RB Salzburg - Matthias Jaissle im Interview: "Es geht um Achtsamkeit oder Empathie - nicht nur um Restverteidigung"

Florian Regelmann
20. Oktober 202111:53
Matthias Jaissle mit Karim Adeyemiimago images
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Mit zehn Siegen in Folge in die Liga gestartet, auch in der Champions League noch ungeschlagen: Matthias Jaissle hat einen Traumeinstand als Chefcoach bei RB Salzburg gefeiert. Vor dem Duell mit dem VfL Wolfsburg (18.45 Uhr bei DAZN und im LIVETICKER) spricht der erst 33-Jährige über seinen bemerkenswerten Karriereweg und Topstürmer Karim Adeyemi.

Außerdem erklärt Jaissle, warum sein Mentor Ralf Rangnick alles schon drei Jahre früher wusste, warum er aktuell ein Buch über das Thema Hirnforschung liest und welcher Gegenspieler früher besonders eklig war.

Dazu spricht Jaissle über seine junge Mannschaft und erklärt die Definition einer erfolgreichen Champions-League-Saison.

Herr Jaissle, Karim Adeyemi ist aktuell in aller Munde und steht gefühlt bei allen Topklubs auf dem Zettel. Wie haben Sie seine Entwicklung erlebt, seit Sie sein Trainer in Salzburg sind?

Matthias Jaissle: Karim ist auf einem super Weg, das kann man nicht anders sagen. Er hat sich gerade in den letzten Monaten super entwickelt, auch wenn er natürlich trotzdem noch Luft nach oben und sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat. Ich freue mich, dass er sich so einen Namen macht und jetzt auch wieder bei der Nationalmannschaft dabei war - er hat gezeigt, dass er völlig zurecht in dem Kreis dabei ist. Wenn er weiter so fleißig bleibt und mit der richtigen Einstellung weitermacht, hat er eine große Karriere vor sich.

Es ist für keinen Verteidiger aktuell ein Spaß, gegen Adeyemi spielen zu müssen. Sie waren selbst Verteidiger. Gegen wen war es für Sie eigentlich besonders hart?

Jaissle: Da gab es einige. Spontan muss ich an Mario Gomez, Miroslav Klose oder Edin Dzeko denken, aber ganz besonders hart war es gegen Luca Toni. Gegen ihn zu spielen, war echt eklig. Die Körpergröße, die Cleverness, der Torriecher - Toni war schon eine Nummer.

Matthias Jaissle zu Hoffenheimer Zeiten mit seinem Mentor Ralf Rangnickimago images

Jaissle: "Ralf Rangnick wusste alles schon drei Jahre früher"

Wenn man sich Ihre Karriere als Spieler anschaut, ragt natürlich die Zeit in Hoffenheim heraus. Vor allem die Saison 2008/09 mit der Herbstmeisterschaft.

Jaissle: Das war eine geile Zeit. Plötzlich standen Reporter aus der ganzen Welt in diesem kleinen Dorf, das die Fußballwelt durcheinandergewirbelt hat. Das war einzigartig. Ich erinnere mich vor allem an so Highlights wie das Spiel bei den Bayern in der großen Arena zurück, aber auch an viele tolle Heimspiele damals noch in Mannheim. Und vor allem haben wir ja eine Art offensiven Fußball gespielt, der zu der Zeit noch recht neu und besonders war. Es war in jeglicher Hinsicht eine grandiose Phase in meinem Leben und das hatte viel mit Ralf Rangnick zu tun.

Rangnick ist so etwas wie ein Mentor für Sie geworden. Wie kam es dazu?

Jaissle: Ralf Rangnick hat mich mit 18 Jahren vom VfB verpflichtet und ist eine ganz entscheidende Figur für mich geworden. Ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre, wie ich beim Abendessen mit ihm saß und er mir aufgemalt hat, was seine Mission ist. Wie er meine Entwicklung sieht, aber auch wie er die Entwicklung des ganzen Projekts sieht. Dass ich Junioren-Nationalspieler werden würde, dass wir mit der Mannschaft in die Bundesliga durchmarschieren und mit unserem Fußball für Furore sorgen würden, das wusste er alles schon drei Jahre früher. Und es ist wirklich alles genauso eingetroffen, wie er es mir skizziert hatte. Das hat mich sehr beeindruckt.

Heißt, Sie profitieren auch jetzt als Trainer sehr von dieser Erfahrung?

Jaissle: Auf jeden Fall. Ralf Rangnick war auch ein Trainer, der die Fähigkeit hatte, aus Mannschaften, gerade aus sehr jungen Mannschaften, das Maximale herauszuholen. Er hat einem die Dinge mit einer maximalen Überzeugung vermittelt, du wusstest als Spieler zu jeder Sekunde, dass er an das glaubt, was er dir sagt. Zu tausend Prozent. Das hat mich natürlich auch beeinflusst für meine heutige Idee vom Fußball und für meine Idee, wie ein Trainer eine Mannschaft führen sollte.

Jaissle: "Scheiße, ich würde auch noch gerne mitkicken"

Während der grandiosen Zeit mit Hoffenheim stand Ihnen eigentlich eine große Karriere bevor, es kam aber anders. Schwere Verletzungen machten Ihnen einen Strich durch die Rechnung. Mit 26 war Schluss.

Jaissle: Es ging mit einem Kreuzbandriss los und hörte dann nie mehr auf. Ich hatte danach immer mit Folgeverletzungen zu kämpfen bis hin zu großen Problemen an der Achillessehne, die ein Karriereende unumgänglich machten. Als mir ein Arzt eines Tages zum ersten Mal ins Gesicht sagte, dass das nichts mehr wird mit meiner Profikarriere, war ich wie vor den Kopf gestoßen. Es war ein Schock. Das war auch die schlimmste Phase, weil es dir den Boden wegzieht. Ich wollte es auch anfangs nicht akzeptieren und ich habe versucht, trotzdem am Ball zu bleiben und am Comeback zu arbeiten. Aber irgendwann musste ich für mich realisieren, dass mein Körper es nicht mehr packt.

Welche Gedanken sind Ihnen zu dem Zeitpunkt gekommen?

Jaissle: Es war hart. Wenn du jeden Tag acht Stunden in der Reha bist, hast du immer noch die Hoffnung und ein Ziel. Aber beides war dann weg. Natürlich denkst du dir: Und jetzt? Was ist jetzt mit dem schönen Karriereplan, den dir dein Berater gemacht hat? Den kannst du zerreißen. Wenn meine Verletzungsgeschichte etwas Gutes hatte, ist es die Erfahrung, die ich meinen Spielern dadurch weitergeben kann. Ich versuche wirklich oft Ihnen zu erklären und es zu betonen, was für einen tollen Job sie haben. Dass sie das wertschätzen und dankbar sein müssen. Ich habe durch meine Geschichte auch hier und da vielleicht einen anderen Zugang. Früher hätte ich jeden, der mir mit dem Spruch "warte ab, wofür es mal gut sein wird" gekommen wäre, weggeschickt, aber jetzt muss ich feststellen, dass doch etwas Wahres dran ist. Trotzdem denke ich mir manchmal noch: Scheiße, ich würde auch noch gerne ein bisschen mitkicken. (lacht)

Wie lange hat es gedauert, bis Ihnen klar wurde, dass Sie Trainer werden wollen?

Jaissle: Mir war zwar schon klar, dass ich gerne im Fußball bleiben will, aber ich war überhaupt nicht darauf fixiert, eine Trainerlaufbahn einzuschlagen. Mir war es erstmal wichtig, die Fußballbranche aus jedem möglichen Blickwinkel kennenzulernen, auch aus der Management-Schiene heraus. Ich wollte das gesamte Business verstehen lernen. Erst als ich durch Ralf Rangnick die Chance hatte, in Leipzig zu hospitieren und meine Anfänge im Trainerbereich zu gehen, hat es sich langsam herauskristallisiert. Ich war Co-Trainer der U16 unter Sebastian Hoeneß und da habe ich für mich gespürt, dass es genau das ist, was ich will. Ich will auf dem Platz stehen und jungen Burschen Dinge an die Hand geben, sie entwickeln. Ich habe gemerkt, dass mich das erfüllt. Also bin ich dabei geblieben.

Von Leipzig ging es nach Dänemark, wo Sie Alex Zornigers Co-Trainer bei Brönby wurden.

Jaissle: Die Zeit in Dänemark war unglaublich wertvoll für mich. Sowohl für meine Entwicklung als Trainer als auch für meine Entwicklung als Mensch. Ich war zum ersten Mal alleine im Ausland, in einer wunderschönen Stadt wie Kopenhagen, alles war neu und aufregend für mich. Ich bin sehr gewachsen in dieser Zeit. Ich hätte vielleicht nur ein wenig mehr von der dänischen Mentalität mitnehmen sollen.

Hygge?

Jaissle: (lacht) Ja, genau, das berühmte Hygge ist ja ganz wichtig in Dänemark, das Leben genießen. Wahrscheinlich würde es mir ganz gut tun, das mehr zu beherzigen und nicht immer so perfektionistisch zu sein.

Sie hatten aber auch einen ehrgeizigen Lehrmeister in Alex Zorniger. Was haben Sie von ihm gelernt?

Jaissle: Ich bin ihm sehr dankbar für das Vertrauen und für die Verantwortung, die er mir gegeben hat. Ich bin habe dadurch einen großen Sprung gemacht. Ich habe ihn immer für seine Klarheit bewundert. Die Klarheit, mit der er seine Spielidee verfolgt hat und mit der er den Spielern gesagt hat, was er möchte und was er nicht möchte, war wirklich imponierend. Heutzutage sind die Spieler so wissbegierig, dass du ihnen sehr detailliert und sehr klar aufzeigen musst, was du willst - und warum. Wenn du das nicht so klar vermitteln kannst, bekommst du ein Problem.

Matthias Jaissle ist seit dieser Saison Cheftrainer bei RB Salzburg.imago images

Jaissle: "Ich habe keinen Karriereplan"

Nach der Dänemark-Episode sind Sie in den Salzburg-Kosmos eingestiegen, erst in der Jugend, dann beim Farmteam in Liefering und seit dieser Saison als Nachfolger von Jesse Marsch bei RB. Sie werden sogar schon als neuer Nagelsmann betitelt und als der nächste große Trainer aus der RB-Schule gefeiert. Wie gehen Sie damit um?

Jaissle: (lacht) Völlig entspannt. Ich habe ohnehin keinen Karriereplan. Ich habe als Spieler gelernt, dass man nicht an den übernächsten Schritt denken sollte, wenn man den nächsten noch nicht mal gemacht hat. Ich bin auch nicht Nagelsmann 2.0. Ich habe mir schon ganz früh abgewöhnt, mich zu vergleichen. Ich bin Matthias Jaissle und gehe meinen eigenen Weg. Ich habe den Trainerberuf von der Pike auf gelernt und bin mit jeder Station, die ich erleben durfte, Stück für Stück gereift. Und aktuell schreibe ich ein ganz tolles und spannendes Kapitel in Salzburg. Ich bin bei einem sensationellen Verein in einer wunderbaren Stadt, ich habe ein überragendes Team und ich fühle mich pudelwohl. Das genieße ich gerade. An etwas anderes denke ich zurzeit wirklich nicht.

Bei welchen Trainerkollegen holen Sie sich Inspiration?

Jaissle: Grundsätzlich bei allen. Ich bin von der Persönlichkeitsstruktur so gestrickt, dass ich so wissbegierig und perfektionistisch bin, dass ich immer nach links und rechts schaue. Und zwar in allen Bereichen. Es kann sein, dass ich mir anschaue, wie Pep Guardiola Lösungen im letzten Drittel findet bei City. Es kann aber genauso gut sein, dass ich mich mit einem Vorstand eines mittelständischen Unternehmens über das Thema Leadership unterhalte.

Was interessiert Sie konkret daran?

Jaissle: Der Trainerbereich ist so facettenreich geworden, es geht ja weit über die Vermittlung taktischer Inhalte hinaus. Ich habe nicht nur eine Mannschaft zu führen mit 25 Spielern, ich habe auch einen Staff drumherum mit 30 Menschen, denen ich gerecht werden will. Wie schaffe ich das? Ich bin für mich zu der Antwort gekommen, dass es entscheidend ist, seine innere Mitte zu finden. Das hört sich jetzt spiritueller an, als es gemeint ist, aber wenn ich heute Fußballtrainer bin, dann geht es eben auch um Begriffe wie Achtsamkeit oder wie Empathie. Und nicht nur um Restverteidigung. Deine Spieler merken es auch sofort, wenn du eine Rolle spielst und nicht authentisch bist. Das ist aber im Fußball nicht anders als in der Wirtschaft. Deshalb ist es wichtig, sich ständig neue Impulse zu holen, egal wo sie herkommen. Es kann auch ein gutes Buch sein.

Jaissle: "Der Fernseher läuft nur, wenn ich Fußball schaue"

Kommen Sie dazu, viel zu lesen?

Jaissle: Ich versuche, mir die Zeit zu nehmen. Bei mir läuft der Fernseher zum Beispiel nur, wenn ich Fußball schaue. Schaue ich kein Fußball, nehme ich lieber ein Buch in die Hand. Ich finde das Thema Hirnforschung sehr spannend. Aktuell lese ich gerade ein Buch von Joe Dispenza. Das ist ein amerikanischer Neurowissenschaftler, der sich mit dem Mensch und seinem Gehirn befasst. Was unser Gehirn alles so kann, das ist faszinierend. Das Lesen hilft mir, abends ein bisschen abzuschalten. Ich bin wie erwähnt ziemlich ehrgeizig und perfektionistisch veranlagt. Ich habe ständig noch neue Ideen im Kopf, die ich angehen will, umso wichtiger ist es, sich auch zu zwingen, Ruhepause einzulegen. Zumal ich ja auch noch neu im Geschäft bin, RB ist meine erste Station als Cheftrainer auf dem Niveau.

Wir haben jetzt viel über das Thema Führung gesprochen. Wenn wir zum Fußballerischen kommen: Die RB-Schule ist sehr klar definiert, dennoch wollen Sie als Trainer ja auch Ihre eigene Note integrieren. Was ist Ihnen wichtig?

Jaissle: Es gibt natürlich die allgemeinen Prinzipien, die unseren Fußball beschreiben. Das hohe Pressen, die aggressive Vorwärtsverteidigung, das möglichst frühe Stressen des Gegners. Und wenn du wie ich diese RB-DNA als Spieler selbst eingeimpft bekommen und so im Blut hast, dann hilft das natürlich sehr bei der Vermittlung. Dennoch will ich auch meine eigenen Prinzipien innerhalb dieser Philosophie definieren, manchmal werden Prinzipien auch gestrichen oder neu formuliert. Wir wollen uns ja auch weiterentwickeln. In dieser Saison haben wir zum Beispiel das Thema gehabt, dass wir sehr dominant gestartet sind und dass sich die Gegner von Spieltag zu Spieltag immer tiefer hinten reingestellt haben. Wie antworten wir darauf? Wie schaffen wir es, trotzdem Lösungen zu finden, Torchancen zu kreieren, aber nicht dafür in der Defensive anfälliger zu werden. Das war einer der Schwerpunkte unserer Arbeit in der jüngsten Vergangenheit.

Sie haben eine bemerkenswert junge Truppe. Wie verändert das die Herangehensweise, wenn ich als Trainer eine Mannschaft auf dem Feld habe, die im Schnitt 20 Jahre alt ist?

Jaissle: Ich habe das große Glück, dass ich eine Mannschaft habe, die unglaublich hungrig ist. Wenn wir im Training etwas vermitteln, wollen sie es sofort umsetzen. Die Haltung der Truppe ist überragend, das macht es für mich als Trainer zu einer großen Freude, mit den Jungs zu arbeiten. Natürlich führt die Jugend dazu, dass es vielleicht auch mal zu Leistungsschwankungen kommen kann. Aber das ist kein Problem für uns, das gehört dazu. Alex Zorniger hat immer gesagt: Ihr dürft so viele Fehler machen, wie ihr wollt, die Reaktion darauf ist entscheidend. Das fand ich super. Und das ist auch ein Prinzip, kein taktisches, aber eines, was die Haltung betrifft. So gehen wir auch die Champions League an. Wir haben uns darauf eingeschworen, dass wir unabhängig von den Ergebnissen von Situation zu Situation, von Halbzeit zu Halbzeit, von Spiel zu Spiel dazulernen wollen. Das ist der Ansatz, mit dem wir jedes Spiel bestreiten. Und wenn wir es schaffen, Fehler nicht zweimal zu machen, war es für uns eine erfolgreiche Champions-League-Saison.