DFB-Team: Hansi Flick und seine Wackelabwehr - ist Malick Thiaw die Lösung der Probleme?

Von Justin Kraft
flick-12001
© getty

Das DFB-Team hat unter Hansi Flick nach wie vor ein großes Defensivproblem. Malick Thiaw hat bei der 0:1-Niederlage in Polen aber bewiesen, dass er Teil der Lösung sein kann. Der 21-Jährige von der AC Mailand bietet ein Spielerprofil, das dem Bundestrainer gefallen dürfte.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Dieser Text wurde in ähnlicher Form bereits im März veröffentlicht.

Rund 13 Minuten dauerte es, da zeigte Malick Thiaw erstmals, was für ein starker Verteidiger er ist. Obwohl Jakub Blaszczykowski einige Meter Vorsprung hatte und frei auf das Tor von Marc-André ter Stegen zulief, wurde er vom 21-Jährigen noch eingeholt und abgefangen. In der zweiten Halbzeit verlor Joshua Kimmich den Ball nach einem fatalen Querpass. Thiaw war erneut zur Stelle, holte sich eine Gelbe Karte ab, die notwendig war, um einen Konter und das mögliche 0:2 zu verhindern.

Es hätte gepasst, wenn der Innenverteidiger kurz vor Schluss nach einer Standardsituation den Ausgleich erzielt hätte. Anspruchsvoll schloss er aus der Drehung ab - in Manier eines Stürmers. Im ersten Durchgang brachte er Robert Lewandowski zur Verzweiflung, im zweiten verteidigte er clever gegen Arkadiusz Milik. Thiaw übernahm sofort Verantwortung und erntete sogar ein Sonderlob eines Bundestrainers, der ansonsten eher darum kämpfte, passende Worte zu finden. "Malick Thiaw hat für mich ein richtig tolles Spiel gemacht", erklärte Hansi Flick in der ARD: "Das nehmen wir mit als positive Erkenntnis, dass er Spiele auf sehr hohem Niveau machen kann."

Auch Antonio Rüdiger lobte seinen Kollegen: "Er hat Persönlichkeit gezeigt und hat ein sehr gutes Spiel gemacht." Vor allem neben dem abermals nervösen und fehleranfälligen Thilo Kehrer wirkte der Debütant wie ein Ruhepol. Als wäre es nicht sein erstes, sondern sein hundertstes Länderspiel. Wenn es also eine positive Nachricht für das DFB-Team gibt, dann jene, dass Thiaw Teil der Lösung für die Defensivprobleme sein könnte.

Hansi Flick muss die Probleme in der Abwehr lösen.
© getty
Hansi Flick muss die Probleme in der Abwehr lösen.

DFB-Team: Die Defensivprobleme in der Analyse

Flicks Spielidee hat sicher viele Komponenten, aber eine ragt heraus: Tempo. Mit dem Ball, aber auch gegen den Ball müssen Spieler schnell schalten und umschalten. Sie müssen im Idealfall schnell auf den Beinen, aber auch im Kopf sein. Mit dem FC Bayern konnte der 58-Jährige seine Philosophie kurzzeitig nahezu perfekt umsetzen. Dort hatte er die Spieler, die dazu in der Lage sind, einen solch dynamischen und gnadenlos offensiven Fußball zu spielen, ohne in der Defensive zu viel dafür zu bezahlen.

Denn sein Fußball ist darauf ausgelegt, den Gegner unter Druck zu setzen. Mit dem Ball durch eine sehr hohe Ausrichtung, gegen den Ball mit aggressivem Gegenpressing. Wird dieses allerdings ausgehebelt, das zeigte vor allem die WM in Katar, sind die Löcher dahinter riesig - und so rollt vor allem auf die Restverteidigung einiges zu.

Niklas Süle, Nico Schlotterbeck und auch Rüdiger sind allesamt nicht langsam und haben bereits Erfahrung auf höchstem Niveau sammeln können. In der Nationalmannschaft aber war keiner von ihnen fehlerlos. Gerade Schlotterbeck agiert mitunter zu hektisch, fast schon zu emotional und reißt so immer wieder Löcher in die Kette. Ihm fällt es schwer, die Linie zu halten.

Süle und Rüdiger sollten stabiler sein, zeigten sich aber ebenso mehrfach überfordert, wenn sie in Gleich- oder Unterzahl Entscheidungen treffen mussten. Das Stellungsspiel der beiden war oft nicht gut genug, ihr Verteidigungsverhalten mitunter zu zaghaft. Flick wurde mehrfach für seine offensive Herangehensweise kritisiert, weil er beim DFB eben nicht die Spieler dafür habe. Auch die Umstellung auf eine Dreierkette funktionierte nicht. Flick wich zwischenzeitlich sogar von seinem hohen Pressing ab - ebenfalls ohne Erfolg. 20 verschiedene Abwehrreihen testete der Bundestrainer in bisher 23 Partien.

DFB-Team: Kann Malick Thiaw ein Teil der Lösung sein?

Nun kommt womöglich Thiaw ins Spiel. Denn der gebürtige Düsseldorfer bringt einige Stärken mit, die das Defensivspiel der Deutschen zumindest auf dem Papier etwas stabilisieren könnten. Seine vielleicht größte Qualität liegt in der Antizipation. Thiaw kann ein Spiel hervorragend lesen, weil er ein gutes Spielverständnis hat und gleichzeitig fast nie den Überblick verliert.

Wer ist am Ball? Welche Spieler sind in der Nähe? Welche Optionen bieten sich daraus? Diese und einige Fragen mehr müssen Innenverteidiger meist in Bruchteilen einer Sekunde beantworten, indem sie intuitiv handeln. Ist es sinnvoll, nach vorn zu verteidigen oder sollte der Angriff durch kluges Fallenlassen eher entschleunigt werden? Thiaw hat hier für sein Alter eine bemerkenswerte Konstanz in seinen Entscheidungen.

Er ist zudem ein sehr mutiger Verteidiger - ähnlich wie Schlotterbeck, nur bedachter. Für Flick dürfte aber vor allem relevant sein, dass der ehemalige Schalker trotz seiner Größe von 1,94 Meter sehr schnell ist.

In Kombination mit seiner Spielintelligenz könnte er eine große Hilfe für das DFB-Team sein. Zusätzlich könnte Thiaw in der Konterabsicherung eine gute Rolle spielen. Gegen Polen zeigte er mehrfach, dass er mit gutem Stellungsspiel Tempogegenstöße abfangen kann.

Malick Thiaw ist Stammspieler bei Milan.
© imago images
Malick Thiaw ist Stammspieler bei Milan.

DFB-Team: Wo Malick Thiaw noch zulegen muss

Bei Talenten ist die große Frage, ob sie in der Lage sind, vorhandenen Fähigkeiten auf ein höheres Niveau zu transferieren. Bei Milan gelang ihm das in dieser Saison überwiegend. Der DFB ist aber vor allem deshalb eine andere Hausnummer, weil das Team weniger eingespielt ist und das System für die Defensive nochmal fordernder ist.

Denn um die Anforderungen zu erfüllen, die einem Innenverteidiger im Flick-System gestellt werden, muss man zu den Besten gehören. Dazu zählt auch die Arbeit mit dem Ball, wo teilweise große Abstände bespielt werden müssen. Das Aufbauspiel zählte bisher nicht zu den ausgeprägten Stärken Thiaws, wenngleich er in der Vergangenheit Entwicklungspotenzial angedeutet hat.

5,9 Prozent seiner Pässe erzeugen einen Raumgewinn von knapp zehn Metern in Richtung gegnerisches Tor. Schlotterbeck (8,3 %) und Süle (7,4 %) sind deutlich progressiver im Spielaufbau, während mit Rüdiger (3,6 %) bereits ein Innenverteidiger überwiegend Sicherheitspässe spielt. Hier müsste Thiaw den größten Entwicklungssprung machen, um es dauerhaft unter Flick zu packen. Eine seiner größten Stärken ist allerdings die mutige Spielweise. In Warschau spielte er den einen oder anderen guten Pass und zeigte so, dass er sich durchaus anpassen und entwickeln kann.

Schafft er diesen letzten Schritt, hat er ein vielversprechendes Profil für die Nationalmannschaft und für das offensive System, das Flick präferiert. Eines, das Süle, Schlotterbeck und Rüdiger in dieser Form nicht anbieten - und die restlichen Kandidaten für die Innenverteidigung ohnehin nicht. "Das ist mein Ziel", antwortete Thiaw in der Mixed Zone auf die Frage, ob er bei der Heim-EM in einem Jahr in der Startelf stehen werde.

Selbstbewusstsein, Qualität und eine für sein Alter bemerkenswerte Ruhe - der 21-Jährige bringt vieles mit, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Damit ist er derzeit einer der wenigen Lichtblicke beim DFB.

Malick Thiaw: Leistungsdaten bei Milan

WettbewerbSpieleEinsatzminutenToreAssists
Serie A201360--
Champions League4275--
Artikel und Videos zum Thema