Von der reinen Anzahl der Kaderspieler her kommt es aktuell zwar hin, doch gemeint hatte es Lucien Favre - und in diesem Fall kann man sich dabei sogar sicher sein - anders. Zwei Mannschaften wolle er angesichts der anstehenden und anstrengenden Saison zur Verfügung haben, sagte der Trainer von Borussia Dortmund während der Vorbereitung im August gleich mehrfach.
Als Sportdirektor Michael Zorc jedoch hinsichtlich weiterer Transfers die finanzielle Machbarkeit dagegenhielt, kürte der Boulevard diese vermeintliche Unstimmigkeit zum ersten BVB-Zoff der neuen Spielzeit. "Die wirtschaftliche Vernunft gebietet ein Nicht-Handeln", stellte Zorc auch Anfang September noch einmal klar, als feststand, dass mit Dan-Axel Zagadou ein Innenverteidiger länger ausfallen wird.
Regeneration, Rotation und Improvisation lauten daher die goldenen Worte für alle europäisch spielenden Vereine, wenn sie den hochgradig irrsinnigen Rahmenterminkalender inmitten einer globalen Pandemie einigermaßen menschenwürdig bewältigen wollen. Gerade Begriff Nummer drei ist beim BVB derzeit gefragt, wenn man sich den personellen Engpass in der Defensivabteilung vor Augen führt.
Favre hat nämlich nicht zwei gleichwertige Mannschaften hingestellt bekommen, die er nun wahlweise ohne großen Qualitätsverlust durchmischen und auflaufen lassen könnte. Das war letztlich so vorhersehbar wie die Tatsache, dass alle Teams im Europa-Dauereinsatz permanent mit Verletzungen zu kämpfen haben werden. Noch einmal zur Verdeutlichung: Begonnen mit der siegreichen Partie in Hoffenheim (1:0) am Samstag stehen für Dortmund sieben Spiele in 21 Tagen an, danach geht es mit der nächsten fragwürdigen Drei-Spiele-Länderspielpause weiter. Und weiter, und weiter...
BVB bei Lazio: Can fehlt, Akanji mehr als fraglich
Am Dienstag läuft die Borussia nun zum Auftakt in die diesjährige Champions-League-Saison bei Lazio in Rom auf. Hier folgt Teil zwei von Favres Improtheater, der bereits am vergangenen Wochenende auf die späte Rückkehr seiner Nationalspieler reagierte und gleich mehrere Stammspieler zunächst auf die Bank setzte.
Wie also wird Dortmunds Abwehr in der italienischen Hauptstadt aussehen? Der Stand der Dinge ist folgender: Sicher fehlen werden den Westfalen der aus der Vorsaison rotgesperrte Emre Can, die an den Knien verletzten Zagadou und Marcel Schmelzer sowie Nico Schulz, der gerade seine vierte Blessur in 15 Monaten BVB auskuriert.
Nach zwei Wochen ohne Mannschaftstraining mehr als unwahrscheinlich ist der Einsatz des positiv auf Corona getesteten Manuel Akanji. Dessen 14 Tage andauernde Quarantäne endete am vergangenen Samstag.
Muss der BVB auch auf Piszczek verzichten?
Zu allem Überfluss verletzte sich in Hoffenheim auch noch Lukasz Piszczek. "Lukasz hat einen Finger ins Auge bekommen und geblutet. Er wird jetzt in der Klinik untersucht", sagte Zorc nach der Begegnung - Ausgang offen.
Immerhin: Rechtsverteidiger Mateu Morey hat seinen Muskelfaserriss auskuriert und stand zuletzt zweimal im Kader. "Morey hat seit zwei Monaten nicht mehr gespielt, aber er ist langsam wieder fit", erklärte Favre. Das letzte Pflichtspiel des Spaniers liegt gar fast vier Monate zurück.
So stellt sich angesichts dieses Personalpuzzles die Frage, ob der BVB mit einer Dreier- oder der in der Vorbereitung oft eingeübten Viererkette im Stadio Olimpico auflaufen wird. Für beide Varianten gäbe es theoretische Planspiele, dass Favre bei der zuletzt praktizierten Dreier-Anordnung bleibt, sollte aber als sicher gelten.
Delaney mit guter Leistung als Innenverteidiger
Fallen Akanji und Piszczek aus, dürfte der einzig verbliebene Innenverteidiger Mats Hummels von Thomas Meunier rechts und Thomas Delaney links flankiert werden. Bereits im Kraichgau rückte der Däne nach Piszczeks Ausfall auf diese Position und spielte dort erstmals seit 2014, als er noch für den FC Kopenhagen auflief.
Delaney zeigte dabei eine mehr als ansprechende Leistung und stach besonders mit seiner dynamisch-energischen Zweikampfführung hervor. In diesem Szenario könnten dann Felix Passlack - eine Startelfnominierung von Morey dürfte ausgeschlossen sein - als rechter und der ohnehin dort fest eingeplante Raphael Guerreiro als linker Flügelverteidiger spielen.
Muss lediglich Akanji passen, und das ist der wahrscheinlichste Fall, wäre Piszczek als rechter Innenverteidiger gesetzt. Stünden idealerweise beide zur Verfügung, würde das Trio Piszczek, Hummels, Akanji auflaufen. Meunier und eben Guerreiro hießen dann die Außen. Allem Anschein nach keine Option für eine tiefere Positionierung ist Axel Witsel.
BVB-Coach Favre: "Das machen wir momentan nicht schlecht"
"Wir sind hier ganz okay. Wir haben ein leichtes Problem", sagte Favre nach dem Dreier bei der TSG angesprochen auf die derzeit verfügbare Abwehrabteilung. Ohnehin forderte der Coach auch mit Blick auf den atemlosen Spielrhythmus bereits: "Wir müssen kreativ sein und die beste Lösung finden."
Sicher ist zumindest, dass der 62-Jährige auch für das Spiel in Rom eine Lösung finden wird. Es gibt schließlich noch ein paar mögliche Modelle, um eine zwar nicht eingespielte, aber auf dem Papier vernünftige Abwehrformation aufzustellen. Ob diese Tüftelei Favres Vorstellungen aus dem Sommer entspricht, steht auf einem anderen Blatt.
In dieser Debatte nicht unerwähnt bleiben darf ein positiver Aspekt: Dortmund hat in den vier siegreichen Pflichtspielen der laufenden Saison kein einziges Gegentor kassiert. "Wir müssen alle zusammenarbeiten in der Verteidigung. Das machen wir momentan nicht schlecht", sagte Favre.
BVB: Die bisherigen Pflichtspiele der Saison 2020/21
Wettbewerb | Gegner | Ergebnis |
DFB-Pokal | MSV Duisburg (A) | 5:0 |
Bundesliga | Borussia Mönchengladbach (H) | 3:0 |
Bundesliga | FC Augsburg (A) | 0:2 |
Bundesliga | SC Freiburg (H) | 4:0 |
Bundesliga | TSG 1899 Hoffenheim (A) | 1:0 |