Plötzlich war Cristiano Ronaldo Co-Trainer. Mindestens. Wie ein Besessener tigerte er vor Portugals Bank umher, schrie Anweisungen aufs Feld, hatte die Schmerzen der Verletzung, wegen der er den Rasen im EM-Finale 2016 früh verlassen musste, längst vergessen.
Den wichtigsten Moment seines rund 90-minütigen Trainer-Praktikums hatte der Superstar wohl in der 79. Minute. Als Eder eingewechselt wurde und er ihm den vielleicht entscheidenden Schub gab.
"Ronaldo sagte mir, dass ich das Siegtor für uns erzielen würde", verriet Eder später. "Er gab mir dieses gewisse Etwas an Kraft, an Energie. Es war maßgeblich." In der 109. Minute sollte es so weit sein, schoss der Stürmer, dessen Nominierung für das Turnier kritisch beäugt worden war, der zuvor lediglich 13 Minuten in der Gruppenphase gespielt hatte, den goldenen Treffer zum 1:0 gegen Gastgeber Frankreich.
"Das hässliche Entlein hat getroffen - jetzt ist er ein schöner Schwan", frohlockte Portugals Chefcoach Fernando Santos. Vollkommen unverhofft war der damals 28-jährige Eder, der mit Lok Moskau am Dienstag in der Champions League auf den FC Bayern trifft, plötzlich ein Volksheld. Einer mit einer ganz besonderen Geschichte.
Eder über Zeit im Kinderheim: "Natürlich war es dort manchmal hart"
Geboren in der früheren portugiesischen Kolonie Guinea-Bissau in Westafrika, kam Eder schon als Kleinkind mit seiner Familie nach Portugal. "Mein Vater war schon länger dort, ich reiste dann mit meiner Mutter nach", erinnerte er sich einst in einem Interview auf der Webseite seines Ex-Klubs Swansea City.
Sie ließen sich in Coimbra nieder, einer Stadt im Westen Portugals, suchten nach einem besseren Leben. Doch Eders Kindheit war kompliziert, stets von finanziellen Sorgen überschattet. Seine Eltern waren nicht in der Lage, sich gut um ihn zu kümmern, gaben ihn als Achtjährigen daher in ein staatlich gefördertes Kinderheim am Stadtrand von Coimbra, betrieben von katholischen Priestern.
"Natürlich war es dort manchmal hart, das ist normal", wird Eder über seine Zeit im 'Lar O Girassol', was übersetzt 'Haus der Sonnenblume' bedeutet, vom Guardian zitiert. "Aber ich genoss es auch. Ich habe dort viele meiner Freunde kennengelernt und es war eine Erfahrung, die mir im Leben später half."
Er konnte zur Schule gehen, spielte ansonsten mit den Kumpels den ganzen Tag Fußball in den Straßen von Coimbra, eiferte seinem großen Idol nach, dem brasilianischen Ronaldo. Eine in Coimbra ansässige Fußball-Akademie entdeckte ihn, verhalf ihm mit 18 zum Wechsel zu einem Viertligisten, ein Jahr darauf war er in der zweiten portugiesischen Liga angekommen.
Eder auch nach goldenem Finaltor kein Durchstarter
400 Euro gab es dort monatlich, jeden Cent davon überwies Eder sofort an seine Mutter. Inzwischen dürfte sie seit Jahren deutlich mehr bekommen, schließlich verdient der Stürmer spätestens seit seinem Wechsel zum damaligen Premier-League-Klub Swansea City im Sommer 2015 Millionen.
Zweieinhalb gute Spielzeiten bei Sporting Braga hatten Eder dorthin gebracht - doch das Abenteuer England sollte zum Albtraum werden. In 15 Pflichtspielen für die Swans gelang ihm kein einziger Treffer, hinzu kam eine Fußverletzung, die ihn einige Wochen lahmlegte.
Um überhaupt noch eine Chance auf die EM zu haben, ließ er sich Anfang 2016 an den OSC Lille verleihen - die goldrichtige Entscheidung. Sechs Tore und vier Assists standen für die Rückrunde in der Ligue 1 auf seinem Konto, Nationaltrainer Santos nahm ihn mit und machte es Eder damit möglich, sich an jenem 10. Juli 2016 im Stade de France zum Helden für die Ewigkeit zu krönen.
Doch der erhoffte Türöffner zum Durchstarter in einer Top-5-Liga wurde das Tor zum EM-Titel nicht. Lille verpflichtete Eder zwar fest, seine Trefferquote konnte er jedoch nicht aufrechterhalten. Ohnehin: In den vergangenen vier Jahren kam Eder nie auf mehr als sechs Saisontore, in der laufenden Spielzeit hat er für Lok in zehn Liga-Einsätzen noch gar nicht getroffen.
Eder in den letzten Wochen bei Lokomotive Moskau gesetzt
2017 hatte Lille Eder nach Moskau verliehen, ein Jahr später dann für nur 500.000 Euro verkauft. Der Europameister pendelte bei den Russen meist zwischen Bank und Startelf, sein bis dato letztes von 35 Länderspielen hat er im November 2018 gemacht.
Doch in den letzten Wochen war er bei Lok gesetzt, im 4-4-2-System bildet der 1,90-Meter-Schlaks gemeinsam mit dem wuseligen Fedor Smolov ein gut harmonierendes Sturmduo. Und zum Champions-League-Auftakt letzte Woche traf Eder beim 2:2 in Salzburg zur Führung, Bayern sollte ihn also keinesfalls unterschätzen. Auch wenn die Motivationsrede von CR7 diesmal wegfällt.
Eder im Steckbrief
Vollständiger Name: | Ederzito Antonio Macedo Lopes |
Geburtsdatum: | 22.12.1987 |
Geburtsort: | Bissau |
Alter: | 32 |
Größe: | 1,90 m |
Nationalität: | Portugal |
Vertrag bis | 30.06.2021 |