Ankunft im Frankfurter Schnee, Winterjacken von Sport Scheck
Etwas weniger als vier Millionen Euro zahlte Hoffenheim im Januar 2011 für die Dienste des verheißungsvollen 19-Jährigen. Doch sein Weg war zunächst einigermaßen beschwerlich, beginnend mit seiner Ankunft in Deutschland von Hürden gesäumt. "Am Tag seiner Ankunft gab es in Frankfurt einen Wintereinbruch, es lagen 25 Zentimeter Schnee. Als er in Ludwigshafen in unserem Büro aufschlug, sind wir erst einmal losgefahren und haben im Sport Scheck Jacken für ihn gekauft", berichtet Rapp. Eine ziemliche Umstellung, in Florianópolis ist der Januar mit einer Durchschnittstemperatur von rund 27 Grad traditionell der wärmste Monat des Jahres.
Pfannenstiel kann verstehen, dass die ersten Kraichgau-Eindrücke für einen neuen Brasilianer nicht ganz einfach sein können: "Wenn du aus Brasilien kommst und dann erstmals zum Trainingsgelände nach Zuzenhausen aufs Land fährst, ist das in gewisser Weise ein Kulturschock."
Firmino sei bei seiner Ankunft sehr schüchtern gewesen und habe verständlicherweise eine Zeit gebraucht, um sich an sein neues Leben in Deutschland zu gewöhnen. Zudem habe anfangs nicht jeder im Sinsheimer Umfeld daran geglaubt, dass Firmino sich durchsetzen könne. "Es gab zu Beginn kritische Stimmen, die - vor allem aufgrund seiner Physis - an ihm gezweifelt haben", sagt Pfannenstiel.
Firmino-Förderer Tanner selbst hatte noch im Februar vergangenen Jahres in einem Interview mit Bleacher Report die damaligen Zweifel legitimiert und Firminos offenbar desolate körperliche Verfassung enthüllt.
Ernst Tanner: Firmino? "Anfangs schlechtere Werte als meine Oma"
"In Deutschland machen wir Fitness- und Bluttests, die sehr akkurat sind", sagte er und legte offenherzig nach: "Er hatte die schlechtesten Werte, die ich je bei einem Fußballprofi gesehen habe. Ich würde sogar soweit gehen, dass er in der Anfangszeit schlechtere Werte als meine Oma hatte. Sie waren so unterirdisch, dass man kaum glauben konnte, dass er in der Lage war, professionellen Fußball zu spielen."
Dementsprechend war Firmino nicht imstande, seinem neuen Arbeitgeber sofort weiterzuhelfen. Johannes Spors, seit April 2020 als Sportdirektor bei Vitesse Arnheim angestellt, arbeitete damals als Videoanalyst für die TSG. Er denkt im Gespräch mit Goal und DAZN an den Winter 2011 zurück. "Robertos erstes Spiel für Hoffenheim war ein Testspiel für die zweite Mannschaft unter Markus Gisdol gegen Waldhof Mannheim, das Wetter war katastrophal. Roberto hat sich merklich schwergetan. Wer wollte es ihm auch verübeln? Du kommst aus Brasilien und musst dann bei solchen äußerlichen Bedingungen ran, da bist du perplex."
Spors erklärt, dass Firmino selbstverständlich als Spieler für die erste Mannschaft eingeplant war, das Freundschaftsspiel habe vor allem der Belastungssteuerung gedient. Kurz gesagt: Firmino sollte sich in der U23 Spielpraxis holen und Kondition pumpen.
Gisdols Mannschaft bezwang den Lokalrivalen vor knapp 200 Zuschauern mit 2:1, Firmino steuerte die Vorlage zum entscheidenden Treffer bei. Sein Bundesliga-Debüt sollte noch auf sich warten lassen, erst Ende Februar spulte er die ersten Minuten in Deutschlands Beletage ab, 15 an der Zahl.
Kritik an Firmino wird immer lauter: "Offenbar nicht gut genug"
Den Großteil der Rückrunde verbrachte Firmino auf der Bank. Im April stand er erstmals in der Startelf, bis zum Ende der Saison standen drei Einsätze über 90 Minuten und drei Treffer in elf Partien zu Buche. Die kritischen Stimmen waren in der Zwischenzeit immer lauter geworden. Wolfgang Brück, Chefreporter der Rhein-Neckar-Zeitung, wurde in einem Leitartikel mit dem Titel "Firmino offenbar nicht gut genug!" zitiert. Man müsse sich bei Hoffenheim fragen, "ob man sich vergriffen hat", schrieb Brück und warf die Frage auf, warum der Neue so wenig spiele. Dies sei "schlechte Integration."
Der gescholtene Edeltechniker ließ sich nicht unterkriegen, entwickelte einen unbändigen Ehrgeiz. "Das Außergewöhnliche an ihm war, dass er eine unglaubliche Willenskraft hatte", sagt Rapp. "Er wollte sich durchsetzen und hat sich nicht von Rückschlägen zurückwerfen lassen."
Pfannenstiel bestätigt die Wahrnehmung des Beraters: "Am Anfang war es nicht so leicht, das Spiel war sehr schnell und sehr physisch. Aber seine regelmäßigen Zusatzschichten im Training trugen dazu bei, dass er sich schnell angepasst hat. Roberto hat sich von vielen anderen jungen Spielern, die mit einer anderen Fußballkultur aufgewachsen sind, unterschieden - er hat sowohl vor als auch nach dem Training extrem an sich gearbeitet. Er hat etliche Stunden im Kraftraum verbracht. Man konnte quasi dabei zusehen, wie er immer muskulöser wurde. Mit der Zeit wurde er immer besser, immer wichtiger."
Dass Firmino sich nach und nach immer besser akklimatisierte, sei Pfannenstiel zufolge auch Cesar Thier zu verdanken gewesen. Der damalige Torwarttrainer, selbst gebürtiger Brasilianer, nahm Firmino unter seine Fittiche: "Cesars Familie hat Roberto am Wochenende immer wieder eingeladen. Bei den Thiers wurden brasilianische Gerichte gekocht, brasilianische Musik gehört und Portugiesisch gesprochen. Cesar hatte eine gewisse Wohlfühlsituation geschaffen, Roberto war sofort familiär eingebunden. Diese Rückzugsoase hat ihm extrem dabei geholfen, sich in Deutschland einzuleben."
Von der Tatsache, dass die anfänglichen Komplikationen sich aufzulösen schienen, nahm man auch in Firminos Heimatland Notiz. Der brasilianische Verband nominierte den Hoffenheimer, der nie für eine U-Nationalmannschaft aufgelaufen war, um sich für die Olympia-Auswahl zu empfehlen.