Es war ein historischer Triumph. Die bis dahin als beste Mannschaft der Welt gefeierte Elf ist gerade im eigenen Stadion gedemütigt, wie ein Stier am Nasenring durch die Arena geführt worden. Der lang ersehnte Champions-League-Titel ist in greifbarer Nähe. Das neue System hat sich durchgesetzt.
Der FC Bayern hat das Finale erreicht. Das war vor einem Jahr in Barcelona. Die Münchner hatten die Katalanen in beiden Spielen blamiert, zusammengerechnet mit 7:0 gewonnen. Die Dominanz von Messi, Xavi, Iniesta und Co. in Europa war gebrochen.
Die Bayern hatten Barcelona entgegen ihrer Natur den Ballbesitz überlassen und dann gnadenlos gekontert. So lief das im Hinspiel in München und so lief das im Rückspiel in Barcelona. Das Halbfinale in der Saison 2013/14 lief im Großen und Ganzen genauso ab - nur eben anders rum. Die Bayern waren Barcelona und Real Madrid war der FC Bayern. 0:1 und 0:4 verloren die Münchner die Spiele.
Die Hölle friert zu
Dass die erste Heimniederlage gegen Real Madrid in der Vereinsgeschichte gleich in einem "Debakel" endete, wie es Karl-Heinz Rummenigge ausdrückte, war nicht unbedingt zu erwarten. Der Vorstandsboss hatte den Königlichen nach dem Hinspiel in München die Hölle versprochen. Und das Publikum in der Arena war bereit, diese Ankündigung in die Tat umzusetzen.
Nach 20 Minuten war die Hölle zugefroren. Sergio Ramos hatte mit zwei Kopfballtoren nach Standardsituationen das Duell frühzeitig entschieden. Vier Tore hätten die Bayern zu diesem Zeitpunkt schon gebraucht. An die ganz große Wende glaubte da aber schon niemand mehr.
Die Diskussion über die Raumverteidigung der Bayern bei Standards konnte Trainer Pep Guardiola nicht nachvollziehen. Er reagierte auf der Pressekonferenz ziemlich überrascht auf entsprechende Nachfragen. Er gab zwar zu, dass er nur "wenig Argumente" habe nach einer solchen Niederlage, die Probleme des Spiels lagen in seinen Augen aber woanders.
Guardiolas atypische Entscheidung
Die Standardsituationen seien nur entstanden, weil seine Mannschaft keine Kontrolle über das Spiel hatte. "Und dann hast Du keine Chance gegen Real Madrid." Es war die Diskussion über das Ballbesitzspiel der Bayern, die die Agenda zwischen den beiden Spielen gegen Madrid beherrschte.
Guardiola nutzte die Pressekonferenzen vor und nach dem Spiel gegen Werder Bremen sowie vor dem Halbfinal-Rückspiel, um seine Idee vom Spiel zu verteidigen - auch gegen die deutsche Kultur. Ändern wollte er seine Philosophie nicht, ein bisschen vielleicht, aber auch nur vielleicht.
Er tat es doch radikal. Er zog Philipp Lahm aus dem Zentrum nach rechts hinten und brachte dafür Thomas Müller. Eine offensivere Variante, eine Veränderung zu mehr Risiko im Spiel nach vorne. Es war eine Guardiola atypische Entscheidung, er verzichtete freiwillig auf einen Mittelfeldspieler, die er so sehr liebt, zugunsten eines Stürmers.
Keine Kontrolle: "Ein Riesenfehler"
Es entwickelte sich nach einer kurzen Anfangsphase, die dem Hinspiel glich, ein Spiel ganz nach dem Geschmack von Real Madrid. "Ich glaube, dass wir es taktisch in der ersten Halbzeit nicht gut gemacht haben. Das Spiel war zu offen", sagte Lahm. "Das war das Gegenteil zum Hinspiel, da haben wir das Spiel kontrolliert. Diesmal ging das Spiel vor allem in der ersten Halbzeit nur hin und her, das ist nicht unsere Spielweise. Das ist genau die Spielweise, die Real mag, das hat ihnen absolut in die Karten gespielt."
Es war das Spiel, das Guardiola in den Tagen zuvor nie haben wollte. Denn da sei Real Madrid viel besser als Bayern. "Wir hatten nur Basti und Toni im Mittelfeld, da kannst du Madrid nicht kontrollieren", erklärte Guardiola. "Das war ein Riesenfehler des Trainers. Der Trainer hat das nicht gut gemacht."
Guardiola stellt sein Konzept in Frage
Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich ein Trainer nach Niederlagen vor seine Mannschaft stellt, aber man konnte Guardiola in diesem Fall wirklich glauben. Er hatte sein Team mit der falschen Idee aufs Feld geschickt und es so ins Verderben rennen lassen.
Früh in der ersten Halbzeit schickte er Javi Martinez zum Warmmachen, der spanische Nationalspieler wurde zur Halbzeit eingewechselt. Bayern hatte wieder einen Mittelfeldspieler mehr und mehr Kontrolle. Doch es stand schon 0:3. Was half das alles noch?
Guardiola übernahm die Verantwortung für die Niederlage. Es wurde aber auch deutlich, dass es nicht nur darum ging, die Mannschaft aus der Schusslinie zu nehmen. Denn gleichzeitig stellte er die Kompatibilität seiner Spieler mit seiner Idee und umgekehrt in Frage. "Wir müssen uns Gedanken machen, ob das mit diesen Spieler das beste Rezept ist", sagte Guardiola.
Woher kommt die Leistungsdelle?
Man muss auch hier nochmal ein Jahr zurückgehen. Die Bayern haben Guardiola verpflichtet, um die Mannschaft auf ihrem Höhepunkt in eine Ära zu führen. Seine aus Barcelona erfolgreiche Fußballphilosophie inklusive. Er soll die Abstände zwischen den Triumphen in der Königsklasse verkürzen. Dafür wurde sogar der Freund des Hauses Jupp Heynckes , der unbestritten gerne weitergemacht hätte, weggelobt.
Die erste Saison hat gezeigt, dass das kein Fehler war. Noch nie hat eine Mannschaft die Bundesliga so dominiert und den Titel so früh gewonnen. Auch in der Champions League gab es beeindruckende Auftritte, das Halbfinale ist keine Selbstverständlichkeit. Aber es gibt halt die momentane Leistungsdelle.
Diese nur mit dem Ausfall von Thiago zu erklären, wäre zu einfach, auch wenn er mit seiner Stärke im Eins-gegen-eins im Mittelfeld eine Bereicherung wäre. Aber auch ohne ihn haben die Bayern in der Vorrunde sehr gute Spiele gemacht.
Nächste Chance Pokalfinale
Guardiola hat sich nach dem Triple den überdimensionierten Ansprüchen gestellt und sie akzeptiert. Er wusste, dass er nur dem erneuten Triple sofort alle Zweifler überzeugen können würde. Das ist jetzt passe.
Die krachenden Niederlagen gegen die von ihm selbst als besten Kontermannschaften der Welt titulierten Real Madrid und Borussia Dortmund haben auch seinen Fußball in Zweifel gezogen. Die Bayern haben sich eine Debatte über die eigene Identität zur Unzeit eingefangen.
Bei aller Kritik sollte man aber auch nicht vergessen, dass Jupp Heynckes in seiner ersten Saison keinen Titel holte und im Pokalfinale gegen den BVB eine Abreibung kassierte. Guardiola ist am Ende seiner Debütsaison offensichtlich bereit, seinen Stil anzupassen. Außerdem ist er immer auf der Suche nach einem Weg, "wie wir die Spieler weiterentwickeln können".
Die letzten beiden Bundesligaspiele werden als Testlauf dafür dienen, ob das auch im Schnellverfahren möglich ist. Der Ernstfall wird dann am 17. Mai gegen Dortmund getestet. Im Pokalfinale haben die Bayern laut Matthias Sammer die Möglichkeit, "aus einer guten Saison eine sehr gute zu machen".
Bayern München - Real Madrid: Die Statistik zum Spiel