Joachim Löw überraschte im Confed-Cup-Kader mit zahlreichen No-Names, am meisten staunten die Fans über Diego Demme. Dabei war der Leipziger einer der besten Spieler der vergangenen Bundesliga-Saison. Er hat nur einen Makel: den "falschen" Vornamen.
Um den Fußballer Diego Demme zu verstehen, ist die Sportschau nicht genug.
Während in Zusammenfassungen die Werners, Forsbergs und Keitas dieser Welt das Leipziger Spektakel der vergangenen Spielzeit verkörpern durften, huschte Demme hier und da zwar durch das Bild. Geredet wurde in der Regel aber nicht viel über den 25 Jahre alten Mittelfeldspieler. Denn um den Fußballer Demme zu verstehen, braucht es einen anderen Blick. Einen von oben, auf das Ganze.
Immerhin: Über Demme wird mittlerweile geredet. Ein bisschen. Am Mittag des 17. Mai leuchtete eine Nachricht von DFB-Co-Trainer Thomas Schneider auf dem Handy des Leipzigers auf, mit der Bitte um Rückruf. Eine Stunde später verkündete Joachim Löw Deutschlands Kader für den Confed Cup. Auf der Liste, unter "Mittelfeld/Angriff" in der vierten Zeile der Name: Diego Demme.
Viele Fragezeichen in vielen Augen vieler Deutschland-Fans folgten. Bei denen aber, die Leipzig intensiv verfolgt hatten in der abgelaufenen Saison: Ein fettes, rotes Ausrufezeichen.
Perfekte Jahre, traumhafte Zahlen
Über Bielefeld und Paderborn kam Demme im Winter 2014 zu den Bullen, damals noch in Liga drei. Kostenpunkt: 350.000 Euro. Am Ende des Jahres sollten die Leipziger in die 2. Liga aufsteigen, im Jahr darauf den Durchmarsch ins Oberhaus und gleich noch in die Champions League perfekt machen; mit dem gebürtigen Herforder als Stammkraft. "Drei perfekte Jahre, wie im Traum", sagt Demme.
Vor allem das letzte, wie die Statistiker wissen, war herausragend. 382,6 Kilometer lief Demme in der kompletten Saison - mehr als jeder andere Profi in der Bundesliga. Nach Bayern Münchens Thiago hatte er die meisten Ballaktionen (2774), nur fünf Spieler müssten öfter mit einem Foul gestoppt werden, nur fünf Feldspieler aller Bundesligisten zusammen standen in der Saison länger auf dem Platz als Demme.
Viel mit den Medien spricht Demme nicht. So gibt es aber auch wenig Diskussionsbedarf bei diesen Zahlen, bei dieser Entwicklung. "Er", sagt sein Coach Ralph Hasenhüttl, "er kann alles."
Diego Demmes Statistiken der BL-Saison 2016/17
Löw über Demme: "Ein kleiner Gennaro Gattuso"
Vor allem das, was sie in Leipzig zur höchsten Kunstform erhoben haben: Die Jagd auf Ball und Gegner. Kein Spieler im Kader der Bullen verkörpert diese Disziplin wie der 1,70 Meter große Demme, der läuft und grätscht und noch mehr läuft und kämpft und dann vor allem noch mehr läuft - und die Drecksarbeit macht für die, die dann in der Sportschau zu sehen sind. "Er hört nie auf, die manchmal auch unliebsame Arbeit zu leisten", lobt Hasenhüttl: "Mit seiner Leidenschaft und seiner Laufstärke ist er prädestiniert für unseren Spielstil."
Obwohl das wohl nicht unbedingt der Stil ist, den Papa Vincenzo für den Sohnemann im Kopf hatte, als er den Vornamen Diego zu Ehren eines der größten Ballkünstler aller Zeiten wählte: Maradona. Es ist ein anderer großer Name, der immer wieder auftaucht, wenn es um Demme geht: "Ein kleiner Gennaro Gattuso. Einer, der giftig in die Zweikämpfe geht, physisch stark ist, der die Räume gut verteidigt", sagt Bundestrainer Löw. Womit Demme wohl mehr als gut leben kann: "Ich habe es geliebt, ihm zuzuschauen", hat der mal gesagt, "er hat die Gegner in den Zweikämpfen fast aufgefressen".
Nicht Maradona und nicht Gattuso, sondern "ein Paradebeispiel für die Entwicklung", die beim oft kritisierten Liganeuling stattfinden kann, nennt ihn Sportdirektor Rangnick. In drei Jahren aus der dritten Liga zum "absoluten Stammspieler und Leistungsträger" des deutschen Vizemeisters.
Dinkel-Diego wird Nationalspieler
Und jetzt ist "Dinkel-Diego", wie sie den Veganer in der Mannschaft mit einem Augenzwinkern rufen, sogar Nationalspieler. "Ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet", gestand Demme kurz nach der Nominierung für den Confed Cup in Russland. Zuvor stehen noch das Testspiel gegen Dänemark (20.45 Uhr im LIVETICKER) und das WM-Qualifikations-Duell mit San Marino an. Knapp vier Wochen "alles aufsaugen und es einfach nur genießen", hat sich Demme für die Zeit beim DFB vorgenommen.
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"Ich fahre natürlich nicht dahin, um nur auf der Bank zu sitzen", stellte Demme bereits klar. Spätestens mit Löws Ankündigung auf der Pressekonferenz vor dem Dänemark-Spiel, dass so vielen Neulingen wie möglich Spielzeit eingeräumt werden soll, dürfte auch klar sein, dass es bis zum Debüt des 25-Jährigen nicht mehr lange dauern wird.
"Der Co-Trainer hat gesagt", berichtete Demme dann noch, "so einen Spielertypen wie mich hätten sie noch nicht in der Nationalmannschaft."
"Selbst wenn er bei jedem Tor einen Zahn verliert..."
Die Chancen stehen also gut, dass man spätestens Anfang Juli, wenn der Confed Cup vorbei ist, noch mehr reden wird über Diego Demme. Mehr sogar als bei seiner Nominierung. Und mehr als am 29. Spieltag.
Da trat Demme das erste Mal auch für die breite Masse der Fans in Erscheinung, als er sein erstes Tor im Profifußball überhaupt erzielte. Allerdings weniger ob des Treffers zum 4:0 gegen den SC Freiburg, sondern weil ihm Nicolas Höfler beim Tor unabsichtlich einen Schneidezahn aus dem Mund trat.
"Selbst wenn er bei jedem Tor einen Zahn verliert", flachste sein Coach nach dem Spiel, "hat er am Ende seiner Karriere noch sein ganzes Gebiss". Das Toreschießen also darf Demme noch üben.
Den abgebrochenen Zahn fand übrigens Mitspieler Marcel Halstenberg. "Er steht auf der Vitrine zu Hause", verriet Demme. An der Wand daneben: Das Trikot aus demselben Spiel sowie das Aufstiegstrikot.
Nach dem Sommer wird Demme Platz für noch mehr Andenken brauchen.
Diego Demme im Steckbrief