und hilft, Zenit weiter auf dem europäischen Markt zu etablieren.

SPOX: Waren Sie überrascht?

Beiersdorfer: Nicht unbedingt überrascht, aber sehr erfreut. Zenit ist ein großer Klub und natürlich war ich gerne bereit, mich mit den Verantwortlichen zusammenzusetzen. Die Entscheidung, künftig miteinander zu arbeiten, fiel dann auch innerhalb kurzer Zeit.

SPOX: Haben Sie sich am Ende auch ein wenig gedacht: Ich mache das jetzt einfach mal und schaue, was letztlich passieren wird? Schließlich konnten Sie ja kaum auf Erfahrungswerte zurückgreifen?

Beiersdorfer: Die Aufgabe in St. Petersburg hat mich von der ersten Sekunde an sehr gereizt. Ich empfinde es als großes Privileg, für diesen Verein arbeiten zu können und bin dankbar für diese Möglichkeit.

SPOX: Ist dieses Interesse am Neuen, am Anderen typisch für Sie?

Beiersdorfer: Das kann man durchaus so sagen. Ich bin immer gerne gereist und habe nie die Entfernung gescheut. Schon mein erster Wechsel zum HSV war für einen Anfang 20-Jährigen ein großer Schritt, weit weg von der Heimat. Ich habe in Italien gespielt und während meiner Zeit als Sportlicher Leiter für das Gesamtprojekt Fußball von Red Bull habe ich viele Länder bereist und war eigentlich immer woanders.

SPOX: Wie verlief denn auf rein privater Ebene die Anfangszeit in Russland: Mussten Sie sich sehr umstellen?

Beiersdorfer: Das verlief wesentlich entspannter als zunächst gedacht. Wir konnten sofort ein vollmöbliertes Appartement mieten und haben uns schnell wohlgefühlt. Meine Familie ist eine Hälfe des Jahres bei mir in St. Petersburg, die andere Hälfte in Hamburg. Das klappt eigentlich sehr gut, zumal meine jüngste Tochter in beiden Städten einen Platz in einem internationalen Kindergarten hat.

SPOX: In Russland sind die Winter sehr lange und ungemütlich. Wie kommen Sie damit zurecht?

Beiersdorfer: Man muss sich daran gewöhnen, auch wenn es wirklich schwierig ist. Im November und Dezember ist es schon bedrückend, wenn es um 11 Uhr hell wird und um 16 Uhr schon wieder dunkel. Das schlägt sich auch auf die Stimmung. Dafür haben wir im Sommer teilweise über 20 Sonnenstunden am Tag. Außerdem liegen wir ja direkt am Finnischen Meerbusen und können viel Zeit am Wasser verbringen.

SPOX: Sie sprechen bei der Arbeit Italienisch mit dem Trainerteam und greifen ansonsten auf Englisch zurück. Wie steht es um Ihre Russisch-Kenntnisse?

Beiersdorfer: Ich habe angefangen, Russisch zu lernen. Das war aber nur eingeschränkt erfolgreich (lacht). Ich war froh, als die Transferperiode losging, weil das natürlich eine prima Ausrede war, nicht zu jeder Russisch-Stunde zu erscheinen. Dafür fällt es mir jetzt natürlich umso schwerer, wieder einzusteigen.

Seite 1: Die Transfers von Hulk, Witsel und Gespräche mit deutschen Spielern

Seite 2: Die Entscheidungsstruktur und die Eingewöhnung bei Zenit

Seite 3: Rassismus, randalierende Fans und die Marschroute gegen den BVB