Deutschland geht mit dem Schwung der WM ins erste Spiel der EM-Qualifikation gegen Belgien. Für Bundestrainer Joachim Löw und die Mannschaft beginnt in Brüssel aber nicht nur die Jagd nach Punkten, sondern auch die nächste Entwicklungsstufe auf dem Weg zur Weltklasse.
Joachim Löw hat am Mittwoch ein ungeliebtes Ressort fürs erste geschlossen. Viel zu lange schwirrte die Diskussion um die Kapitänsfrage bei der Nationalmannschaft für den Bundestrainer durch die Öffentlichkeit.
Zwar war Löw daran nicht ganz unschuldig, schließlich hätte er den kaum veränderten Status Quo schon vor einigen Wochen bekanntgeben können. Aber dem 50-Jährigen war es zuwider, sich mit Dingen zu beschäftigen, die er selbst als allenfalls zweitrangig einstuft.
Dafür ist er zu sehr Fußballlehrer und als solcher gilt seine größere Aufmerksamkeit den puristischen Facetten seines Berufs: Eine funktionierende Mannschaft weiterzuentwickeln und das nächste große Ziel in Angriff zu nehmen.
Am Freitagabend beginnt in Brüssel mit dem ersten EM-Qualifikationsspiel gegen Belgien die nächste Etappe in Löws Amtszeit beim DFB (20.30 Uhr im LIVE-TICKER).
Neuer Zyklus beginnt
Mit Jürgen Klinsmann hat er eine Weltmeisterschaft der Euphorie entfacht, als Bundestrainer danach eine spielerisch arme, aber immerhin semi-erfolgreiche Europameisterschaft gespielt und zuletzt bei seiner zweiten WM eine Mischung aus beiden - nur leider wieder ohne das ganz große Happy End.
Jetzt beginnt ein neuer Zyklus und mit ihm auch die Verfeinerung sehr vieler guter Sequenzen der WM hin zu einem flüssigen Spielplan, der noch variabler und flexibler wird und damit für jeden Gegner schwerer auszurechnen.
Mehr agieren, weniger reagieren
In Südafrika bezog sich die deutsche Mannschaft auf das Primat des schnellen Konterspiels. Besonders in den K.o.-Spielen gegen England, Argentinien und Spanien überließ die Mannschaft in ihrer grundsätzlichen Spielauffassung dem Gegner den Ball, um dann nach Ballgewinnen dem unsortierten Kontrahenten wehtun zu können.
In dieser Unterdisziplin des modernen Spiels setzte Deutschland Maßstäbe und erlangte dafür Bewunderung in der Welt. Auf dem Weg zum ersten Titel seit 1996 kann dies aber nur ein wichtiges Etappenziel gewesen sein.
Schon während der WM, als weder klar war, wie die neue deutsche Mannschaft sich schlagen würde, noch ob Löw überhaupt in seinem Amt als Bundestrainer weitermachen wird, hatte dieser immer wieder Spanien als sein großes Leitmotiv genannt.
Nicht zufällig hat sich dann letztlich auch jene Mannschaft durchgesetzt, die es als einzige verstanden hat, gegen jeden Gegner das Spiel selbst zu machen, die agiert hat und das Reagieren den anderen überlässt.
Seit zwei Jahren dominiert Spanien den Welt-Fußball mit ihrer Idee des pro-aktiven Spiels. Löw will dem so nahe wie möglich kommen, deshalb beginnt jetzt ein neuer Lern- und Entwicklungsabschnitt.
Im Fokus: Die Defensivarbeit
Neben den für Spaniens Fußball trefflichen Schlagworten wie Ballbesitz und -zirkulation steht vor allem eine Disziplin im Fokus, in der die Iberer unübertroffen sind, die aber nur zu gerne vergessen wird: Das Spiel gegen den Ball und dessen Eroberung.
Bei der WM wagten einige südamerikanische Mannschaften den Versuch einer Kopie. Honduras, Paraguay und vor allen Dingen Chile wüteten über den Platz wie ein aufgeschreckter Schwarm Hornissen. In Ansätzen mit beachtlichem Erfolg, nur leider auch mit etlichen Kinderkrankheiten behaftet.
Die aggressive Gangart sorgte für viele übermotivierte Fouls und demzufolge Platzverweisen. Auf der Jagd nach dem Ball wurde das strukturierte Offensivspiel vernachlässigt. Deutschland kommt genau von der anderen Richtung.
Mehr Dominanz ist gefordert
Große Teile des Offensivspiels stehen. Aber die anstehenden Gegner Belgien, Österreich, die Türkei, Aserbaidschan und Kasachstan haben sich nicht für die WM qualifiziert. Sie gehen alle als Außenseiter in die Partien gegen Deutschland. Hier passt der Plan vom überfallartigen Ausschwärmen und weniger Ballbesitz nicht mehr.
Deutschland muss ab sofort wieder das Spiel selbst machen. Und genau da offenbarte die Mannschaft immer wieder ihre Schwächen. Hier liegt der große Unterscheid zu Spanien: Deren Mannschaft verteidigt hoch und erdrückt den Gegner nach und nach mit ihren hohen Ballbesitzzeiten und der Sicherheit ihres Passspiels.
In den sieben K.-o.-Spielen der letzten beiden großen Turniere hat Spanien kein einziges Gegentor kassiert und in der Offensive bis auf das 3:0 gegen Russland bei der EURO 2008 auch nicht groß gezaubert. Aber die Spanier hatten jederzeit Kontrolle über die Partien, mit schönem Pragmatismus.
Löw sieht ein paar Probleme
Es ist das finale Ziel von Löw, seine Mannschaft bis zur EURO 2012 in diese Richtung zu entwickeln. Mit Belgien wartet dabei ein erster unangenehmer Gegner.
"Wir wissen um die Stärke und Gefährlichkeit der belgischen Spieler. Wir treffen auf eine gut organisierte Mannschaft, die zudem hochmotiviert ist. Wir wissen um die Gefahren, die auf uns lauern", sagt Löw.
Dabei hat er auch ein mögliches Problem bei seinem Team ausgemacht. "Meine Spieler haben noch nicht den Spielrhythmus wieder erlangt, den sie brauchen. Dazu kommt, dass Mannschaften, die ein starkes Turnier gespielt haben, oft Probleme in den ersten Qualifikationsspielen danach bekommen."
Wahrscheinlich muss in den ersten Spielen der Fortschritt noch ein wenig den nüchternen Zahlen in Form von Punkten weichen. Immerhin aber ist Deutschland schon wieder soweit, dass andere Nationen zur DFB-Auswahl aufschauen.
"Deutschland hat eine junge Mannschaft, die ähnlich wie unsere multikulturell ist, aber eine echte Einheit bildet", sagt Belgiens Hoffnungsträger Marouane Fellaini. "Die Deutschen sollten uns als Vorbild dienen."