Vor nicht einmal drei Wochen sollte sich der Höhepunkt der Feierlichkeiten anlässlich von 50 Jahren Frauenfußball in Deutschland ereignen.
Das Länderspiel gegen England in Wiesbaden wurde wegen eines positiven Corona-Falls im Betreuerstab der Engländerinnen jedoch kurzfristig abgesagt. Das Risiko auf weitere Infektionen sei schlichtweg zu hoch, ließ die FA ausrichten - und sandte damit ein wichtiges Signal an andere Fußballverbände: nämlich nur dann zu spielen, wenn keinerlei Corona-Gefahr bestehe.
Die Frage, ob die FA auch so gehandelt hätte, wäre es ein Spiel der Männer gewesen, lässt sich nicht beantworten. Sehr wohl lässt sich aber die Frage beantworten, ob der Männerfußball eine Sonderstellung in unserer Gesellschaft einnimmt. Ja, das tut er. Als ultimatives Beispiel dient das, was sich zwischen Freitagabend und Samstagnachmittag in Leipzig abspielte.
Vier Spieler sowie der Teammanager der ukrainischen Nationalmannschaft wurden in der Vorbereitung auf das Nations-League-Duell mit Deutschland in Leipzig positiv getestet und niemand von der UEFA, dem DFB oder dem ukrainischen Verband hielt es für nötig, für eine Spielabsage zu plädieren.
Im Gegenteil: Der DFB als Veranstalter wollte nicht auf das Geld der TV-Anstalten (knapp zehn Millionen Euro) verzichten und intervenierte daher ebenso wenig wie die ohnehin immer profitgieriger daherkommende UEFA, die ihre pseudowichtige Nations League offensichtlich um jeden Preis zur Schau stellen möchte.
Der ukrainische Verband indes wies das örtliche Gesundheitsamt darauf hin, dass die Infizierten nicht in Kontakt mit anderen Mitgliedern des Trosses gewesen seien, woraufhin ebenjenes Amt von einer Quarantäneanordnung absah und stattdessen Schnelltests für Samstagnachmittag anordnete.
Deutschland vs. Ukraine: Ein Schlag ins Gesicht für andere Sportler
Dass alle vier positiv getesteten Spieler noch am Mittwoch im polnischen Chorzow auf dem Feld standen? Dass sie und der ebenfalls infizierte Teammanager danach gemeinsam mit ihren Kollegen in den Flieger nach Leipzig stiegen und dort angekommen im Bus zum Hotel fuhren? Egal. "Wir sind angewiesen darauf, was uns das ukrainische Team erzählt. Ein Gesundheitsamt ist keine Polizei. Wir müssen das so hinnehmen", hieß es seitens eines Sprechers des schier machtlos daherkommenden Gesundheitsamtes.
Ein paar Stunden später, gegen 16.20 Uhr, folgte dann das offizielle Kommuniqué von der UEFA: Alle 35 übrigen Mitglieder des ukrainischen Trosses seien bei den Schnelltests negativ getestet worden, daher bestehe keine Gefahr und die Partie finde planmäßig statt. Inkubationszeit? Rücksicht auf die Spieler, die auch in Zeiten von Reiseeinschränkungen quer um den Globus reisen müssen? Egal. König Fußball kann eben alles. Eine Sportart mit einer Sonderbehandlung in Zeiten, in denen insbesondere in Deutschland die Infektionszahlen steigen und deshalb strenge Kontaktbeschränkungen herrschen.
Athleten aus anderen Sportarten, die seit Monaten mehr oder weniger auf ihre Leidenschaft verzichten müssen, dürften sich gerade ebenso ins Gesicht geschlagen fühlen wie Amateur- und Breitensportler, die seit Wochen zur Untätigkeit gezwungen sind.
Deutschland - Ukraine: Absage wäre starkes Zeichen gewesen
Ja, der Profifußball bringt von allen Sportarten vergleichsweise am meisten Geld ein, und ja, der Profifußball steht ohne wichtige Einnahmen durch Zuschauer auf "tönernen Füßen", wie Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge unlängst alarmierte. Andere Sportarten - ebenso wie andere Wirtschaftszweige - aber auch.
Deshalb wäre es ein starkes und verantwortungsbewusstes Zeichen gewesen, hätten die Verbände das sportlich relativ unbedeutende Duell zwischen Deutschland und der Ukraine abgesagt. So schießen sich alle Beteiligten nun ein weiteres, imageschädigendes Eigentor.
Die Spieler sind bei dieser Farce, um es mit den Worten von Toni Kroos auszudrücken, nur die Marionetten derjenigen, die Profit über Gesundheit stellen. DFB-Direktor Oliver Bierhoff braucht sich also nicht zu wundern, wenn er eine "dunkle Wolke" über der sich im Umbruch befindenden deutschen Nationalmannschaft sieht. Dabei geht es bei aller Kritik am DFB gar nicht darum, was auf dem Platz passiert - sondern daneben.