Die Champions-League-Gruppenphase 2017/18 steht vor der Tür und 31 Teams wollen Titelverteidiger Real Madrid vom Thron stoßen. Oder schaffen die Königlichen den Hattrick? Wie schneiden Bayern, Dortmund und Leipzig ab? Ist PSG nach den Transfers von Neymar und Mbappe reif für den Titel? Und was geht eigentlich mit den Engländern? 6 Thesen zum CL-Start.
These 1: Real Madrid holt den dritten Titel in Folge
Andreas Lehner: Ich habe schon nicht an die Titelverteidigung geglaubt und ein erneuter Triumph scheint mir eigentlich erst recht utopisch. Aber diese Real-Mannschaft ist aber eine Maschine, die in den letzten Jahren in der Crunchtime immer da war - und auch das nötige Glück hatte. Welche Mannschaft soll sie stoppen? Ich weiß es nicht.
Jochen Rabe: Absolut. Ich sehe niemanden, der daran etwas ändern sollte. Es ist die gleiche Leier wie letztes Jahr: Real ist die Übermannschaft, immer noch heiß, hat das Selbstvertrauen von drei Titeln in vier Jahren und mit Cristiano Ronaldo den Verrücktesten der Verrückten in ihren Reihen. Durch die Gruppenphase werden sie sich irgendwie durchwürgen, aber im Frühjahr geht's ab. Die schaffen das wieder. Punkt.
Jochen Tittmar: Ich habe jetzt keinen anderen klaren Favoriten parat, glaube aber nicht daran, dass plötzlich eine Mannschaft drei Mal in Folge die CL gewinnt, nachdem zuvor jahrelang niemandem auch nur die Titelverteidigung glückte. Real wird auf jeden Fall ein gewichtiges Wörtchen um den Titel mitreden und ist derzeit wohl die beste europäische Mannschaft. Einen dritten Titel in Serie sehe ich aber nicht.
Nino Duit: In der absoluten Spitze des europäischen Fußballs kommt es oft auf kleine Kleinigkeiten an: Auf Verletzungen, auf Schiedsrichter-Entscheidungen, auf Top-Spieler, die in entscheidenden Spielen in Top-Form sind, oder einfach auf Spielglück. Genau deshalb ist es seit Einführung der Champions League bis zur vergangenen Saison auch keinem Verein gelungen, den Titel zu verteidigen. Dass Real dies geschafft hat, ist eine monumentale Leistung. Noch einmal läuft aber nicht alles für Real.
Stefan Petri: Nein. Real im Vergleich zum letzten Jahr personell nicht abgebaut, Spieler wie Isco oder Asensio sind aus dem Schatten der Etablierten getreten. Insofern würde ich keinem anderem Team eine bessere Siegchance attestieren. Aber man darf nicht vergessen, dass die Madrilenen im letzten Jahr nicht nur sehr gut gespielt haben, sondern darüber hinaus auch das nötige Glück auf ihrer Seite hatten, z.B. gegen die Bayern. Es braucht nicht viel, dann ist dieses Glück plötzlich den Gegnern hold: Aluminium hier, Abseits da - und plötzlich ist man raus und weiß nicht warum. Barcelona hat unter der Ägide Guardiolas ja auch nicht jedes Jahr gewonnen.
These 2: Bayerns Blütezeit in Europa ist vorbei
Andreas Lehner: Die Dominanz aus der Triple-Saison und die spielerische Überlegenheit aus der Guardiola-Ära sind weg. Das heißt aber nicht, dass Bayern die Champions League nicht gewinnen kann. Es muss aber schon sehr viel passen und die A-Elf muss in sollten endlich einmal alle Spieler in den entscheidenden Momenten fit sein. Die A-Elf ist gut genug für den Titel, mehrere Ausfälle kann der kleine Kader aber nicht kompensieren und einen alternativen taktischen Kniff hat Ancelotti nicht.
Jochen Rabe: Die Blütezeit dieser Mannschaft in dieser Konstellation ist definitiv vorbei. Die Ausnahmekönner sind (zieht man Lewandowski und Neuer ab) zu verletzungsanfällig, für die Crunchtime der Saison reicht die Kaderbreite nicht. Wenn alles passt, ist etwas drin, aber diese Wahrscheinlichkeit ist gering. Zu den Top-Favoriten gehören die Bayern nicht.
Jochen Tittmar: Glaube ich nicht. Viertel- oder Halbfinale wird's werden für den FCB, wie in jedem Jahr kommt es dann auf die Konstellation im Kader, die aktuelle Form und das nötige Quäntchen Glück in den K.o.-Spielen an. Zwar agieren die Bayern unter Ancelotti weniger maschinenartig und somit furchteinflössend als zuvor, der gewisse Punch auf internationaler Ebene wird aber bleiben.
Nino Duit: Der FC Bayern zählt weiterhin zu den besten vier bis acht Mannschaften Europas, mindestens das Viertelfinale wird es deshalb auch in dieser Saison werden. In den entscheidenden Spielen hatten die Bayern in den vergangenen Spielzeiten stets unterschiedlichste Probleme. Womöglich ändert sich das genau jetzt, da der FCB von vielen abgeschrieben wird.
Stefan Petri: Es wird zumindest nicht einfacher. Wenn alles klappt, können die Bayern dieses Jahr noch den ganz großen Wurf schaffen, wenn die Leistungsträger zur richtigen Zeit fit und in Form sind. Aber es wird wohl das letzte Robbery-Jahr sein - und was kommt danach? Wenn die Bayern den Transfersummen-Irrsinn nicht mitgehen, werden die Engländer, die Reals, die Barcas und PSGs mittelfristig davonziehen. Man ist noch kein "Verkaufsverein", aber die Aussagen von Lewandowski sprechen Bände.
These 3: Dortmund scheitert in der Gruppenphase
Andreas Lehner: Wenn Tottenham in Europa wieder so eingeht wie in den letzten Jahren, dann sicher nicht. Aber irgendwann muss der Knoten bei den Spurs eigentlich mal platzen. Und sollte das ausgerechnet in dieser Saison passieren, wird's eng für den BVB. Denn Real wird auf keinen Fall in der Vorrunde scheitern.
Jochen Rabe: Ein klares Nein. Ich gehe sogar vom Gegenteil aus und sage: Dortmund wird erneut vor Real Gruppensieger. Der BVB ist brutal stark gestartet, frisch und kann Real mit seinem Spielstil wehtun - zumindest im Herbst. Das wird passieren. Ein Gruppenphasen-Aus wird nicht passieren.
Jochen Tittmar: Ausgeschlossen ist es nicht, Tottenham hat sich unter Pochettino stets entwickelt und kann ein wenig aus der Deckung des Underdogs heraus spielen. Allerdings muss dafür vieles passen. Die Erfahrung, die der BVB in den letzten Jahren in Europa gesammelt hat, wird in den direkten Duellen den Auschlag pro Dortmund geben.
Nino Duit: Dortmund hat oft genug bewiesen, dass es auf europäischer Bühne zu großen Leistungen im Stande ist. Unter Flutlicht und mit den Fans im Rücken ist der BVB eine Macht. Da der Fokus des Hauptrivalen um Platz zwei, den Tottenham Hotspur, den Erfahrungen der vergangenen Spielzeiten zufolge stark auf den nationalen Wettbewerben liegt, zieht der BVB ins Achtelfinale ein.
Stefan Petri: Nein. Die Spurs werden der Kombination aus CL und Fleischwolf Premier League Tribut zollen, dazu kommt der Heimvorteil im Wembleystadion nicht so zum Tragen. Der BVB sollte zu abgezockt sein, um hinter Tottenham zu landen. Real wird, gerade nach den früh verschenkten Punkten in der Liga, mit möglichst wenig Aufwand ins Achtelfinale kommen wollen. Deshalb ist für Dortmund sogar der Gruppensieg drin.
These 4: Leipzig wird mit seinem Spielstil Europa aufmischen
Andreas Lehner:Das Losglück hatte RB schon mal auf seiner Seite. Von den Großen blieben die Leipziger erstmal verschont, trotzdem werden sich alle Teams als Favorit gegen den Neuling sehen, das spielt Leipzig in die Karten. In der Vorrunde werden sich einige in Europa die Augen reiben.
Jochen Rabe: Da wäre ich vorsichtig. Aufmischen ist ein großes Wort. Ich glaube zwar schon daran, dass Leipzig das eine oder andere Ausrufezeichen setzen wird. Aber Champions League ist dennoch eine ganz andere Nummer als Bundesliga. Da geht es viel um Erfahrung und Kaltschnäuzigkeit. Und die haben sie nicht. Noch nicht. Die Gruppe ist eigentlich absolut machbar und doch wird's in diesem Jahr nicht reichen.
Jochen Tittmar: Das sehe ich ähnlich wie Andreas. Leipzig wird sich in seinen sechs Partien noch stärker auf der internationalen Landkarte platzieren können. Das wird in erster Linie mit dem intensiven Pressingstil zusammenhängen, der den Gegnern Probleme bereiten wird. Mich würde auch ein Achtelfinaleinzug nicht wundern.
Nino Duit: Aktuell ist Leipzig im europäischen Fußball eine große Unbekannte, kaum jemand kann den Neuling auf der Bühne Champions League wirklich einschätzen - und die Leipziger selbst können das wohl auch nicht. Von enttäuschenden Auftritten gegen abgezockte, international erfahrene Rivalen bis hin zu einem souveränen Durchmarsch ins Achtelfinale ist vieles möglich. Zweiteres aber wahrscheinlicher.
Stefan Petri: Eine bessere Gruppe hätte man kaum erwischen können, deshalb wäre alles andere als das Achtelfinale eine große Enttäuschung. Trotzdem erwarte ich gerade auswärts kein großes Feuerwerk - auf der ganz großen Bühne wird der eine oder andere doch ein bisschen beeindruckt sein. Hält man in Leipzig aber den Aufschlag, kommt man weiter.
These 5: PSG schafft es trotz der Mega-Transfers nicht ins Halbfinale
Andreas Lehner: PSG hat zwar obszön viel Geld ausgegeben, aber auch einen gewachsenen Stamm an Spielern. Die Mannschaft funktioniert, wurde mit sehr guten Spielern verstärkt und der Fokus liegt voll auf der Königsklasse. PSG kommt mindestens bis ins Halbfinale.
Jochen Rabe: Doch! Schon in der letzten Saison waren sie eigentlich reif - von der Remontada mal abgesehen. Neymar, Alves und Mbappe sind brutale Verstärkungen, die in diesem Jahr dabei helfen werden, den nächsten Schritt zu machen. Und den machen sie. Ich sehe PSG im Halbfinale.
Jochen Tittmar: Aus fußballromantischer Sicht wäre das fast schon wünschenswert, andererseits hat der gesamte Wettbewerb Champions League nur noch wenig mit Fußballromantik zu tun. Der große Vorteil der Pariser wird erneut die wenig herausfordernde Liga sein. Das Team ist mit den Jahren an Erfahrung und jetzt noch einmal gehörig an Qualität gewachsen. PSG ist zwar auch immer ein Kandidat für ein früheres Aus in den K.o.-Duellen, in dieser Saison glaube ich aber mindestens an den Einzug ins Halbfinale.
Nino Duit: PSG hat sich nicht nur kostspielig, sondern auch sinnvoll verstärkt - und gegenüber den Dominatoren der vergangenen Jahre (Barca, Real und Bayern) den "Vorteil", den Titel noch nicht gewonnen zu haben. Das macht hungrig und Hunger auf Titel setzt besondere Kräfte frei. Ins Halbfinale kommt PSG auf jeden Fall und auch der Titel ist möglich.
Stefan Petri: Das kommt - wie langweilig - auf die Auslosung an. Ich glaube, dass PSG mittlerweile so stark ist, dass man nur noch von den ganz großen Teams rausgeworfen werden kann. Aber wenn es dumm läuft, wartet im Achtelfinale plötzlich Real Madrid - selbst wenn man die Bayern hinter sich lässt.
These 6: Die englischen Klubs spielen im Titelkampf erneut keine Rolle
Andreas Lehner: Der Pott bleibt in Spanien. Die Iberer werden die Königsklasse auch in dieser Saison dominieren, da ist kaum Platz für die Premier-League-Teams. Aber ich bin auf Liverpool gespannt. Die Reds haben in der Liga gegen die Großen mit ihrem Umschaltfußball immer sehr gut ausgesehen, das 0:5 gegen ManCity vom Wochenende mal ausgeklammert. Aber ob das in der Champions League gegen Real, Barca oder Bayern auch funktioniert?
Jochen Rabe: Doch, werden sie. Schreibt mir die Engländer nicht ab! Wenn ich auf die Gruppen schaue, kommen vier von fünf englischen Mannschaften (alle außer Tottenham) relativ problemlos ins Achtelfinale. Und danach sind alle vier gefährlich. Ich würde vor allem bei ManCity genau hinschauen. Wenn sich die Defensive findet, haben die definitiv das Zeug für das Finale. Und Pep sowieso.
Jochen Tittmar: Dass ein englisches Team - am ehesten ManCity oder Liverpool - ins Halbfinale kommt, könnte ich mir noch vorstellen. Um den Titel geht's aber für niemanden, dazu ist der Rückstand an Klasse und Erfahrung in diesen K.o.-Spielen zu groß. Zumal die fehlende Winterpause die Engländer immer genug Körner kostet, wenn es in Europa in die heiße Phase geht.
Nino Duit: Manchester City mit Guardiola wird für Furore sorgen, aber auch die anderen vier Vereine sind nicht zu unterschätzen. Ob es für einen der Klubs letztlich für den Titelkampf reicht, wird davon abhängen, wie die Vereine die Champions League im Vergleich zu den nationalen Wettbewerben gewichten.
Stefan Petri: Das müsste man erst einmal definieren. Spielt man im Titelkampf eine Rolle, wenn man dank einer sehr vorteilhaften Auslosung ins Halbfinale kommt, danach aber geputzt wird? Denn das wird ein Team bestimmt schaffen - und sei es nur deshalb, weil im Viertelfinale zwei Engländer gegeneinander spielen. Spätestens im Halbfinale bekommt der Hurra-Fußball von der Insel dann aber seine Grenzen aufgezeigt.