Der FC Bayern München verliert das Hinspiel im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid. Eine unnötige Niederlage. Aber auch eine Niederlage, die altbekannte Probleme zum Vorschein bringt und die Qualitätsfrage aufwirft. Trainer Jupp Heynckes hält den Finaleinzug dennoch für realistisch - und blickt in die Vergangenheit.
Jupp Heynckes blickt nicht gerne zurück. Seine Champions-League-Erfolge mit Real Madrid und dem FC Bayern habe er sich nie wieder angeschaut, erzählte er noch am Dienstag. Die Erinnerungen an diese Momente habe er aber noch vor Augen.
Denn eigentlich schaut Jupp Heynckes schon gerne zurück. Seit er beim FC Bayern München auf die Trainerbank zurückgekehrt ist, hat er immer wieder mit Anekdoten aus seinem reichen Erfahrungsschatz aufgewartet. Launige Momente sind dabei herausgekommen, auch wenn nicht immer alle Details stimmen. Einem 72-Jährigen sei das aber mal verziehen.
Auch am Mittwoch kurz vor Mitternacht huschte Heynckes dann nochmal ein Lachen übers Gesicht, als er sich erinnerte und zurückblickte. In der Saison 1989/90 sei das gewesen, da hätte er schon mal ein Hinspiel im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister zuhause verloren, gegen Zagreb meinte er, und im Rückspiel bis kurz vor Schluss das richtige Ergebnis erzielt.
Es war nicht mehr ganz zu klären, aber vermutlich meinte Heynckes das Duell mit Roter Stern Belgrad 1991, das zuhause 1:2 verloren ging und in dem Raimond Aumanns legendärer Fehlgriff den Münchnern im Rückspiel (2:2) zumindest die Verlängerung kostete.
FC Bayern mit 14 Torschüssen innerhalb des Strafraums
Was Heynckes mit seiner Geschichte aber sagen wollte: "Man darf sich niemals aufgeben. Wir müssen daran glauben, das Hinspielergebnis korrigieren zu können."
Heynckes Erinnerungsfragmente passten zu diesem Abend und zu diesem 1:2 gegen Real Madrid, das den ersten Finaleinzug des FC Bayern in der Champions League seit 2013 zu einer Mammutaufgabe macht. Irgendwie war schon alles da, aber irgendwie wollte es auch nicht so richtig zusammenpassen.
17:7 Torschüsse wies die Statistik am Ende auf, 14 davon innerhalb des Strafraums, 10:3 Ecken und 17:3 Flanken. Die Bayern kamen also schon durch gegen diese nicht gerade sattelfeste Defensive Madrids. Aber die Tore machten die anderen.
"Ich hatte selten in einem Semifinale so viele Chancen. Es ist auch selten, dass ein Klub wie Real Madrid so viele Chancen zulässt. Wir waren im Abschluss aber nicht so konsequent wie gewohnt", sagte Heynckes, der die Niederlage als "unverdient" einstufte.
Müller stellt die Qualitätsfrage beim FC Bayern
Seine Spieler stimmten ihm zu, allen voran Thomas Müller und Joshua Kimmich. Kimmich sprach von "Naivität" und "Leichtsinn" im Umgang mit den Chancen, Müller forderte für das Rückspiel eine "Killer-Mentalität" vor dem Tor.
Warum die Bayern in der Liga zuletzt alles kurz und klein schossen und ausgerechnet gegen Real Madrid die Angst in die Abschlüsse kroch, ist die große Frage, die sie an der Säbener Straße bis zum kommenden Dienstag aufarbeiten müssen.
"Wir werden sehen, ob das Zufall war oder ob der Druck da auch eine Rolle spielt", sagte Müller. "Wir müssen uns jetzt aufrichten und schauen, ob wir den Arsch in der Hose haben oder ob es dann doch fehlende mentale Qualität ist."
Ribery und Lewandowski im Abschluss kläglich
Im direkten Duell mit den Königlichen wurde die Qualitätsfrage lauter diskutiert als sonst. Real machte aus seinen wenigen Abschlüssen fast das Optimum und hätte Ronaldo den Ball nicht mit der Hand gestoppt, hätte es sogar noch schlechter ausgehen können für die Bayern - der Abschluss des ansonsten schwachen Superstars war in dieser Szene nämlich brillant.
Die Bayern schafften es besonders in Person von Franck Ribery oder Robert Lewandowski am Ende fast immer, Keylor Navas anzuschießen oder beste Möglichkeiten kläglich liegen zu lassen. Ribery habe zwar ein überragendes Spiel gemacht, sagte Heynckes, aber da war auch noch diese Großchance beim Stand von 1:0 in der ersten Halbzeit, die er mit einem technischen Leichtsinnsfehler vergeudete. "Wenn er die macht, wären wir auf der Siegerstraße gewesen", sagte Heynckes.
Was er von Lewandowskis missglücktem Lupfer kurz vor Ende der Partie hielt, verriet Heynckes nicht, aber seine Gestik am Spielfeldrand sprach Bände. Der Pole blieb einmal mehr in einem Halbfinale der Champions League im Trikot des FC Bayern den Beweis schuldig, dass sein Name zu Recht fällt, wenn über die besten Stürmer der Welt diskutiert wird.
Alles wie 2017 unter Carlo Ancelotti?
Und so reisen die Bayern mit ähnlichen Vorzeichen nach Madrid wie in der vergangenen Saison. Sie hatten die Chance, das Hinspiel mit dem 2:0 auf ihre Seite zu ziehen - im letzten Jahr vergab Arturo Vidal einen Elfmeter -, dann schlug Real zu. Es hätte aber auch alles noch viel schlimmer kommen können.
Wie 2017 sind auch die Verletzungssorgen zur Unzeit nach München zurückgekehrt. Arjen Robben und Jerome Boateng mussten noch in der ersten Halbzeit ausgewechselt werden, Javi Martinez folgte in Halbzeit zwei. Sie reihen sich damit ein ins Lazarett um Manuel Neuer, David Alaba, Kingsley Coman und Vidal.
Sieben Spieler mit Startelfambitionen fehlten den Münchnern also über weite Strecken gegen Madrid. Für wen es im Rückspiel reichen könnte, ist noch unklar. "Trotzdem hatten wir einige Chancen. Daran lag es also nicht", sagte Kimmich. "Das hat fürs Rückspiel nichts zu sagen", meinte Müller.
FC Bayern glaubt weiter an das Finale in Kiew
Spieler und Trainer zogen ihre Motivation für den zweiten Teil des Halbfinals aus Reals defensiver Verwundbarkeit, dem 3:1-Sieg von Juventus im Viertelfinalrückspiel in Madrid und aus der Erinnerung, dass die Bayern auch im letzten Jahr mit einigen angeschlagenen Spielern zumindest die Verlängerung erreichten.
Und wenn Jupp Heynckes noch etwas genauer in seiner Karriere zurückblickt, kommt er vielleicht auch auf das Spiel, das am ehesten als Vorlage für die Aufholjagd im Estadio Santiago Bernabeu dienen könnte.
In Heynckes' erster Saison als Trainer in München verloren die Bayern zuhause gegen Inter Mailand mit 0:2, in Mailand gewannen die Münchner mit 3:1. Mailand oder Madrid, Zagreb oder Belgrad, Hauptsache Kiew.
Real Madrid vs. FC Bayern: die Bilanz der jüngsten Spiele
Wettbewerb | Datum | Heim | Auswärts | Ergebnis |
Champions League | 26.04.2018 | FC Bayern | Real Madrid | 1:2 |
Champions League | 18.04.2017 | Real Madrid | FC Bayern | 4:2 n.V. |
Champions League | 12.04.2017 | FC Bayern | Real Madrid | 1:2 |
Champions League | 29.04.2014 | FC Bayern | Real Madrid | 0:4 |
Champions League | 23.04.2014 | Real Madrid | FC Bayern | 1:0 |
Champions League | 25.04.2012 | Real Madrid | FC Bayern | 3:4 n.E. |
Champions League | 17.04.2012 | FC Bayern | Real Madrid | 2:1 |