Auf Philipp Lahm ist nach Spielen des FC Bayern München in der Mixed Zone Verlass. Er ist Kapitän. Er stellt sich. Ob es nun gut oder weniger gut gelaufen ist. Er äußert sich meist meinungsstark, legt den Finger in die Wunde.
Am Dienstagabend im Estadio Santiago Bernabeu gehörte er zu den gefragtesten Gesprächspartnern. Schließlich hatte er soeben sein letztes Spiel auf der Bühne Champions League absolviert.
Doch Lahm kam nicht. Der Grund: Dopingprobe. Bis das Prozedere der UEFA vorbei war, musste der Bayern-Tross auch schon los zum obligatorischen Bankett.
Also keine Worte von Lahm. Womöglich hätte er sich ähnlich geäußert wie sein "Leidensgenosse". Denn auch für Xabi Alonso ging die internationale Karriere an diesem Abend zu Ende.
Alonso nimmt sich Zeit
Der ehemalige Real-Star nahm sich viel Zeit in den Katakomben. Er sprach ausführlich mit den anwesenden spanischen Journalisten. Auch bei ihm wurde es zeitlich knapp, doch ganz Gentleman stand er auch den deutschen Reportern noch zur Verfügung.
"Es war eine große Champions-League-Nacht", sagte er über seinen letzten Auftritt. Um dann etwas sentimental zu werden: "Wir hatten eine großartige Zeit in der Champions League. Philipp und ich haben in diesem Wettbewerb so viele Spiele gemacht und wir haben es bis zum letzten Tag genossen. Es ist schade, dass es heute vorbei ist, aber es muss weitergehen. Das ist der Bayern-Spirit, auch bei Rückschlägen weiterzumachen. Wir sind enttäuscht, aber auch stolz auf unsere Leistung."
Worte, die so in etwa wohl auch Philipp Lahm gewählt hätte.
Hypothek aus dem Hinspiel zu hoch
Auch Mats Hummels stimmte mit ein, dass sich die Ikonen mit einem "großen, spektakulären Spiel" von der internationalen Bühne verabschiedet hatten. Aufholjagd, Verlängerung, strittige Szenen, zwei Mannschaften auf hohem Niveau, die wohl beiden größten Titelfavoriten in der Königsklasse.
Doch letztlich war, so Alonso, die Hypothek aus dem Hinspiel zu hoch: "Nach dem schwachen Ergebnis, das wir aus München mitgebracht haben, brauchten wir eine großartige Leistung. Die haben wir gezeigt, aber es hat nicht gereicht."
Es ist keine allzu gewagte These zu behaupten, die Bayern seien eher in der zweiten Halbzeit von München ausgeschieden als am Dienstagabend im Bernabeu.
Alonso fügte hinzu: "Wir sind zufrieden mit uns, denn wir hatten eine echte Chance. Aber nach dem Platzverweis wurde es richtig schwierig. Wer weiß, wenn wir bis zum Schluss vollzählig gewesen wären, wären wir vielleicht im Halbfinale."
Kritik an der Schiedsrichterleistung
Eine diplomatische Andeutung dessen, was Alonsos Teamkollegen deutlicher aussprachen: Die Münchner kritisierten großflächig die Schiedsrichterleistung. Wegen der Abseitsstellungen vor dem 2:2 und dem 2:3. Dabei gingen sie nicht darauf ein, dass auch vor dem eigenen zweiten Tor eine Abseitsstellung vorlag und der Elfmeterpfiff nach Casemiros Kontakt gegen Robben nicht unbedingt aus jeder Pfeife gekommen wäre.
Und eben wegen der Gelb-Roten Karte gegen Arturo Vidal. Dass der Chilene diese bereits kurz nach dem Pausenpfiff hätte bekommen müssen, verschwiegen die Münchner. Verständlicherweise, schließlich spielte er bei der Aktion, wegen der er vom Platz gestellt wurde, tatsächlich den Ball. Minus mal Minus ergibt bei der Bewertung von Schiedsrichtern eben kein Plus, sondern zwei Fehler.
Das Thema Schiedsrichterleistung überlagerte direkt nach dem Spiel im Eindruck der Verantwortlichen und Spieler sämtliche andere Themen. Das war zu einer Zeit, als noch nicht klar war, dass sich Manuel Neuer beim dritten Real-Tor den linken Fuß gebrochen hatte und den Rest der Saison verpassen wird.
Alonso vorzeitig ausgewechselt
Dabei gab es andere Themen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Carlo Ancelotti erneut Xabi Alonso 15 Minuten vor Schluss der regulären Spielzeit vom Feld nahm und mit Thomas Müller einen Offensivmann brachte. Zu einer Zeit, als Arturo Vidal schon massiv Gelb-Rot-gefährdet war.
Die Maßnahme war verständlich. Es stand noch 1:0, die Bayern mussten unbedingt noch ein Tor erzielen. Und die Tatsache, dass Müller beim zweiten Tor maßgeblich beteiligt war, gab Ancelotti Recht.
Zumal Alonso bei seinem letzten Auftritt in Europa bei Weitem nicht sein bestes Champions-League-Spiel machte. Wie schon im Hinspiel war der Baske nicht so dominant, hatte für seine Verhältnisse wenige Ballaktionen in seinen 75 Einsatzminuten (70), gewann nur 42 Prozent seiner Zweikämpfe und leistete sich mehrere bitterböse Ballverluste und Abspielfehler. Eine Tatsache, die im Laufe des Spiels dazu führte, dass sich Alonso beinahe nur noch traute, quer zu spielen.
Lahm: "Die Mannschaft hatte Mut"
Kapitän Philipp Lahm dagegen begann sein - wie sich später herausstellen sollte - letztes Europapokal-Spiel mit starkem Stellungsspiel und einigen gescheiten Pässen. Er gab im Laufe der Partie allerdings immer weniger Impulse nach vorne. Dass er beim 1:1 gegen Cristiano Ronaldo etwas zu spät kam, ist ihm kaum anzulasten, ist er doch nicht der Hauptverantwortliche für den Europameister. Schon gar nicht im Kopfballduell. Da passte die Abstimmung schlicht nicht.
Nach 120 Minuten stand das Ausscheiden der Münchner schließlich fest. Lahm selbst lobte vor den TV-Kameras die mentale Leistung, sich noch einmal so heranzuarbeiten: "Man hat gesehen, dass die Mannschaft Mut hatte und unbedingt eine Runde weiterkommen wollte."
Das Wort "Stolz" ging an dem Abend weite Wege. Carlo Ancelotti nutzt es, Xabi Alonso und Arjen Robben ebenfalls. Thomas Müller packte es in seine ihm eigenen Worte: "Das Spiel hat gezeigt, dass wir Männerfußball gespielt und den FC Bayern würdig vertreten haben. Für ein Ausscheiden war es respektabel. Aber wenn Du ausscheidest, hilft Dir das auch nichts."
Mannschaft liegt "in Trümmern"
Eben das stand unter dem Strich. Stolz ja, aber die Enttäuschung war umso größer. Nicht umsonst sprach Karl-Heinz Rummenigge davon, die Mannschaft liege in der Kabine "in Trümmern".
Der FC Bayern verabschiedete sich für diese Saison aus Europa. Philipp Lahm und Xabi Alonso für immer. Zumindest als aktive Spieler.
Ohne Happyend verlassen zwei Ikonen die Champions League. Mats Hummels stimmte zu, dass mit dem Karriereende "schon eine Ära endet. Die beiden haben den Weltfußball geprägt, vor allem die Champions League. Sie waren beide nahezu jedes Jahr mit dabei."
Legenden des Wettbewerbs
Tatsächlich gehören die beiden zu den ganz großen Legenden in der Geschichte des Wettbewerbs. Alonso gewann den Henkelpott zweimal (2005 mit Liverpool und 2014 mit Real Madrid) und ist mit 119 Einsätzen in der Liste der Rekordspieler auf Rang 12.
Lahm stand dreimal im Finale, mit der Krönung des Titelgewinns 2013 in Wembley. Mit 112 Spielen steht er vier Plätze hinter Alonso.
Bange wird Thomas Müller wegen des Karriereendes der beiden wichtigen Stützen nicht: "Das ist Käse. Natürlich gehen jetzt zwei große Spieler, aber der FC Bayern ist ein starker Verein und wird auch die nächsten Jahre stark sein. Aber wir sind jetzt hier im Moment. Ich kann keine großen Zukunftsanalysen abgeben."
Nun heißt es für die Münchner also erst einmal Wundenlecken. Allzu lange Zeit ist dafür nicht. Das Ligaspiel gegen Mainz 05 am Samstag ist zwar nur von überschaubarer Relevanz, doch bereits am kommenden Mittwoch steht das Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund an. Die Aussicht auf einen möglichen Doublegewinn wollte aber nicht jedem der Profis in der Mixed Zone die Laune erheitern.
Die Nachricht über die schwere Verletzung Manuel Neuers wird es nicht besser gemacht haben. Am Ende war es doch irgendwie ein gebrauchter Abend für die Münchner. Die letzte "große Champions-League-Nacht" der Saison. Beziehungsweise zweier Karrieren...
Real Madrid - FC Bayern: Die Statistik zum Spiel