Kommentar zum Aus von Manchester City: Pep Guardiola hätte auf Thomas Müller hören sollen

Filippo Cataldo
11. Dezember 202014:10
Pep Guardiola ist mit City im Viertelfinale an Lyon gescheitert.getty
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Manchester City hat das Viertelfinale der Champions League (Saison 2019/20) wegen individueller Fehler gegen Olympique Lyon mit 1:3 (0:1) verloren (Video: Die Highlights des Spiels), das erneute frühzeitige Ausscheiden aus der Champions League geht aber vor allem auf Pep Guardiola. Die Ursache für das erneute Totgrübeln eines Spiels ist womöglich in seinem größten Erfolg zu suchen. Ein Kommentar.

Dieser Kommentar wurde erstmals am 16. August 2020 veröffentlicht.

Vielleicht war Wembley 2011 einfach zu perfekt. Vielleicht war jene mythengründende Champions-League-Nacht von Wembley, als Pep Guardiolas und Lionel Messis FC Barcelona das Manchester United von Sir Alex Ferguson regelrecht zerstörte, für die Beteiligten mehr Fluch als Segen.

Wer einmal von der Perfektion kosten durfte, will sie immer wieder erreichen. Womöglich wurde nach diesem in jeder Beziehung stilbildenden 3:1 im K.o.-Spiel aus dem genialen Nachdenker, dem Mann mit den immer richtigen Ideen der notorische Grübler und Über-Fünf-Ecken-Denker Pep Guardiola: Ein Trainer, der seinen Mannschaften mit seiner getriebenen Suche nach der vermeintlich perfekten Lösung ausgerechnet in K.o.-Spielen das Gewinnen schwer macht.

Denn absolute Perfektion gibt es nicht, notorische Perfektionisten sind zum Scheitern verurteilt. Perfektion sei Lähmung, sagte Winston Churchill einst. Spätestens seit dem 1:3 gegen Olympique Lyon im Viertelfinale des Champions-League-Finalturniers am Samstag ahnen Manchester Citys Spieler, was der britische Staatsmann gemeint haben muss.

Pep Guardiolas Champions-League-Bilanz seit 2011 als total missraten zu bezeichnen, wäre trotz der Riesen-Investitionen vor allem bei City zu hart. Seine vier Halbfinal- und drei Viertelfinalteilnahmen in seinen acht Trainerjahren seither (2013 war Pep im Sabbatical) sind insgesamt schwer zu toppen. Obgleich mit City schon mal das Halbfinale herausspringen muss. Und so steht Guardiola jetzt da als einer, der keine K.o.-Spiele kann. Sein Mythos bröckelt.

Manchester City hat wegen individueller Fehler verloren, ist aber wegen Pep Guardiola ausgeschieden

Es wäre zwar höchst unfair, Pep Guardiola jedes Ausscheiden seiner Mannschaften alleine anzulasten: 2014 ließ er sich etwa vor dem 0:4 bei Real Madrid von den Bayernspielern eine andere, zuvor nie gespielte Grundordnung einreden; weder Aymeric Laportes krasser Fehlpass vorm 1:2, noch die Raheem Sterlings vergebene Monsterchance zum 2:2 dürften in Peps Matchplan gestanden haben.

Manchester City hat das Spiel wegen individueller Fehler verloren. Dass es nicht zum Halbfinale der Giganten zwischen Peps Ex-Mannschaft FC Bayer und den Citizens kommt, geht dennoch vor allem auf Guardiola.

Weil er bei seinen Verteidigern nicht ganz zu Unrecht ein Tempodefizit gegen die konterstarken Franzosen ausgemacht hatte, stellte er mit Eric Garcia einen dritten Innenverteidiger in die Mannschaft, nahm das mit Übersicht und Spielverständnis gesegnete Supertalent Phil Foden aus dem Team und stellte Spielmacher Kevin De Bruyne auf den rechten Flügel.

Manchester City zum ersten Mal unter Pep nicht dominant

Abgesehen davon, dass solche plötzlichen Umstellungen der Routine - City spielte nur sehr sporadisch mit einer Dreierkette - in absoluten Drucksituationen psychologisch sehr herausfordernd sind: Für sich alleine war jede Entscheidung fachlich irgendwie nachvollziehbar, im Ganzen funktionierte die 3-1-3-3-Grundordnung aber überhaupt nicht: City bekam keinen Zugriff auf die Partie, Lyon zog das Spiel in die Breite, zwang City in einen engen Korridor zwischen die Mittellinie. Schlimmer noch: Lyon zwang City sein Spiel auf.

Guardiola machte seine Citizens zu klein. Mit einer anderen Herangehensweise zwar, aber mit ähnlichem Ergebnis wie Bayerns damaliger Coach Niko Kovac in der vergangenen Saison gegen Liverpool. Völlig absurd: zum ersten Mal seit Menschengedenken war eine Pep-Guardiola-Mannschaft am Samstag - bis auf eine recht kurze Phase vor dem Ausgleichstreffer - nicht ultradominant. Guardiola hatte sich zu sehr am Gegner orientiert, City reagierte vor allem. Als Pep-Mannschaft! Gegen Lyon, den noch größeren Außenseiter als RB Leipzig im Turnier! Mit 72 Prozent Ballbesitz!

Ähnlich wie sein Mentor Marcelo Bielsa sieht Pep Guardiola es als seine Pflicht an, seinen Spielern möglichst viele Informationen über die jeweiligen Gegner an die Hand zu geben. Peps Grübelei, seine Analysefähigkeiten und Ideen führen, gepaart mit der individuellen Stärke der Akteure, vor allem in der Liga zur oftmals extremen Dominanz der Guardiola-Mannschaften. "Auf lange Sicht ist Guardiola deshalb der beste Trainer und seine Teams sind die stärksten", sagte Bayerns Thomas Müller im Februar zu The Athletic. Die 28 Titel Guardiolas seit 2008 sind nicht wegzudiskutieren, auch wenn es in dieser Saison nur zum Carabao Cup reichte.

Manchester Citys Pep Guardiola: Ein Trainer mit Vergangenheit?

Vor K.o.-Spielen sei der Coach aber womöglich zu verkopft, hin- und hergerissen zwischen Anpassungen an den Gegner und der Beibehaltung der eigenen Spielweise. "Manchmal war deshalb nicht einhundertprozentig klar, was wir tun", sagte Müller noch. "Vielleicht hat Müller recht", antwortete Guardiola damals.

Hätte er mal auf ihn gehört. Dann hätte er womöglich nicht wieder ein K.o.-Spiel totgegrübelt, dann würde die Debatte jetzt vielleicht etwas weniger existentiell geraten.

Ob das Finalturnier von Lissabon tatsächlich das "Ende einer weltanschaulichen Dekade des Fußballs" darstellt und ob Guardiola ein "Trainer mit Vergangenheit, nicht Zukunft" ist, wie am Samstag Abend der ebenso fußballaffine wie kluge Philosoph Wolfram Eilenberger twitterte, wird die Zeit zeigen. Möglich ist es.

Pep Guardiola nun nach der erneuten Enttäuschung jedoch als total überschätzt zu bezeichnen und seinen Einfluss auf auf den Fußball wie wir ihn heute denken zu negieren, ist genauso hanebüchener Unsinn, wie nach Deutschlands WM-Ausscheiden 2018 den Ballbesitzfußball für tot zu erklären. Mit Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann beziehen sich zwei der vier Trainer im Lissaboner Halbfinale in ihrer Arbeit direkt auf Guardiola, Bayerns Hansi Flick hat mit etwas anderen Mitteln eine ähnliche Ultradominanz erreicht wie der Katalane zu seinen besten Zeiten.

Pep Guardiolas Mythos bröckelt, zerstört ist er noch nicht. Einstweilen wird es aber Zeit für neue Vorbilder.