BVB-Stürmer Erling Haaland verwunderte nach seinem verwandelten Strafstoß zum 2:0 im Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Sevilla mit einem fragwürdigen Jubel. Der Norweger schrie dem Sevilla-Torhüter Bono ins Gesicht und belegte ihn damit mit einem Fluch, der eigentlich ihn hätte treffen sollen, dem er im zweiten Anlauf aber trotzte.
Wenige Zentimeter fehlten Sevilla-Torhüter Bono am Ende der 52. Minute im Dortmunder Westfalenstadion. Wenige Zentimeter zwischen Erfolg und Misserfolg. Segen und Fluch. Zwar hielt der 29 Jahre alte Schlussmann den Elfmeter von Erling Haaland und parierte auch dessen Nachschuss glänzend, hatte aber vor der Ausführung des Strafstoßes die Linie verlassen. Den zweiten Versuch des Norwegers ins gleiche Eck hielt er dann nicht mehr - und musste sich dann auch noch einen hämischen Schrei des 20-Jährigen gefallen lassen.
Haaland beglich nach seinem Treffer zum 2:0 eine Rechnung, denn zuerst war es Bono, der ihm nach seinem ersten Fehlschuss ins Gesicht geschrien hatte. Was genau er schrie, wusste er selbst nicht, wie er nach dem Spiel zugab. "Ich habe keine Ahnung, was ich ihm zugeschrien habe. Ich habe dasselbe gesagt, was er zu mir gesagt hat. Keine Ahnung, was das bedeutet hat", erklärte Haaland. Unterm Strich hatte er also keine Ahnung, dass er möglicherweise den gegnerischen Keeper verflucht hatte.
Ein Fluch. Genau das war es, was Bono ihm entgegengeschrien hatte und auch andere Sevilla-Spieler vor der Ausführung des Elfmeters deutlich hörbar riefen. "Kiricocho", heißt er und hat seinen Ursprung in Argentinien, genauer gesagt beim renommierten argentinischen Klub Estudiantes de la Plata.
Dort, zumindest will es die Legende so, gab es einen Fan mit dem Namen Kiricocho - und jedes Mal, wenn der Student Kiricocho sich ein Training der Mannschaft anschaute, soll sich ein Spieler verletzt haben. Carlos Bilardo, Trainer von Estudiantes, erfuhr davon und schlug ihm 1982 vor, den Fluch als Geschenk zu nutzen. Fortan wurde dem Unglücksbringer vor jedem Heimspiel Zugang zum Eingangstor verschafft, wo er den Spielern der gegnerischen Mannschaft einen Klaps zur Begrüßung gab - mit durchschlagendem Erfolg.
Kiricocho-Fluch: Maradona und Simeone brachten ihn nach Spanien
Unter der Leitung von Bilardo holte Estudiantes in jenem Jahr die argentinische Meisterschaft und verlor nur ein einziges Heimspiel gegen die Boca Juniors. Die Mannschaft hatte einen eigenen Sicherheitsdienst, der Kiricocho daran hinderte, "seinen Job" zu erledigen und der anderen Mannschaft Unglück zu bringen.
Jahre später wurde der abergläubische Bilardo auf den "Fluch des Kiricocho" angesprochen, bestätigte die Geschichte und aus seiner Sicht die Existenz des Fluchs. Man habe Kiricocho als Unglücksbringer gebraucht.
Nach dem Titelgewinn verließ Bilardo Estudiantes, wurde Nationaltrainer Argentiniens, Weltmeister 1986 und anschließend ab 1992 Trainer beim FC Sevilla in Spanien - und traute dort seinen Ohren nicht, als er "Kiricocho"-Rufe bei seinem ersten Spiel mit Sevilla hörte: "Ich konnte es nicht glauben. Cholo (Diego Simeone, Anm. d. Red.) und Diego (Maradona, Anm. d. Red.) haben mir erzählt, dass sie das ein paar Mal auf dem Platz gerufen hatten und der Rest hat es von ihnen gelernt."
Der Fluch ist heutzutage besonders in Spanien vor der Ausführung von Elfmetern verbreitet. Eine noch größere Bühne bot Joan Capdevila dem Begriff "Kiricocho". Als Arjen Robben im WM-Finale 2010 alleine in der 62. Minute alleine auf Spaniens Torhüter Iker Casillas zulief, habe Linksverteidiger Capdevila den Ausdruck zum ersten Mal in seiner Karriere benutzt, wie er Movistar+ erzählte.
gettyRobben-Fehlschuss gegen Casillas wegen Kiricocho?
"In meiner Verzweiflung fiel mir als erstes das Wort 'Kiricocho' ein. Für mich hat es ganz gut funktioniert" - und für die spanische Nationalmannschaft auch. Casillas hielt den Schuss von Robben und Andres Iniesta krönte die Furia Roja mit seinem 1:0-Siegtreffer in der Verlängerung zum Weltmeister. Capdevila habe den "Kiricocho"-Fluch danach öfter verwendet.
Ein Fluch, der auch Haaland zunächst scheitern ließ und den der BVB-Stürmer dann mit seiner Urgewalt und ein bisschen Glück unbeschadet an seinen Gegner weitergab. "Als er mich angeschrien hat nach dem ersten, dachte ich: Umso besser, jetzt noch ein zweites Tor zu machen." Gesagt, getan.
Und der Namensgeber des Fluchs? Gut 20 Jahre nach dem Titelgewinn kehrte Bilardo noch einmal als Trainer zu Estudiantes zurück. Kiricocho traf er dort aber nicht mehr an. "Bei meinem ersten Spiel fragte ich nach ihm, aber niemand wusste etwas."