SPOX: Herr Hrubesch, Sie waren einer der wenigen Spieler, die die Augen beim Kopfball offen lassen konnten. Wird das in Zukunft Teil des Trainings bei der U 21 sein?
Horst Hrubesch: Nein, so etwas hat man oder man hat es eben nicht. Ich habe früher ja Handball in der dritthöchsten Liga gespielt, davon kam das in meinem Fall. Außerdem wollte ich mir es nicht entgehen lassen zu sehen, wie die Bälle im Tor einschlagen. Wenn du ein Kopfballtor machst und nicht siehst, wie das Ding ins Tor fliegt, ist es ja auch nicht so schön (lacht).
SPOX: Sie sind seit Mitte Juni neuer Trainer der U 21. Wann haben Sie davon erfahren, das muss ja relativ kurzfristig gewesen sein?
Hrubesch: Das kam für mich auch von heute auf morgen. Ich habe einen Anruf von Generalsekretär Helmut Sandrock bekommen. Er hat mich darüber informiert, dass ich ausgewählt wurde. Ich habe dann ein paar Stunden überlegt und zugesagt. Ich kenne ja auch die Spieler und weiß, welch interessanter Job das ist. Es hat mich mit meinen 62 Jahren gereizt, die Olympia-Teilnahme 2016 als Top-Ziel zu verfolgen und mit dem neuen Team anzugehen.
SPOX: Ein paar Tage vor Ihrer Ernennung zum neuen Chefcoach hieß es noch, dass Rainer Adrion trotz des Ausscheidens bei der EM in Israel weitermachen wird.
Hrubesch: Das kam auch für mich ziemlich überraschend. Ich habe mir dann aber auch nicht viele Gedanken gemacht, warum das nun so kam. Ich musste mich entscheiden - und jetzt stehe ich in der Verantwortung.
SPOX: Hat es Sie gewundert, dass Team und DFB während der EM plötzlich so in die Kritik geraten sind?
Hrubesch: Im Moment des Scheiterns wird sich die Wucht der Kritik nie verändern. Die Ansprüche beim DFB sind nun einmal enorm hoch. Dazu haben wir das Ziel, Europameister zu werden, klar ausgesprochen. Wenn man dann frühzeitig und beinahe chancenlos ausscheidet, dann ist das unzureichend und dann muss auch mit saftiger Kritik gerechnet werden - und das gilt natürlich nicht nur für diesen einzelnen Fall in Israel.
SPOX: Inwiefern hat denn der Triumph bei der U-21-EM 2009 den Verband etwas zu sehr in die Richtung berauscht, dass der Fluss an Talenten künftig nicht mehr abreißen wird?
Hrubesch: Er reißt ja nicht ab. Es kommen ständig neue Spieler nach. Die Verzahnung von unten nach oben - Landesverbände, Stützpunkte, die Bundesliga-Leistungszentren - stimmt vollkommen und trägt seit langem Früchte. Ich habe nur eine Befürchtung.
SPOX: Welche?
Hrubesch: Wir müssen aufpassen, dass wir mit der Mentalität nicht hinterherhinken. Es ist wichtig, dass das, was wir schon immer besessen haben - die sogenannten deutschen Tugenden - beibehalten wird. Persönlichkeit, Mentalität, Aggressivität sind die Punkte, die dort mit reinspielen. Das dürfen wir nicht vernachlässigen.
SPOX: Sie blicken als Trainer ja auch über den Tellerrand hinaus und schauen, was in anderen Ländern passiert. Gibt es da Entwicklungen, von denen der DFB lernen kann?
Hrubesch: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Es findet zwischen den Ländern ein reger Austausch statt, beispielsweise durch Hospitationen. Man diskutiert über neue sportmedizinische Erkenntnisse oder einzelne Systematiken auf dem Spielfeld. Wir hinterfragen diese Einflüsse dahingehend, ob sie bei uns hineinpassen oder eben nicht. Es gibt da keinen Stillstand.
SPOX: Die Jahrgänge 1990 und 1991 sind nun zu alt für die U 21, Sie mussten ein Team mit vielen neuen Gesichtern aufstellen. Wie geht man als neuer Trainer bei der Kadernominierung vor?
Hrubesch: Ich sehe seit Jahren Spieler, die 14 oder 16 Jahre alt sind und verfolge deren Entwicklung in den Landesverbänden und U-Mannschaften. Daher bin ich natürlich schon mit gewissen Vorstellungen im Kopf an die Sache herangegangen. Hinzu kommt, dass die Spielererfassung heutzutage fast lückenlos ist. Und dann erinnert man sich natürlich auch an Spieler, die man früher bereits gesehen hat und nun mitnehmen möchte.
SPOX: Es heißt, es stehen jetzt rund 50 Spieler im Dunstkreis.
Hrubesch: Es gab eine Liste, die ich über drei bis vier Wochen bestimmt 20 Mal durchgearbeitet habe, da es nun ja auch diese Neuzusammenstellung geben musste. Darauf stehen 40 bis 50 Spieler, wovon ich 90 Prozent bereits gut kannte. Dazu kommen die langfristigen Themen.
SPOX: Meinen Sie damit die ungeklärten Situationen von potentiellen Spielern wie Jannik Vestergaard, John Brooks und Hakan Calhanoglu?
Hrubesch: Genau. Ich habe diese Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft einzeln abgeklopft. Bei Vestergaard kam heraus, dass er doch nur einen Pass besitzt und somit wegfällt. Calhanoglu müsste den Verband wechseln und wird sich daher in Ruhe mit seiner Familie beraten. Bei Brooks ist es so, dass er die Einladung von Jürgen Klinsmann für die A-Mannschaft der USA angenommen hat.
SPOX: Wie wichtig ist es, auf der einen Seite die aus Ihrer Sicht besten Akteure auszuwählen und andererseits im Kopf zu haben, wie diese zusammen als Gebilde auf dem Feld funktionieren?
Hrubesch: Erstes Ziel ist es, alle Positionen doppelt zu besetzen. Dazu kenne ich wie gesagt von den meisten die Charaktereigenschaften und kann daher beurteilen, inwiefern diese Spieler zu meinen Vorstellungen passen. Man tauscht sich auch mit den Vereinstrainern aus und diskutiert, auf welchen Positionen sie den jeweiligen Spieler sehen - auch, was die Hierarchie angeht. In den Vereinen werden die U-21-Spieler ja meistens noch geführt, bei mir müssen manche hingegen bereits Führungsrollen einnehmen. Ich war in den ersten Trainingseinheiten schon ein wenig überrascht, wie gut diese Rolle von den auserkorenen Spielern umgesetzt wurde.
SPOX: Allein 2013 stehen noch sechs EM-Qualifikationsspiele statt. Der Spielraum für Experimente ist also extrem eingeschränkt. Wieso ist der Spielplan eigentlich erst so dicht gedrängt mit sechs Spielen in etwas mehr als zwei Monaten und dann plötzlich so entzerrt mit einer Pause von über zehn Monaten?
Hrubesch: Es wird aufgrund der anstehenden WM nur noch diese drei Abstellungstermine im Jahr 2013 geben. Ich habe jetzt nur ein Freundschaftsspiel und muss schauen, dass sich das Team in der Qualifikation einspielt. Gegen Saisonende befinden sich die jeweiligen Wettbewerbe in der entscheidenden Phase, dazu steht wie gesagt die WM vor der Tür. Wo soll man da noch Länderspieltermine einfügen?
SPOX: Wie planen Sie denn dann, die Zeit zwischen Dezember und August zu überbrücken?
Hrubesch: Wir sind im November fertig. Im März steht dann ein Testspiel in Spanien an. Im letzten Halbjahr vor der WM werde ich sicherlich noch einmal einen Kurzlehrgang über drei, vier Tage veranstalten. Und dann steht schon die angesprochene heiße Phase der Klubwettbewerbe an. Es wird immer gejammert, dass die Spieler so sehr belastet werden. Daher finde ich den Terminkalender eigentlich gut - trotz der auf den ersten Blick recht langen Pause.
SPOX: Nach der verletzungsbedingten Absage von Kevin Volland steht mit Shawn Parker vom 1. FSV Mainz 05 nur ein Stürmer im Kader. Diese Position ist ja so etwas das Sorgenkind in der Ausbildung. Blutet Ihnen als ehemaliger Stürmer auch ein wenig das Herz, dass nicht ausreichend Spieler dieses Typus nachkommen?
Hrubesch: Es werden genügend Stürmer ausgebildet, aber es wird nicht jedes Jahr mehrere Überflieger geben. Es gibt aber Trainer, die lieber mit kleinen, wendigen und technisch versierten Spielern angreifen möchten. Das ist keine total neue Erkenntnis. Ich habe 2009 mit Ashkan Dejagah und Mesut Özil im Sturm gespielt und Sandro Wagner erst im Finale gebracht - da hat er dann gleich mal zwei Buden gemacht. Zlatan Ibrahimovic in Barcelona ist für mich ein sehr gutes Beispiel: Mit ihm hat es nicht wirklich funktioniert, mit Lionel Messi dann aber schon. Dennoch stirbt der Typ Ibrahimovic ja nicht aus, zum Glück nicht. Es hängt eben auch von der Kaderzusammensetzung und der Art und Weise, wie man spielen will, ab.
SPOX: Mit Blick auf Ihre Spielerkarriere haben Sie einmal gesagt, dass Sie das meiste aus Siegen gelernt hätten. Gilt das heute auch noch?
Hrubesch: Was soll ich daraus lernen, wenn ich nach einem verlorenen Spiel sage, dass zu wenig gelaufen wurde? Das hat man ja schon vorher gewusst. Da stellt sich für mich kein Lerneffekt ein, eine Niederlage kann jeder erklären. Wenn aber auf dem Platz von Anfang jeder für jeden einsteht, einer für den anderen arbeitet und man dann gewinnt, weiß man, was es für Siege braucht. Und sollte ich unter diesen Voraussetzungen doch einmal verlieren, muss ich nicht aus der Niederlage lernen, weil ich dann eben weiß, dass die anderen einfach besser waren, obwohl ich alles für den Sieg getan habe.
SPOX: Sie besitzen einige Pferde, dazu angeln Sie sehr gerne - was man vom Großteil Ihrer Spieler sicher nicht behaupten kann. Wie schwer ist es für Sie, mit der heutigen Generation, die ja auch 40 Jahre jünger ist als Sie, schrittzuhalten?
Hrubesch: Ich weiß, was ein iPad ist (lacht). Ich arbeite seit 1996 beim DFB mit jungen Spielern. Ich lerne ja auch von ihnen. Ich verpasse die neuesten Trends nicht, auch wenn sie mir nicht immer gefallen. Den Umgang mit dem Internet oder dem Computer habe ich über die Jahre von meinen Jungs gelernt, da brauche ich keinen Lehrer. Man muss das in gewisser Weise auch mitleben. Ich mache aber jetzt nicht auf jugendlichen Playboy.