Die nackten Zahlen: Deutschland ist mit 30 Punkten aus zehn Spielen und 34:7 Toren durch die Qualifikation geflogen. Das sieht nach einer leichten Aufgabe aus, das Schlüsselspiel zur kompletten Saison war aber bereits die erste Partie in Brüssel.
Fast der gesamte Kader war noch geplagt von den Strapazen der WM, die Bundesliga-Saison war erst seit kurzem in Gang, der Gegner wurde als einer der beiden Kontrahenten um Platz eins eingestuft.
Das "Spiel des Willens" (Bastian Schweinsteiger) wurde auch zu einem solchen, das knappe 1:0 durch ein Klose-Tor erschien damals wie ein erster, wenig beachteter Sieg. In Wirklichkeit gab er die Richtung vor. "Das Spiel in Brüssel war von enormer Bedeutung für die gesamte Qualifikation", sagte Thomas Müller jüngst. Eine Niederlage dort hätte sofort Druck bedeutet.
Der nächste große Schritt war das klare 3:0 in einem hochgejazzten Spiel gegen die Türkei in Berlin. Der vermeintlich schärfste Konkurrent wurde deklassiert, die Verhältnisse klar abgesteckt. Nur die Partie in Wien, unter ganz besonderen Umständen zwischen dem Ende der Bundesliga-Saison und dem wohl verdienten Urlaub der Spieler gelegen, scherte letztlich aus einer eindrucksvollen Qualifikation aus.
In Wien war Deutschland nicht die bessere Mannschaft und gewann am Ende fast schon frech mit 2:1. Es sollte der einzige Ausreißer nach unten bleiben.
Die Entwicklung der Mannschaft: Losgelöst von der reinen Pragmatik der Qualifikation musste der Kader abgestimmt und die Spielweise der Mannschaft verfeinert werden. Keine leichte Aufgabe, aber beides ist Löw gelungen.
Die erfolgreiche WM offenbarte in den entscheidenden Spielen einen wunderbaren deutschen Überfall-Fußball. Gegen tief stehende Gegner aber tat sich Deutschland weiter schwer. Hier fehlte es an der nötigen Dominanz, einen Gegner 90 Minuten zu beherrschen und müde zu spielen.
In dieser Beziehung hat sich die Mannschaft weiterentwickelt, wenngleich es auch einige Male noch haperte. Löw ist mittlerweile aber immerhin so weit, dass er sein Mittelfeld nicht mehr starr auf Positionen fixiert arbeiten lassen muss. Die Spieler dürfen ihr Wirken in einem bestimmten Rahmen selbst entscheiden. Das bringt Flexibilität und Kreativität.
Noch mehr Variabilität
Gegen Belgien war das deutsche Mittelfeld variabel wie noch nie, den Spielern Khedira, Kroos, Özil, Schürrle und Müller waren kaum feste Arbeitsbereiche zuzuordnen.
Viele Mannschaften kann Deutschland damit hinter sich lassen, von der 1B-Klasse in Europa hat sich die Mannschaft ein weiteres Stück entfernt. Die Souveränität und Selbstverständlichkeit der Qualifikation war sehr beeindruckend.
"Mit jedem Sieg erarbeitet man sich mehr Respekt", sagte der Bundestrainer am Dienstag nach dem Sieg gegen Belgien, "die anderen Länder sehen: Diese deutsche Mannschaft ist stark, sie ist hungrig."
In Zahlen ausgedrückt hat Deutschland für bestimmte Phasen einer Partie das 4-1-4-1 entdeckt, auch wenn der Bundestrainer längst nicht mehr gewillt ist, in abgegrenzten Spielsystemen zu denken. Und auch von der Leitwolf-Debatte hat sich die Mannschaft distanziert.
Bastian Schweinsteiger ist der heimliche Chef
Spätestens mit dem endgültigen Verzicht auf Michael Ballack, den Löw Mitte Juni endlich auch öffentlich aussprach, ist diese Diskussion beendet. Die Rolle Ballacks hatten sich im letzten Sommer noch mehrere Spieler untereinander aufgeteilt. Das ist zwar auch jetzt noch so, der heimliche Chef der Mannschaft ist aber Bastian Schweinsteiger - wobei der seine Rolle nicht mit dem üblichen Gehabe eines Anführers interpretiert.
Schweinsteiger bestimmt den Rhythmus und den Takt, er hat nach anderthalb Jahren in der Mittelfeldzentrale das richtige Gespür entwickelt für bestimmte Situationen. Es sind seine Tempowechsel, die das deutsche Spiel für den Gegner schwer zu lesen machen.
Dabei ist er auch der Mahner. Derzeit wiegt die Angriffswucht die Fehler in der Defensivbewegung in jedem Spiel auf. Aber der Champions-League-erprobte Schweinsteiger weiß sehr wohl, dass es auf absolutem Spitzenniveau damit nicht getan ist.
"Defensive ist noch wichtiger"
Am Sonntag saß er auf der Pressekonferenz und referierte über die Verfassung seiner Bayern. "Wie es jetzt läuft, ist es exzellent", sagte Schweinsteiger dann. Die Bayern spielen nicht so offensiv wie die Nationalmannschaft, nüchterner und ausbalancierter.
Das Verteidigen im Kollektiv funktioniert bei den Münchnern derzeit fast perfekt. Schweinsteiger würde sich diese Ausgewogenheit auch für die deutsche Nationalmannschaft wünschen. "Die Defensive", sagt er "ist noch wichtiger."
Denn: Bei einem Turnier, mit nur drei Spielen in der Gruppenphase und anschließendem K.o.-Modus, sind die Parameter völlig andere. Dass die Mannschaft zuletzt in neun Spielen in Folge mindestens ein Gegentor kassiert hat, mag für die Qualifikation kein Hindernis gewesen sein. Bei der Endrunde dürfte sich so aber kaum etwas gewinnen lassen.
So marschierte Deutschland durch die EM-Quali