FC Bayern in der Taktik-Analyse: Das Kovac-U hat ausgedient
In der Königsdisziplin überdreht Flick nicht, er wollte und will das Rad nicht neu erfinden, sondern setzt auf altbewährte Bausteine - welche seine Mannschaft dann aber phasenweise in Perfektion umsetzt. Das Kovac-U hat ausgedient, Flick ersetzte das vorsichtige Umspielen des gegnerischen Pressings in einer U-Form samt zahlloser Flanken aus dem Halbfeld durch einen ballbesitzorientierten Ansatz, der sich aber nicht in Kontrolle ergeht, sondern auch sehr vertikal und zielstrebig daherkommt.
Mit dem Ball bestechen die Bayern durch ein sehr gutes, weil variables Positionsspiel. Permanent wird der Gegner in beide Richtungen bedroht, sowohl horizontal als auch vertikal. Durch die breite Anordnung mit sehr hoch agierenden oder nachschiebenden Außenverteidigern schaffen die Bayern Platz im Zentrum, dazu gibt es dauerhaft schnelle Läufe der Angreifer in die Tiefe, sodass der Gegner immer zwei Ebenen gleichzeitig im Blick haben muss: Die Breite im (Bayern-)Spiel und die Sicherung der Tiefe.
Gegen das Verschieben verlagern die Bayern schnell und punktgenau, mit den klassischen Kettenmechanismen im Pressing wird man der Mannschaft deshalb kaum Herrr. Sobald Überzahl in Ballnähe geschaffen ist, lösen die Bayern diese durch eine Verlagerung über ihren Sechser oder einem direkten Diagonalball auf die ballferne Seite auf und haben dann dort Platz, um ihre spielstarken Innen- oder Außenverteidiger andribbeln zu lassen und schnell Druck auf den Gegner aufzubauen.
Überhaupt ist ein langer Diagonalball der Innenverteidiger ein gerne eingestreutes Mittel, um die Flügelspieler ins Spiel zu bringen und dann mit dem nachschiebenden Außenverteidiger Tempo und im besten Fall Überzahl am Flügel zu schaffen. Der zurückfallende Lewandowski stellt diese Überzahl im Zentrum mit her und ist sich vor dem Tor auch nicht (mehr) zu schade, den Ball dann auf einen besser postierten Mitspieler abzulegen.
FC Bayerns Gegenpressing der Gold-Standard in Europa
Die Flügelangreifer sind flink und dribbelstark genug, um Eins-gegen-Eins-Situationen aufzulösen - und über allem steht Müller, der als Freigeist durch die gegnerischen Reihen schleicht und oft genug den Takt vorgibt: Mit einem kurzen, sehr simplen Pass ziehen die Bayern über ihn dann plötzlich das Tempo an und besetzen den gegnerischen Strafraum mit vier, fünf oder noch mehr Spielern.
Die individuelle Klasse der Spieler tut ihr Übriges, es gibt überall auf dem Feld Ein-Mann-Waffen, die zünden. Dazu sorgen vereinzelte Flanken für Bedrohung oder die Chipbälle aus dem Mittelfeld hinter die gegnerische Linie. Das Resultat: Der Gegner weiß nie, was als nächstes kommt und worauf er sich einstellen muss.
Der eigentliche Schlüssel und die größte Veränderung unter Flick kam aber im Spiel gegen den Ball. Drei der ersten vier Tore gegen Barca fädelten die Bayern durch ihr sagenhaft mutiges, aber auch sauber orchestriertes Gegenpressing ein. Derzeit ist das der Gold-Standard nicht nur in Europa. Keine andere Mannschaft erdrückt den Gegner in den ersten Momenten nach einem eigenen Ballverlust derart wie die Bayern.
Das Nachrücken und Zuordnen der bis in die gegnerische Hälfte aufrückenden Mannschaft verstärkt diesen Effekt und sorgt in der Regel für die notwendige Kompaktheit dieser durchaus waghalsigen Unternehmung. Im Zentrum werfen die Bayern ihre Fangnetze aus und schnappen dann gnadenlos zu. Der Gegner bekommt kaum eine Verschnaufpause, steht unter dauerhaftem Druck und begeht dann auch Fehler. Dass die Bayern im Umschaltmoment nach vorne durch ihre Geschwindigkeit dann nach jeder einzelnen Balleroberung gefährlich werden, versteht sich fast schon von selbst.
FC Bayern: Eine Verwundbarkeit kann gegen Lyon tödlich werden
Zur Wahrheit des Barcelona-Spiels gehört auch: Nach 15 Minuten hätte es im Viertelfinale auch 3:1 für den Gegner stehen können. Barca hatte nicht viele gute Ideen für die Partie entwickelt, aber diese eine schon: Die Bayern wurden mit kurzen Anspielen ins hohe Pressing gelockt und über einen im Zentrum abgelegten Ball, der schnell tief gespielt wurde, über die Außen aufgeknackt. Die teilweise unverschämt hoch aufgerückten Außenverteidiger sind in ihrem Rücken verwundbar.
In der Regel können Spieler wie Davies, Benjamin Pavard, Kimmich, Alaba oder Boateng in den dann folgenden Laufduellen Vieles noch löschen und die Situation klären, immer gelingt das aber nicht. Ganz speziell Olympique Lyon hat gezeigt, wie man schnörkellos und ohne sich im gegnerischen Pressing zu verzetteln in die Spitze spielt und dort mit stets an der Abseitslinie lauernden oder in die Tiefe startenden Mittelfeldspielern vor das gegnerische Tor kommt. Lyon sollte in dieser Disziplin nicht unterschätzt werden, zumal die Bayern in der hohen Abwehrlinie ihren besonders wunden Punkt haben.
Und noch eine Sache müssen die Münchener nun erst bestätigen: In zahlreichen Spielen unter Flick machte es sich die Mannschaft nach einem vermeintlich sicheren Vorsprung zu gemütlich. Zuletzt auch wieder im Pokalfinale gegen Leverkusen und selbst im Achtelfinale gegen Chelsea, als der an sich ungefährliche Gegner plötzlich am einen oder anderen Tor schnuppern durfte. Die laxe Einstellung kann gegen Lyon und in einem möglichen Finale tödlich sein.
Champions League: Halbfinale im Überblick
Datum | Uhrzeit | Mannschaft 1 | Mannschaft 2 |
18. August | 21 Uhr | RB Leipzig | Paris Saint-Germain |
19. August | 21 Uhr | FC Bayern | Olympique Lyon |