Trilogie der Not

Von Andreas Lehner und Stefan Rommel
Das deutsche WM-Aufgebot wird am 8. Mai bekanntgegeben
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Das Mittelfeld

Das Nostandsgebiet, Teil zwei. "Wir sind noch nicht in der Lage zu sagen: Diese 23 Spieler bilden den Kader", sagt Löw. Derzeit wäre er noch nicht mal in der Lage, das vermutlich neun Spieler umfassende Mittelfeld zu benennen.

Gesetzt und fit sind derzeit Lahm, Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger für die (defensive) Zentrale. Wobei es bei zwei der drei auch Vorbehalte gibt: Soll Löw seinen Kapitän Lahm wirklich ins Herzstück der Mannschaft verschieben und damit zwangsläufig eine Baustelle in der Abwehr aufmachen? Und wie schnell findet Schweinsteiger zur absoluten Topform? Denn nur so kann er der Mannschaft auch helfen. Das haben die Erfahrungen der letzten EM mit einem nicht fitten Schweinsteiger gezeigt.

Dazu gibt es eine ganze Reihe prominenter Wackelkandidaten: Ilkay Gündogan, Sami Khedira und Sven Bender sind entweder schon lange verletzt oder fallen noch lange Zeit aus oder sogar beides. Das ehemalige Prunkstück der deutschen Mannschaft krankt. Die beiden Spieler, auf die Löw unter allen Umständen nicht verzichten wollte, sind Gündogan und Khedira.

"Wir brauchen Spieler, die hundertprozentig fit sind. Es gibt aber auch Spieler, die 80 oder 90 Prozent fit sind, und trotzdem einen Mehrwert für die Mannschaft bringen", sagt Löw über Khedira, für den er sogar eine Ausnahme machen würde, nur absolut fitte und voll belastbare Spieler mit nach Brasilien zu nehmen.

Immerhin gibt es Grund für etwas Optimismus. Khediras Genesung schreitet schneller voran als gedacht. "Ich glaube, dass er in den nächsten 15 bis 20 Tagen in Madrid wieder mit der Mannschaft arbeiten kann", sagt Real-Coach Carlo Ancelotti.

Khediras Plus im Gegensatz zu Gündogan: Der ehemalige Stuttgarter hat eine klar diagnostizierte Verletzung mit geregeltem Heilungsverlauf. Da fällt die Prognose über eine Rückkehr leichter als bei Gündogan.

"Es ist nicht leicht, darüber eine Prognose abzugeben", sagt Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc. Gündogan leidet an Rückenbeschwerden, leichtes Lauftraining ist derzeit das Äußerste, das er sich zutrauen kann. Wenige Wochen waren für eine Rückkehr veranschlagt. Mittlerweile fällt der spielstärkste deutsche Sechser schon über ein halbes Jahr aus. "Das ist eine knallharte Phase, die härteste in meiner Karriere bisher", sagt Gündogan selbst.

Ob und wann er wieder zurückkehren wird, ist momentan völlig unklar. Löw hofft inständig auf die Genesung seines Mittelfeldspielers, wobei die Hoffnung mit jeder Woche ein Stück weiter schwindet. "Ich hoffe noch auf ihn, aber ob es reicht, weiß ich jetzt noch nicht. Da bin ich ein Stück weit überfragt", sagt Löw.

Entspannter als im defensiven Zentrum ist die Lage in der Mittelfeldoffensive. Thomas Müller, Marco Reus, Lukas Podolski, Julian Draxler, Andre Schürrle und Mesut Özil sind derzeit fit und im Spielbetrieb. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Nicht jeder der Kandidaten erreicht derzeit seine Topform. Müller ist zwar leicht angeschlagen, wird aber schon sehr bald wieder mitmischen können.

Der Bayern-Spieler hat wie Reus in dieser Saison schon sehr starke Phasen gehabt und dürfte sich rechtzeitig zur WM auch wieder auf das entsprechende Level bringen. Podolski war in der Vorrunde lange verletzt und kämpft sich bei Arsenal wieder an die Stammformation heran. Schürrle sitzt beim FC Chelsea nach guten Start derzeit etwas zu oft auf der Bank.

Draxler hat in der Rückrunde noch gar nicht Fuß gefasst und zuletzt auf hohem Niveau gegen Real und die Bayern komplett enttäuscht. Der Schalker bestimmte die Schlagzeilen in den vergangenen Wochen nicht wegen seiner sportlichen Leistungen, sondern füllte anderweitig die Gazetten. Womöglich sind auch an ihn Löws mahnende Worte gerichtet, wenn der sagt: "Die Uhr tickt - und nur der, der sie hört, wird eine Chance haben. Die Zeit bis zum Turnier wird für die Spieler mindestens genauso hart wie das Turnier selbst."

Beim Bundestrainer unumstritten, aber derzeit weit von seiner besten Form entfernt, ist Özil. Die Diskussionen, wie wichtig der Spielmacher in Spielen gegen Top-Gegner sein kann, nahmen nach dem 0:2 des FC Arsenal gegen die Bayern neue Fahrt auf. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass ein Leistungseinbruch bei einem Spieler, der in einem neuen Land und einer neuen Mannschaft Fuß fassen soll, nach einigen Monaten auch völlig normal ist.

Fazit: Der eigentlich völlig überfüllte Mannschaftsteil ist erheblich ausgedünnt. Löw hat viele offene Fragen, auf die er sich in den nächsten Wochen die entsprechenden Antworten erhofft. "Auf dem Papier haben wir eine Top-Mannschaft mit Top-Qualität und Top-Individualisten. Die Realität sieht anders aus", sagt er. Und das völlig zu Recht.

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Seite 4: Der Angriff

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