Champions-League-Kommentator Jan Platte: "Bayern gehört nicht zu den Topfavoriten"

Jochen Rabe
29. August 201810:44
Der FC Bayern München gehört für Jan Platte nicht zu den absoluten Topfavoriten der Champions League.getty
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Jan Platte kommentiert ab der neuen Saison die Champions League und Europa League auf DAZN. Vor der Auslosung am Donnerstag (ab 18 Uhr live auf DAZN und im LIVESTREAM auf SPOX) spricht der Kommentator über seinen Werdegang, sein besonderes Verhältnis zum FC Valencia und einen Gastauftritt bei Verbotene Liebe.

Außerdem erklärt er, was das Besondere an der Kommentator-Experten-Kombination ist und warum der FC Bayern nicht zu den Topfavoriten gehört.

SPOX: Herr Platte, wann haben Sie für sich persönlich beschlossen, dass Sie Sportkommentator werden möchten?

Jan Platte: Es gab kein Erweckungserlebnis. Aber es war früh klar, dass ich auf so etwas Lust habe. Der Fußball hat mich schon von Kindheit an die ganze Zeit begleitet. Ich habe mit ungefähr sechs Jahren angefangen, Fußball zu gucken, also nicht nur den ganzen Tag zu spielen, sondern ihn auch medial zu verfolgen. Per Glotze, per Radio, ich habe alles aufgesaugt. Aber ich dachte nicht: "Da will ich unbedingt hin."

SPOX: Sie haben 1997 an der Sporthochschule in Köln begonnen, Sportwissenschaft zu studieren. Was war Ihr Plan?

Platte: Ich wusste, dass ich dort Sport und Medien kombinieren kann. Während des Grundstudiums gab es viele verschiedene Praxiskurse und einiges an Theorie - da war das Programm für alle gleich. Anschließend habe ich im Grundstudium den Schwerpunkt Medien und Kommunikation gewählt. Für mich war jedoch nicht klar, in welche Richtung es sich genau entwickeln würde.

SPOX: Was waren Sie damals für ein Typ?

Platte: In der Schule war ich nicht gerade eine Leuchte, habe erst spät kapiert, dass ein bisschen was tun durchaus sinnvoll ist. Im Studium war es dann ganz anders. Ich hatte Bock, einigermaßen schnell durchzukommen. Ich saß auch mal wochenlang zu Hause und habe für die großen Prüfungen in Anatomie und Physiologie gelernt. Das war für mich komplettes Neuland, weil ich in Bio nie anwesend war, zumindest nicht geistig. Plötzlich hat mir das Spaß gemacht.

SPOX: Sie waren also ein Streber?

Platte: (lacht) Nein, so war es auch nicht, aber ich war interessiert. Wir waren an der Sporthochschule in Köln auch eine gute Truppe. Ich habe dort Leute kennengelernt, die bis heute ganz enge Freunde sind. Ich habe zu dieser Zeit parallel auch angefangen, für Sat1 zu arbeiten. Ich bin viel von Köln nach Hamburg gependelt. Das hat einen Grundstein gelegt.

Jan Platte ist einer der Kommentatoren bei DAZN für die Champions League und Europa League. Max Josef Gillmeier

DAZN-Kommentator Jan Platte über Fußball, Tennis und Schwimmen

SPOX: Sie sind sehr sportlich. Waren Sie das schon immer?

Platte: Definitiv. Ich habe sehr früh angefangen, in Hamburg bei Altona 93 Fußball zu spielen. Es gab zwischen sechs und 16 wahrscheinlich keinen Tag, an dem ich nicht Fußball gespielt habe. Zwischendrin kam auch Tennis dazu. Wenn ich für eine Sache immer gestanden habe, dann für viel Sport machen, viel draußen sein.

SPOX: Also haben Sie hauptsächlich Fußball und Tennis gespielt? Oder sind Sie auch jemand, der viel ausprobiert?

Platte: Im Studium habe ich in der Anfangsphase alle möglichen Sportarten gemacht, auch eine Prüfung in Rhythmik und Tanz. Eines der einschneidendsten Erlebnisse für mich war der Schwimmkurs im Grundstudium.

SPOX: Inwiefern?

Platte: Ich bin in der ersten Stunde mit der größten Bermuda-Short aller Zeiten gekommen. Also wurde ich nach vorne geholt, der Dozent hat auf mich gezeigt und gesagt: "So kommt man nicht zum Schwimmen." Aber er hat mich motiviert und irgendwann dazu gebracht, dass ich 1000 Meter am Stück gekrault bin.

SPOX: Viele Kommentatoren sind Nerds mit absurdem Inselwissen. Ist das bei Ihnen auch so?

Platte: Sobald ich lesen konnte, habe ich den Fußball-Almanach durchgestöbert. Ich frage mich bis heute, wie ich es geschafft habe, mich damit tagelang zu beschäftigen. Darin stehen ja praktisch nur Statistiken. Wann Horst Hrubesch für den HSV gegen wen in welcher Minute welches Tor geschossen hat. Ich dachte immer, ich weiß relativ viel, bis ich Uwe Morawe kennengelernt habe. Dann wird dir ganz schnell klar, dass du quasi nichts weißt. Mein Hirn ist schon aufnahmebereit für Spezialwissen, aber ich bewege mich da sicherlich im normalen Bereich.

SPOX: Sie haben angesprochen, dass Sie neben dem Studium bei Sat1 gearbeitet haben. Was waren dort Ihre Tätigkeiten?

Platte: Ich war Redaktions-Assistent, habe zugearbeitet für Sendungen wie ran und ranissimo, kleine Openings geschnitten und das Teasing getextet. Dort habe ich sehr viel gelernt.

FC Valencia unter Rafa Benitez "eine der größten Mannschaften überhaupt"

SPOX: Nach anderthalb Jahren haben Sie sich aber dazu entschlossen, sich komplett auf das Studium zu konzentrieren.

Platte: Das stimmt, ich bin viel gependelt und habe kaum ein Wochenende in Köln verbracht. Ich konnte die schöne Seite des Studiums kaum mitnehmen. Also habe ich mich dazu entschieden, mich erstmal auf Köln zu konzentrieren. Ich habe nebenher verschiedene Medienjobs gemacht abseits der Sportwelt. Ich war wahrscheinlich der schlechteste Nebendarsteller, den es jemals bei Verbotene Liebe gegeben hat. (lacht) 2002 wollte ich meine Diplomarbeit schreiben. Und weil es bei uns im Institut Engpässe gab, bin ich für acht Monate nach Spanien gegangen.

SPOX: Sie haben Februar bis September in Valencia verbracht.

Platte: Das war großartig. Ich habe dort den spanischen Fußball sehr gut kennengelernt, speziell Valencia. Sie sind in dem Jahr das erste Mal seit über 40 Jahren Meister geworden und haben tollen Fußball gespielt unter Rafa Benitez. Für mich ist diese Mannschaft eine der größten überhaupt. Ich hatte in dieser Zeit durch meine Clique das volle spanische Fußballerlebnis. Das Interesse für LaLiga hat deswegen überdauert.

SPOX: Wie ging es nach den acht Monaten Spanien weiter?

Platte: Ich kam zurück nach Deutschland und habe meine Diplomarbeit über Sport im Lokalteil spanischer Zeitungen geschrieben. Als ich ich fertig war, bin ich nach München, um beim DSF ein Praktikum zu machen. Da war meine klare Zielsetzung, danach weiter dort zu arbeiten.

SPOX: Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Platte: Ich war viel bei Bundesliga Aktuell. Dort gab es hervorragende Leute. Es war noch ein anderes Arbeiten als heute, nicht so digital. Dort habe ich vieles mitbekommen und gelernt. Das war mein Wiedereinstieg.

SPOX: Wie hat es sich im Laufe der Jahre dahin entwickelt, dass Sie ans Mikro gewechselt sind?

Platte: Das lief vor allem über die Sendung Bundesliga Pur von Thomas Walz. Ich habe dort als Redaktionsassistent gearbeitet und mir die Nächte um die Ohren geschlagen. Damals habe ich auch die Kommentatoren abgenommen, also die Vertonung angehört. Da entstand das Interesse daran, genau das auch mal machen zu wollen. Irgendwann gab es die Möglichkeit, mal eine fünfminütige Zusammenfassung zu kommentieren. Das waren die ersten Gehversuche. Daraus entwickelte sich Schritt für Schritt immer mehr.

Jan Platte über Arbeit mit Experten wie Ralph Gunesch und Jonas Hummels

SPOX: Gab es Vorbilder, an denen Sie sich orientiert haben?

Platte: Ein klassisches Vorbild gab es nicht. Das sollte man vielleicht auch nicht haben, weil es nie gut ist, jemanden zu kopieren. Aber es gab natürlich Leute, die mir sehr gut gefallen haben. Da bin ich wieder bei Uwe Morawe. Er war bei meinen Anfängen definitiv eine Hilfe. Als er gesehen hat, was ich mir alles auf die Zettel geschrieben hatte, sagte er: "Gib mir die Zettel, du setzt dich jetzt da rein. Überleg dir, was du im ersten Satz sagen willst und dann geht es los."

SPOX: Welche Attribute machen einen guten Kommentator für Sie aus?

Platte: Mir ist das Gespür für das, was auf dem Platz passiert, sehr wichtig. Ein gewisses taktisches Verständnis, ein Blick für die Veränderungen während des Spiels und dazu ein gesundes Hintergrundwissen zu Spielern und Klubs.

SPOX: Sie kommentieren bei DAZN häufig zusammen mit einem Experten. Worin besteht für Sie der größte Unterschied, alleine oder im Duo zu kommentieren?

Platte: Ich weiß dieses Modell sehr zu schätzen. Das Vier-Augen-Prinzip hat riesige Vorteile. Zwei Leute bereiten sich unterschiedlich auf ein Spiel vor und sehen andere Dinge. Ich stelle mittlerweile fest, wenn ich etwas alleine kommentiere, dass mir etwas fehlt. Es macht auch Spaß, aber zu zweit ist für mich ein großer Gewinn.

SPOX: Ist die Aufgabenverteilung zwischen Kommentator und Experte klar definiert?

Platte: Da man häufiger mit den Experten zusammen arbeitet, spielt sich das gut ein. Egal ob mit Jonas Hummels, mit Ralph Gunesch, Benny Lauth, Moritz Volz oder mit wem anders. Grundsätzlich sind wir Kommentatoren die ganze Zeit nah dran am Spielgeschehen, aber in der Analyse findet ein reger Austausch statt. Die Experten haben einen besonderen Blick für Taktik, für gutes oder schlechtes Verhalten von Spielern oder Mannschaften. Ihre Erfahrungen als Profis sind ein großer Mehrwert, den man ihnen auch nicht aus der Nase ziehen muss - sie sind alle wunderbar aktiv am Mikro, das macht großen Spaß zusammen.

DAZN zeigt UEFA Champions und UEFA Europa League: Reporter & Experten

Experten
Jonas Hummels
Benjamin Lauth
Per Mertesacker
Ralph Gunesch

Social Media und Feedback für Kommentatoren

SPOX: Wie lange bereiten Sie sich auf ein Spiel vor?

Platte: Ich weiß zwei, drei Wochen vorher Bescheid, was ich mache. Dann versuche ich, die Mannschaften besonders im Blick zu behalten. Ich bereite ein Spiel in den Tagen davor so intensiv wie möglich vor. Ich gucke mir das letzte Spiel von beiden Teams an und lese natürlich viel in den Info-Mappen und kreuz und quer im Netz.

SPOX: Wie viele Notizen nehmen Sie mit in die Kabine?

Platte: Ich bin keiner, der den Raum plakatiert. Vieles bleibt während des Recherchierens im Kopf, aber die wichtigsten Sachen schreibe ich schon auf. Es kommt jedoch auch vor, dass ich 90 Minuten kein einziges Mal auf den Zettel schaue.

SPOX: Als Sie Ihre Karriere begannen, gab es Social Media in der Form noch nicht. Mittlerweile ist das Feedback direkter und radikaler. Wie erleben Sie das?

Platte: Ich bin kein Social-Media-Verweigerer, aber ich tummele mich da nicht tagtäglich. Denn es ist ja so: Nach dem gleichen Spiel bekomme ich die Rückmeldung, warum ich Real so schlecht mache, während mir jemand anders schreibt, warum ich Real so in den Himmel lobe. Das ist immer Ansichtssache. Es fehlt hin und wieder der Anstand. Während der WM mussten sich die Kollegen teilweise übelste Beschimpfungen anhören. Sowas muss man in unserem Job ein Stück weit abkönnen und so gut es geht, an sich abperlen lassen.

SPOX: Neben dem Fußball kommentieren Sie bei DAZN schwerpunktmäßig Boxen. Wie kam es dazu?

Platte: Ich hatte schon immer eine große Affinität zu dem Sport. In Hamburger Zeiten habe ich aktiv beim SV Polizei mittrainiert. Ich habe es aber auch schon lange verfolgt und über Jahre hinweg keinen großen Kampf verpasst. Irgendwann war es so, dass Boxen zum DAZN-Portfolio gehörte. Als die Frage aufkam, wer sich für welche Sportarten interessiert, habe ich auch bei Boxen einen Haken gesetzt. So kam ich dazu und es wurde mehr und mehr.

SPOX: Unterscheidet sich für Sie die Arbeitsweise zwischen dem Kommentieren von Fußball im Gegensatz zu Boxen oder Tennis?

Platte: Das unterscheidet sich auf jeden Fall enorm. Ich mag das. Diese Abwechslung hält mich frisch und wach.

SPOX: Ab dieser Saison kommentieren Sie für DAZN die Champions League und Europa League. Ist das für Sie persönlich ein Höhepunkt?

Platte: Absolut, das ist sogar ein riesiges Highlight. Die Möglichkeit, Königsklasse zu kommentieren, ist großartig. Die Verquickung des internationalen Fußballs, in dem wir bei DAZN sehr zu Hause sind, mit den deutschen Teams ist reizvoll. Ich freue mich darauf, einige Spiele vor Ort zu machen. In den Stadien direkt dabei zu sein, die Hymne zu hören, Kontakt mit den Leuten vor Ort zu haben, das ist eine tolle Ergänzung zum Kommentieren aus der Box.

DAZN zeigt die UEFA Champions und UEFA Europa League: Kommentatoren

Kommentator
Jan Platte
Marco Hagemann
Uli Hebel

SPOX: Gibt es da für Sie ein Sehnsuchtsstadion?

Platte: Im Mestalla Champions League mit Valencia zu kommentieren, wäre für mich etwas Besonderes. Neulich war ich kurz in Liverpool, auch am Stadion. Dort an der Anfield Road einen CL-Abend mit richtig Stimmung und Klopp-Fußball zu erleben - das hätte was. Ich freue mich aber grundsätzlich auf jedes Stadionerlebnis, ganz gleich ob Champions League oder Europa League.

Champions League: Man City und FC Barcelona im Kreis der Favoriten

SPOX: Wie schätzen Sie die Machtverhältnisse in Europa ein? Glauben Sie, dass die Dominanz der Spanier weitergehen wird?

Platte: Ich erwarte, dass es noch enger wird als in den letzten Jahren. Der Favoritenkreis hat sich weiter geöffnet. Für mich gibt es mit Manchester City und Barcelona zwei Mannschaften, die es zwingend besser machen wollen als letztes Jahr. Selbiges gilt für PSG unter Thomas Tuchel. Real ist eine Geschichte für sich. Mit ihnen muss man immer rechnen, auch ohne Cristiano Ronaldo. Juve kommt seinetwegen aber auch in den noch engeren Kreis. Ich erwarte nicht zwingend eine spanische Dominanz. Es gibt jedoch eine Besonderheit.

Manchester City gehört für Jan Platte zu den großen Titelfavoriten.getty

Champions League: Die Bayern sind die Bayern - Dortmund wird spannend

SPOX: Die da wäre?

Platte: Das Finale am 1. Juni 2019 in Madrid im Wanda Metropolitano. Ganz viele Atletico-Fans sagen, sie werden da definitiv dabei sein. Dort herrscht eine wahnsinnige Euphorie. Alleine deswegen muss man Atletico im Auge behalten.

SPOX: Wie sehen Sie die Chancen der deutschen Teams?

Platte: Die Bayern sind die Bayern. Auch wenn alle sagen, es könnte eine Übergangssaison werden, müssen sie sich überhaupt gar nicht verstecken. Lewandowski bleibt und hat wieder richtig Bock. Bayern gehört nicht zu den absoluten Topfavoriten, aber sie sind vorne dabei. Dortmund wird spannend. Der Ligastart ist geglückt, aber international richtig weit zu kommen, ist eher schwierig. Für Schalke und Hoffenheim geht es eher darum, Erfahrungen zu sammeln. Aber Kovac, Tedesco, Nagelsmann und Favre sind gute Trainer, den ich allen zutraue, einen Kniff zu finden - auch für die Königsklasse.