SPOX: Herr Illgner, Deutschland hat Spanien im letzten Jahrzehnt immer als Vorbild auf Verbandsebene betrachtet. Treffen am Dienstag in Vigo die beiden besten Fußballnationen der Welt aufeinander?
Bodo Illgner: Beide Nationen gehören sicher zu den Top 4 im Weltfußball. Ich würde Argentinien und Brasilien noch dazu zählen, auch wenn die Brasilianer keine überragende WM gespielt haben.
SPOX: Deutschland wurde Weltmeister, Spanien schied dagegen in der Vorrunde aus. War die WM eine Wachablösung, oder nur eine Momentaufnahme?
Illgner: Bei Spanien ist einiges unglücklich zusammengekommen. Die erste Halbzeit im Auftaktspiel gegen die Niederlande war alles andere als schlecht, die war sogar richtig gut. Die Spanier haben so angefangen, wie man sie erwartet hatte. Wenn sie die Führung ausgebaut hätten, wäre das Spiel gegessen gewesen. Durch den Ausgleich ist das Spiel gekippt und nach dem Endergebnis von 1:5 war für die Spanier die WM eigentlich gelaufen. Dieses Resultat hat sie komplett aus der Bahn geworfen.
SPOX: Also waren die Spanier Opfer der unglücklichen Umstände und der schweren Gruppe?
Illgner: Viele Spieler sind nachher kritisiert worden, ihnen wurde nachgesagt, sie seien zu alt. Aber es wäre auch mit dieser Mannschaft und diesen Spielern mehr drin gewesen. Trotzdem ist Deutschland im Moment einen Tick voraus. Die Deutschen haben konsequent auf diesen Moment hingearbeitet und waren bei der WM auf ihrem Höhepunkt. Sie haben die richtige Mischung gefunden aus Talenten und Arbeitern. Deutschland ist völlig verdient Weltmeister geworden.
SPOX: Die Probleme der Spanier setzen sich auch in der EM-Qualifikation und in den Testspielen fort. Sie haben gegen die Slowakei und Frankreich verloren, auch die Siege gegen Mazedonien und Luxemburg waren eher zähe Angelegenheiten. Muss Spanien seine Spielweise modifizieren?
Illgner: Wie bei Deutschland ist nach der WM ein größerer Umbruch eingetreten. Spieler wie Xavi und Xabi Alonso haben ihren Rücktritt erklärt und das Mittelfeld war das Herzstück der Spanier. Diese Änderungen muss man erstmal verkraften. Man muss aber nicht schwarzsehen für den spanischen Fußball. Die U-Mannschaften zeigen, dass genügend Talente vorhanden sind. Koke und Isco sorgen beispielsweise bei Atletico beziehungsweise Real Madrid für Furore. Es dauert eine gewisse Zeit, bis sich ein Spielsystem findet, eine Philosophie entwickelt. Aber klar ist auch: Spaniens Philosophie braucht kleine Veränderungen, weil die Spieler einfach andere sind.
SPOX: Haben die Spanier den Zeitpunkt zum Umbruch verpasst?
Illgner: Das lässt sich hinterher leicht sagen. Gewisse Umstände wie Verletzungen ließen den Umbruch und Generationswechsel nicht früher zu. Thiago hat sich vor der Weltmeisterschaft verletzt, der Xavi hätte entlasten können. Auch Jese Rodriguez von Real Madrid stand auf dem Zettel, er war bis zu seinem Kreuzbandriss gegen Schalke in der Champions League in hervorragender Form.
SPOX: Leidet Spanien vor allem unter dem Leistungsabschwung beim FC Barcelona seit dem Abschied von Pep Guardiola?
Illgner: Diese Parallele kommt sicher nicht überraschend. Die Nationalmannschaft hat gespielt wie Barca. Xabi Alonso ist auch ein Spielertyp, der mit seinem Kombinationsverhalten ohne Probleme dort hätte mitspielen können. Aber wenn du so weit oben stehst wie Barcelona und Spanien, geht es zwangsläufig nur noch nach unten. Spanien hat zweimal die Europameisterschaft gewonnen, 2010 die Weltmeisterschaft. Gleichzeitig hat Barca im Vereinsfußball alles abgeräumt. Sobald die Spieler dann nicht ihre absolute Top-Form finden und Verletzungen auftreten, kann es zu Schwierigkeiten und schlechten Resultaten kommen, die auch in diesem Moment nicht zufriedenstellend sind.
Spanien und Deutschland in der EM-Qualifikation im Vergleich
SPOX: Spanien hat nach der WM an Trainer Vicente del Bosque festgehalten. Ist er der richtige Mann für den Umbruch?
Illgner: Absolut, daran glaube ich zu hundert Prozent. Er verfolgt weiter ganz ruhig seinen Weg, bastelt an einer neuen Mannschaft und weiß, was er verändern muss. Del Bosque ist natürlich kein radikaler Typ, er macht das sehr unaufgeregt. Aber ich glaube, das ist für Spanien genau der richtige Weg. Es wäre total absurd, alles über den Haufen zu schmeißen, was über acht bis zehn Jahre erfolgreich war. Die Entwicklung muss weitergeführt werden, Spanien braucht keine Revolution.
SPOX: Barcelonas Abschwung hat der Nationalmannschaft geschadet, der gleichzeitige Aufschwung von Real Madrid hat das aber nicht ausgleichen können. Haben die Königlichen zu wenige spanische Schlüsselspieler im Team?
Illgner: Der Stil der Nationalmannschaft war durch den hohen Anteil an Ballbesitz von Barcelona geprägt. Real Madrid war in den vergangenen Jahren hauptsächlich eine Kontermannschaft. Das Spiel war sehr auf Cristiano Ronaldo zugeschnitten. Real hat von seiner Schnelligkeit und Gefährlichkeit im Konter profitiert. Das scheint sich in dieser Saison gerade zu ändern.
SPOX: Zu den spanischen Schlüsselspielern bei den Königlichen gehört sicher noch Iker Casillas, der aber nicht mehr so souverän wirkt wie in der Vergangenheit. Hat er seinen Zenit überschritten?
Illgner: Nein, ich traue Casillas noch einige Jahre auf Top-Niveau und in der Nationalmannschaft zu. Er hatte eine schlechte Phase, die auch eine Frage des Selbstbewusstseins war. Auf einmal war er sogar bei den eigenen Fans und im Verein umstritten. Aber Casillas ist noch in einem hervorragenden Torwartalter und es hat den Anschein, als könnte er in dieser Saison an seine Form von früher anknüpfen. Dieses Jahr scheint er das Vertrauen des Trainers wieder zu haben. Del Bosque hat angekündigt, dass er de Gea langsam heranführen will. Aber auch auf der Torhüterposition braucht es keine Revolution.
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