Der achte Spieltag in der Süper Lig war gerade zu Ende. Die türkischen Medien hatten eigentlich genügend Themen, um ihre Schlagzeilen gewohnt dick und fett zu gestalten. Titelkandidat Besiktas verlor zuhause gegen Manisaspor mit 2:3. Für Galatasaray setzte es sogar eine 2:4-Klatsche zuhause gegen MKE Ankaragücü. Trainer Frank Rijkaard zählte seine Stunden bis zur Entlassung.
Die Schlagzeilen beherrschten an jenen Tagen aber acht junge Türken. Koray Kacinoglu, Samet Yesil, Kaan Ayhan, Koray Günter, Emre Can, Levent Aycicek und Robin Yalcin standen beim 6:1 der deutschen U-17-Nationalmannschaft in Bosnien in der Startelf. Timo Cecen wurde eingewechselt. Fünf der sechs deutschen Tore erzielten Spieler, deren Migrationshintergrund türkisch ist. Der Aufruhr in der türkischen Öffentlichkeit war enorm.
Die Türkei muss handeln
"Der deutsche Erfolg auf den Schultern der Türken", titelte das Massenblatt "Hürriyet". In den zahlreichen Sportsendungen wurde heftig debattiert. Der Stolz auf die Erfolge der vierten Generation der Türken in Deutschland findet in den Diskussionen immer seinen Platz - so war und ist es auch bei Mesut Özil, der große Anerkennung in der Heimat seiner Eltern genießt.
Gleichzeitig wächst aber der Unmut über die Versäumnisse des türkischen Verbands. Dass gleich acht talentierte Türken für eine deutsche Auswahl spielen, und das nur kurze Zeit nach der 0:3-Schmach von Berlin, schlägt am Bosporus schwer aufs Gemüt. Und zwingt die Verantwortlichen zum Handeln.
Hiddink kündigt den Umbruch an
"Wir glauben, dass wir in den kommenden Monaten mit noch erfolgreicheren Spielern arbeiten werden", sagt Guus Hiddink. Was wie ein Umbruch klingt, ist auch so zu verstehen. "Mir ist klar geworden, dass ich einigen jungen Spielern eine Chance geben muss. Es wird in der Nationalmannschaft einige Änderungen geben. Es ist Zeit, das Problem an der Wurzel zu packen", kündigt der türkische Nationaltrainer an.
Dass zunächst die eigenen Ressourcen in den Fokus rücken, sprich: die eigenen Juniorenauswahlen, versteht sich von selbst. Doch da fängt das Problem schon an, denn auch im Unterbau der Türken kriselt es gewaltig. Noch vor wenigen Jahren schien der türkische Verband den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. 2005 holte die türkische U 17 den EM-Titel und im gleichen Jahr mit der gleichen Auswahl Bronze bei der WM.
Ex-Nationaltrainer soll Talente fördern
Doch die fehlende Konzeption und der Drang, kurzfristige Erfolge erzielen zu wollen, verhinderten kontinuierliche und erfolgreiche Nachwuchsarbeit. Damit soll jetzt Schluss sein. Erst im letzten Jahr installierte der türkische Fußball-Verband den früheren Nationaltrainer Ersun Yanal als Fußball-Direktor, der sich um den Aufbau einer funktionierenden Nachwuchsarbeit kümmern soll.
Am Talent der Spieler wird es nicht scheitern. "Wir haben viele Talente, vielleicht sogar mehr als andere, aber wir haben kein System, das diesen Spielern erlaubt, sich zu zeigen", sagt der türkische Journalist Mehmet Demirkol. Langfristig erhofft man sich Erfolg von der neuen Ordnung unter Yanal. Die ersten Maßnahmen greifen, aber die Entwicklung erfordert noch viel Geduld. Bis sich die eigene Jugendarbeit entwickelt, will sich die Türkei im Ausland bedienen.
Hiddink als Trumpfkarte
Die Türken kämpfen deswegen nun so aggressiv wie nie zuvor um türkische Talente in ganz Europa. "Dass sieben, acht Türken für eine deutsche Auswahl spielen, wird nicht mehr passieren", sagt Erdal Keser, Chef des Türkei-Büros in Deutschland. Die Trumpfkarte der Türken ist dabei Guus Hiddink und dessen europaweit prächtiges Ansehen.
Der Nationaltrainer kümmert sich höchstpersönlich um die Überzeugungsarbeit - und das vor Ort. Zuletzt war der Türkei-Coach in England zu Gast, sprach mit verschiedenen Talenten über eine mögliche Zukunft in der Türkei.
Besonders Arsenals Oguzhan Özyakup haben die Türken im Auge. Bisher spielte der 18-Jährige für die Niederlande, aber Hiddinks Besuch scheint den Spielmacher beeindruckt zu haben. Auch mit Readings Jem Paul Karacan und Chelseas Gökhan Tore hat Hiddink gesprochen.
Ekici sagt Deutschland ab
Die wichtigste Anlaufstelle der Türken ist aber nach wie vor Deutschland. Hier feierte Hiddink den ersten zählbaren Erfolg: Mehmet Ekici hat sich für die Türkei entschieden. Zuletzt spielte der Youngster des 1. FC Nürnberg in der deutschen U 21. Der DFB zeigte Ekici eine Perspektive auf, doch er entschied sich anders.
Hiddinks zahlreiche Besuche in Nürnberg haben Wirkung gezeigt. Wenige Wochen vor seiner Nominierung verriet die Leihgabe des FC Bayern im SPOX-Interview, dass Hiddink beim Youngster angerufen habe.
Ekici wird aller Voraussicht nach am 17. November sein Debüt in der A-Nationalmannschaft geben, die in den Niederlanden ein Testspiel absolvieren wird. Die Bemühungen der Türken, weitere Kräfte aus Deutschland zu rekrutieren, laufen auf Hochtouren. Gerüchte, wonach SC Freiburgs Ömer Toprak schon seine feste Zusage gegeben hat, wurden von Seiten des Spielers dementiert.
Keser wieder im Amt
Doch Keser erklärte schon Anfang Oktober bei SPOX, dass Topraks Entscheidung eigentlich schon stehe. Keser ist eine Schlüsselfigur bei den Bemühungen der Türken. Der ehemalige Bundesliga-Profi war schon vor einigen Jahren der Koordinator in Deutschland.
Dass die Altintops oder Nuri Sahin heute für die Türkei spielen, haben die Türken Keser zu verdanken. Zwischendurch wurde die Zusammenarbeit beendet und viele Talente, wie auch Özil oder Serdar Tasci gaben dem DFB die Zusage.
"Seitdem ich wieder im Amt bin, entscheiden sich die meisten Spieler wieder für die Türkei", sagt Keser voller Stolz. Seine eigentliche Arbeit beginnt aber jetzt. Ekici und Toprak machen den Türken Hoffnung, aber das ist nur der Anfang. Hiddink und Co. haben mehrere "deutsche" Spieler im Auge. Um fast alle wird es ein Hauen und Stechen geben wie seinerzeit um Özil.
"Wir kämpfen natürlich um diese Spieler", sagte DFB-Sportdirektor Matthias Sammer am Mittwoch gegenüber "Bild". "Aber wir können nicht mit jedem Spieler, der einen Migrationshintergrund hat, jede Woche ein Gespräch führen. Wenn sich ein Spieler anders entscheidet, haben wir das zu akzeptieren."