Es war gewiss kein Hexenwerk für einen charismatischen Rhetoriker, wie Jürgen Klopp nun einmal einer ist, aus sehnsüchtigen Zweiflern sehnsüchtige Gläubige zu machen. Im Gegenteil: Die Fans des FC Liverpool schlossen "the Normal One", wie sich der Fußballfachmann aus dem Schwarzwald bei seiner Ankunft an der Mersey am 8. Oktober 2015 taufte, schon nach kurzer Zeit in ihre Herzen. Und sie wurden nicht enttäuscht. Die Dosis Power-Fußball, die Klopp seiner Mannschaft stufenweise einimpfte, löste mit Recht Begeisterung aus.
Allerdings ging der heilige Gral jahrelang an Klopp und seinem Team vorbei. Ob in der Europa League 2016, in der Champions League 2018 oder in der Premier League 2019: immer scheiterte Liverpool auf denkbar knappe, oft aus einer Mischung aus Tragik und Leichtfertigkeit bestehende Art und Weise.
Liverpool: Beim letzten Schritt kein Wunder
Klopp bekam von seinen Kritikern nachgesagt, nur ein Trainer für unterhaltsamen Fußball zu sein, aber nicht für erfolgreichen. Ähnlich wie Arsene Wenger, der mit seinem FC Arsenal in Schönheit starb und deshalb von Jose Mourinho als "Spezialist im Scheitern" verspottet wurde. Seine Mannschaft lasse in den entscheidenden Augenblicken die letzte Siegermentalität vermissen, lautete die Meinung aus dem Anti-Klopp-Lager. Eine Meinung, die er mit dem Triumph von Madrid beachtenswert widerlegt hat.
Für den letzten Schritt zum ersten Titelgewinn seit dem Wunder von Istanbul 2005 brauchte es nämlich kein Wunder. Im Vergleich zum Halbfinale gegen den FC Barcelona, als sehr wohl wundersame Dinge an der Anfield Road geschehen waren, glich die Aufgabe im Estadio Metropolitano fast schon einem Spaziergang.
Liverpool mit Reife und Cleverness
Die frühe, durch einen Handelfmeter begünstige Führung spielte der Klopp-Elf zweifellos in die Karten, Tottenham erwies sich aber zu keinem Zeitpunkt als würdiger Finalgegner, agierte mit dem Ball bis auf eine kurze Phase in Hälfte zwei einfallslos. Die Nordlondoner ließen die Reife und Cleverness vermissen, die man benötigt, um in einem solchen Alles-oder-Nichts-Spiel zu bestehen.
Genau die Reife und die Cleverness, die ihrem Gegenüber in der vergangenen Saison gegen Real Madrid abgegangen waren. Das 1:3 in Kiew war Klopp und seinen Spielern eine Lehre, denn sie wussten sich auch in den richtigen Momenten Pausen zu nehmen und aus einer sicheren Tiefenstaffelung heraus zu verteidigen anstatt dauerhaft die Pressingmaschine laufen zu lassen.
Klopp macht seine Spieler besser
Der Plan des früheren BVB-Trainers ging auch deshalb auf, weil er im Vergleich zur vergangenen Saison im Tor und auf der Ersatzbank besser besetzt war. Den Triumph nur auf die Paraden eines Alisson Becker, das Stellungsspiel eines Virgil van Dijk oder die Treffsicherheit eines Divock Origi zu reduzieren, würde all der leidenschaftlichen Arbeit, die Klopp seit Jahren leistet, nicht gerecht werden.
Er hat viel Geld für diesen Erfolg ausgegeben, ja, aber er hat eben auch das Kunststück vollbracht, seine Spieler besser zu machen und zu einer verschworenen Einheit zu formen. Andrew Robertson kickte mit 18 beispielsweise noch in der vierten schottischen Liga und jobbte nebenbei als Ticktverkäufer. Dass er heute als einer der besten Linksverteidiger der Welt gilt, ist auch Klopps Werk. Ebenso wie der Aufstieg von Joel Matip, den nicht wenige Schalker Fans als Flop betitelten, oder eben jener Origi, bei dem man in Wolfsburg das Gefühl hatte, als würde er aus fünf Metern kein Scheunentor treffen.
Sie alle hatten ihren Anteil an diesem Finalsieg, der keine spielerische Glanzleistung der Reds, keine packende Heavy-Metal-Show aus dem Lehrbuch von Klopp war. Dass pure Unterhaltung jedoch nicht immer der Schlüssel zum Erfolg ist, wurde der Liverpooler Mannschaft und ihrem Trainer in den vergangenen Jahren mehrfach zu Genüge deutlich gemacht. 2019 gab es im Finale statt purer Unterhaltung einen Titel. Und Klopp wird sich nicht mehr anhören müssen, in den entscheidenden Momenten zu versagen.