Borussia Dortmund empfängt am Dienstag im Champions-League-Achtelfinale Paris Saint-Germain (21 Uhr live auf DAZN) im Signal Iduna Park. Vor dem Hinspiel spricht BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Interview mit SPOX und DAZN über die Arbeit von Lucien Favre, die Defensivprobleme und fehlende Reibung im Team.
Watzke erklärt auch die Vorzüge von Emre Can und Erling Haaland und blickt auf das Wiedersehen mit Ex-Coach Thomas Tuchel in der Champions League voraus.
Herr Watzke, wie bewerten Sie die aktuelle Situation beimBVB?
Hans-Joachim Watzke: Im Februar und März fallen die ersten Entscheidungen, im DFB-Pokal ging es für uns leider nicht gut aus. In der Bundesliga haben wir aus fünf Spielen zwölf Punkte geholt. Das ist gut. Wir befinden uns in einer wichtigen Phase.
Hört Trainer Lucien Favre auf den Rat anderer?
Watzke: Ein Trainer sollte immer seinen eigenen Weg gehen, sich dabei aber sicherlich eine zweite Meinung von seinem Trainerteam einholen. Auf mich wirkt er sehr fokussiert. Was wir alle im Profifußball brauchen, sind Ergebnisse. Wir haben trotz des Scheiterns im Pokal noch viele Chancen und in der Liga eine gute Ausgangsposition.
imago imagesHans-Joachim Watzke erklärt Defensivprobleme
Warum unterliegt die Borussia in dieser Saison so großen Leistungsschwankungen?
Watzke: Extrem schwankend sind unsere Leistungen eigentlich gar nicht. Wir haben als einzige Mannschaft zu Hause noch kein Ligaspiel verloren und sind in der Rückrundentabelle weit vorn. Aber immer dann, wenn wir glauben, dass wir gerade sehr stabil sind, kommt der Rückschlag. Vor allem auswärts. Ganz nüchtern analysiert, haben wir in Bremen und Leverkusen zwar viele Fehler und viel falsch gemacht. Aber uns fehlte auch ein wenig das nötige Glück. In Bremen muss uns Schiedsrichter Guido Winkmann einen Elfmeter zusprechen. Er kann nicht einen Spieler mit der Gelben Karte bestrafen, weil dieser Giovanni Reyna umschubst. Dann aber im laufenden Spiel nicht das Foul pfeifen. In Leverkusen ist es ähnlich: Ich bin überzeugt, dass der aberkannte Treffer von Jadon Sancho korrekt war. Trotzdem muss man festhalten, dass wir es in beiden Spielen im kollektiven Defensivverbund nicht gut gemacht haben.
Wo sehen Sie das Hauptproblem?
Watzke: Wir definieren uns möglicherweise zu sehr darüber, gut Fußball spielen zu wollen. Die Defensivarbeit müssen nicht nur die drei, vier Abwehrspieler machen, die gesamte Mannschaft muss sie vorleben. Wenn ich mir anschaue, wie Mane, Salah und Firmino beim FC Liverpool nach hinten mitarbeiten, ist das schon beispielhaft. Wir müssen gieriger sein, unser Tor zu verteidigen. Und nicht nur gierig sein, das nächste Tor zu erzielen. Das ist der entscheidende Punkt. Vielleicht war die Partie in Leverkusen noch einmal ein heilsamer Schock. Ein Fingerzeig, dass wir in der Defensive noch einmal zulegen müssen.
Hans-Joachim Watzke fordert mehr Reibung im Team
Manuel Akanji ist im Sommer nach der Verpflichtung von Mats Hummels aus dem Mannschaftsrat ausgetreten. Haben Sie das verstanden?
Watzke: Ganz grundsätzlich und nicht auf Manuel Akanji gemünzt: Wer sich für Fußball interessiert und nicht akzeptiert, dass ein Mats Hummels, der Weltmeister geworden ist, viele weitere Titel gewonnen und sich um diesem Verein verdient gemacht hat, nach seiner Rückkehr wieder eine gewisse Stellung innerhalb der Mannschaft einnimmt, dem kann ich auch nicht helfen. Manchmal muss man für Reibung sorgen, sonst bräuchte es ja keinen Konkurrenzkampf. Und ich glaube, wir müssen sogar noch mehr Reibung im Team haben.
Neuzugang Emre Can bemängelte in Leverkusen, das Team hätte bei "einer Führung dreckiger zu spielen". Hat er recht?
Watzke: Natürlich. Was er gesagt hat, kann ich zu 100 Prozent unterschreiben.
Haben Spielertypen wie Emre Can der Mannschaft also gefehlt?
Watzke: Wenn diese Spieler wirklich gefehlt hätten, wären wir in der vergangenen Saison nicht mit 76 Punkten, einer fantastischen Ausbeute, Vize-Meister geworden. Ein Saisonverlauf ist immer dynamisch. Da haben Spieler, die zuletzt noch mehr Verantwortung übernommen haben, auch mal eine schwächere Phase. Wenn ein Emre Can als Nationalspieler mit einer gewissen Mentalität auf den Markt kommt, denkt man darüber nach. Im Sommer war er noch nicht zu haben, nun war die Situation eine andere. Wir haben nicht krampfhaft nach einem bestimmten Spielertyp gesucht. Bei Can waren und sind wir überzeugt, dass er uns im Gesamtpaket weiterhelfen kann.
Haben Sie die sportliche Entwicklung nach den guten Sommertransfers kommen sehen?
Watzke: Wir hatten das Gefühl, dass unsere Transfers sehr durchdacht waren. Das Problem ist meiner Meinung nach, dass der eine oder andere Spieler das Niveau der Vorsaison nicht halten konnte.
Wieso haben Sie sich so sehr um Erling Haaland bemüht?
Watzke: Wir wollten immer einen Mittelstürmer haben, der eine etwas andere Art hat, Fußball zu spielen. Es ging nicht um einen zweiten Stürmer, sondern um einen großen, körperlich starken klassischen Neuner. Dieser Typ musste aber auch erstmal auf den Markt kommen. Es gibt nicht viele, die 1,94 Meter groß und so schnell sind. Eigentlich fällt mir da sonst niemand ein. Es war jetzt einfach eine Chance, die man nicht so oft bekommt.
BVB-Boss Watzke über Erling Haaland und Paco Alcacer
Erinnern Sie sich an die erste Begegnung mit Haaland?
Watzke: Ich habe seinen Weg schon etwas länger verfolgt. Das erst Mal getroffen habe ich ihn im Dezember. Ich glaube, dass wir beide schnell das Gefühl hatten, dass es etwas werden kann. Er ist noch sehr jung, hat aber einen riesige Willen. Er bringt die körperlichen Attribute mit und ist extrem fokussiert. Das tut uns sicherlich gut. Grundsätzlich sind skandinavische Spieler sehr motiviert, sehr erfolgshungrig und sehr anständige Jungs. Erling verkörpert das alles. Er ist charakterlich einwandfrei und hat einen unbändigen Willen. Auch im Training! Das ist eine gute Geschichte.
Können Sie bei Verpflichtungen von umworbenen Spielern mit dem Stadion punkten?
Watzke: Ja, das war ein Argument, weil jeder in Europa von unserem Stadion und der Atmosphäre spricht. Wichtiger war aber, dass er die große Chance gesehen hat, bei uns eine wichtige Rolle zu spielen. Zudem hat er in unserem Team viele Spieler gesehen, die ihn in Szene setzen können. Schauen Sie sich mal die Bilder an, wie er am Freitagabend ins Stadion kam und die Choreo der Fans gesehen hat. Staunend. Ungläubig. Mit großen Augen.
Sie haben im November gesagt: "Wir haben einen Fehler gemacht. Wir hätten eine zweite Nummer neun verpflichten müssen." Nun haben Sie Haaland geholt, aber Paco Alcacer verkauft - und dieselbe Situation. Warum haben Sie Paco nicht wenigstens bis zum Sommer gehalten?
Watzke: Wie oben schon geschildert: Es ging nicht um einen zweiten Stürmer, sondern um einen anderen Stürmer-Entwurf. Die Rolle von Paco können bei uns auch andere Spieler übernehmen. Aber einen Typen wie Erling hatten wir vorher nicht. Die Entscheidung, Paco abzugeben, war einfach. Ein Mittelstürmer, der nicht spielt, ist schnell unzufrieden. Sein großes Ziel ist die Europameisterschaft 2020, und die hätte er bei einem Verbleib wohl verpasst. Die wirtschaftliche Komponente war beim Verkauf von Paco nicht entscheidend. Das Geld hätten wir auch im Sommer bekommen.
imago imagesBVB-Wiedersehen mit Thomas Tuchel wird keine Rolle spielen"
In der Champions League kommt es zum Wiedersehen mit Ex-BVB-Coach Thomas Tuchel. Wird das sehr emotional?
Watzke: Nein, das wird keine Rolle spielen. Paris hat eine außergewöhnliche Mannschaft mit einem außergewöhnlichen Trainer. Was Thomas Tuchel in der Offensive für Möglichkeiten hat - so etwas gibt es vielleicht kein zweites Mal im europäischen Fußball. Das ist schon der Wahnsinn. Gleichzeitig ist in Paris Druck auf dem Kessel. PSG und die Investoren aus Katar wollen mehr als das Achtelfinale erreichen. Wenn wir zwei gute Tage erwischen, haben wir eine Chance, Paris auszuschalten. PSG ist aber sicherlich favorisiert.
Freuen Sie sich auf das Wiedersehen mit Tuchel?
Watzke: Wir haben zwei Jahre gut zusammengearbeitet, und zum Schluss wurde es etwas zäh. Aber das ist drei Jahre her. Er ist ein großartiger Trainer, und wenn ich ihn sehe, werde ich ihn sicherlich begrüßen und ich denke, dass er das auch tun wird.