Per Mertesacker gilt in der Nationalmannschaft trotz seiner bislang durchwachsenen Saison bei Werder Bremen als gesetzt. Die Frage, wer in Zukunft neben ihm spielt, ist noch offen. Bundestrainer Joachim Löw hat sieben Kandidaten zur Auswahl.
Uli Hoeneß hatte neulich einen wenig beachteten, aber unterschwellig sehr provokanten Auftritt. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" formulierte der Bayern-Präsident sinngemäß die These, dass bei der Nationalmannschaft ein viel zu kuscheliges Klima gepflegt würde.
Es gäbe dort zum Beispiel keinen Platz mehr für ein paar raue Worte unter Männern, meinte Hoeneß. "Theater, Krach machen, das darf man in der heutigen Zeit nicht mehr. Früher tat es gut, wenn es mal schepperte. Die Spieler heute verkraften das mental nicht besonders gut, die musst du eher immer umarmen und sagen: Alles super! Damit hat im Übrigen auch unser Bundestrainer seinen Erfolg", äzte der Bayern-Präsident.
Bei der Nationalmannschaft gälte anno 2011 hingegen: Jede Menge Deeskalation, Kompromiss, Konsens. Dabei darf sich unter anderem auch Per Mertesacker angesprochen fühlen.
Der Bremer ist jetzt seit über sechs Jahren bei der Nationalmannschaft, hat drei große Turniere gespielt und ist die Konstante in der deutschen Innenverteidigung, in der sich seit der EM 2008 viele Kronprinzen an seiner Seite versucht hatten - zum Start ins Jahr 2011 scheint der Kampf darum aber wieder so offen wie am ersten Tag.
Mertesacker mit wenig überzeugenden Leistungen
Wenn es am Mittwoch in Dortmund gegen den ewigen Rivalen Italien (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) geht, ist erstmal nur Mertesacker gesetzt, der Platz neben ihm vakant. Am Dienstag wollte Löw den Namen des Auserwählten noch nicht verraten.
Dabei hätte man diesmal sogar darüber diskutieren können, ob die Königsfigur Mertesacker nicht auch mal gestürzt werden könnte. Bei Werder sticht Merte nur vereinzelt positiv hervor, ansonsten passt auch er sich bis jetzt dem tristen und gefährlich leblosen Niveau seiner Kollegen an, was für Mertesacker gefühlt eine schlechte Saison darstellt.
Irgendwann könne er sich vorstellen, zu einem Top-Klub ins Ausland zu wechseln. Da wird aus Bremer Mittelmäßigkeit in der persönlichen Wahrnehmung ein unzureichendes Prädikat.
DFB-Team als Auffangbecken in Krisenzeiten
Aber der Schoß der Nationalmannschaft hat früher schon anderen Spielern zum Rückerwerb ihrer alten Leistungsstärke gereicht, oder zumindest als kurzzeitige Auszeit vom stressigen Klub-Betrieb. Hier wird mit anderen Maßeinheiten gemessen - und da kommt eben Löws Art der Team- und Menschenführung wieder ins Spiel.
Der Bundestrainer lässt verdiente Spieler nicht so schnell fallen. Arne Friedrich, Lukas Podolski und natürlich Miroslav Klose wissen das nur zu gut. Alle haben schon schwerste Krisen in ihren Klubs erlebt. Und alle fanden im DFB-Team wieder eine Art Auffangbecken und Frischzellenkur.
Zumal die integrative Art Mertesackers auf die Gemeinschaft ein nicht zu unterschätzendes Gut ist, auch wenn der Bremer derzeit leistungstechnisch unter Umständen um seinen Stammplatz im Abwehrzentrum bangen müsste. "Wir wissen, was wir an Per haben. Da kann man ihm auch eine schwächere Phase zugestehen", sagt Löw.
Friedrich und Mertesacker mit Bonuspunkten
Hinter - oder besser neben - Mertesacker ist der Kampf um den zweiten Innenverteidigerposten heftiger denn je entbrannt. Friedrich geht mit einem unsichtbaren WM-Bonus ins Rennen - auch wenn der Wolfsburger darauf im Gespräch mit SPOX keinen Wert legte.
Dass Friedrich nach viermonatiger Verletzungspause überhaupt schon wieder für ein Länderspiel nominiert wurde, erklärt Löw wie folgt: "Er hat im Gegensatz zu Michael Ballack schon im alten Jahr wieder trainiert. Ich hatte auch in seinen ersten Einsätzen für Wolfsburg gleich das Gefühl, dass er der Abwehr wieder Stabilität gab."
"Von daher war es für mich klar, dass ich ihn einladen würde, und ich zähle auch in Zukunft auf ihn. Auch, weil er von seiner Persönlichkeit viel in die Mannschaft einbringt", so Löw.
Friedrichs Mitgliedschaft im Mannschaftsrat bringt ihm offenbar ähnlich wie Mertesacker ein paar Bonuspünktchen. Trotzdem lauert die Gefahr für die beiden Platzhirsche mittlerweile fast überall.
Löw lobt Dortmunds Hummels
Holger Badstuber hat sich beim FC Bayern gegen Lucio, Martin Demichelis, Daniel van Buyten oder Breno durchgesetzt und gilt bei Louis van Gaal als gesetzt. Grundsätzlich sieht sich der Münchener auch im DFB-Dress im Zentrum, nachdem seine Aushilfe links in der Viererkette nicht immer von Erfolg gekrönt war.
Vorteil Badstuber: Er ist der einzige Linksfüßer unter allen Mitstreitern und dadurch wertvoll in der "Spielauslösung", wie es Löw formulieren würde. Nachteil Badstuber: Er kam nach einer langen Verletzungspause auch gerade erst wieder in den Rhythmus und wirkte zuletzt etwas müde.
Die aufstrebende Kraft kommt deshalb nicht aus München, sondern spielt seit gut anderthalb Jahren auf konstant hohem Niveau für Borussia Dortmund: Mats Hummels. "Er überzeugt mich mehr und mehr. Er hat sich in den letzten Monaten verbessert, im Defensivverhalten und in der Spielauslösung", sagt Löw.
Stagnation bei Heiko Westermann
Der 22-Jährige ist momentan der beste deutsche Innenverteidiger, daran kann es keinen Zweifel geben. Und auch in punkto Persönlichkeitsentwicklung und Integrationsfähigkeit bringt Hummels alles mit, um auf Dauer ein fester Bestandteil der ersten Elf zu werden.
Bleiben noch vier Kandidaten, die ein ganzes Stück aufzuholen haben in den nächsten Monaten. Heiko Westermanns Wechsel von Schalke 04 zum Hamburger SV hat sich für den 27-Jährigen noch nicht bezahlt gemacht. Westermann stagniert, die verpasste WM-Teilnahme hat ihn zusätzlich zurückgeworfen.
Serdar Tasci war zu viel verletzt. Immerhin zeigt der Stuttgarter in den letzten Spielen wieder vielversprechende Leistungen. Jerome Boateng muss mit dem unglücklichen Umstand leben, bei Manchester City zu große Konkurrenz in der Innenverteidigung zu haben und deshalb immer wieder links aushelfen zu müssen.
"Glückliche Situation" für Löw
Benedikt Höwedes hält sich zwar seit geraumer Zeit im Dunstfeld der Nationalmannschaft auf, den Sprung in den erweiterten Kader hat er aber noch nicht geschafft. Vor nicht allzu langer Zeit wurde Höwedes noch in einem Atemzug mit Hummels genannt.
Acht Kandidaten drängen sich für zwei Plätze auf, ein echter Wettstreit ist entbrannt. Ein sehr glücklicher Umstand für den Bundestrainer: "Anders als früher, als wir oft händeringend nach guten Innenverteidigern gesucht haben, sind wir jetzt in einer sehr glücklichen Situation und haben genug Qualität."
Aber noch lange kein Grund zur Besorgnis, dass es untereinander zu Reibereien kommen könnte. Dafür sorgt das Klima innerhalb der Truppe schon.