Toni Kroos als Sinnbild

Stefan RommelFatih Demireli
09. Oktober 201013:52
Toni Kroos (M., mit Podolski und Klose) machte gegen die Türkei sein 11. LänderspielGetty
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Gegen die Türkei zeigt die deutsche Mannschaft, dass sie in erster Linie vom Gerüst einer fundierten Spielidee getragen wird - und dass prominente Ausfälle ohne großen Qualitätsverlust kompensiert werden.

Ein letztes Mal trafen sich die beiden heimlichen Hauptdarsteller des Abends noch, auf dem Weg zu den Mannschaftsbussen. Toni Kroos entschwand gut gelaunt der Mixed Zone, als er plötzlich vor Nuri Sahin stand.

Sahin war wie fast alle seiner Kollegen durch eine Seitengasse den bohrenden Fragen der türkischen Journalisten entwischt. Beide klatschen sich kurz ab, wechselten ein paar Worte. Ein Sieger musste in diesem letzten Aufeinandertreffen nicht mehr gekürt werden.

Löw zündet Nebelkerze

Das erledigten die beiden Mannschaften in den 90 Minuten davor dann doch lieber auf dem Platz. Deutschland hatte da die besseren Antworten parat auf durchaus dringliche Fragen und darf nach dem ebenso glatten wie unerwartet hohen 3:0-Sieg entspannt zum letzten Pflichtspiel des Jahres nach Kasachstan reisen.

Dabei gab es vor dem Spiel doch ein paar Fragezeichen. Schleppen die Bayern-Spieler ihre Klub-Krise in die Nationalmannschaft mit ein? Trifft der Zwei-Tore-Sturm? Und: Wie wird das Team den Ausfall seines neuen Anführers Bastian Schweinsteiger verkraften?

Joachim Löw wird sich besonders der Antwort darauf schon sehr sicher gewesen sein. Am Donnerstag zündete der Bundestrainer noch eine kleine Nebelkerze. Oft macht Löw das nicht und es ist auch nicht gänzlich gesichert, wie viel von seiner überraschenden Einschätzung Ernst war und wie viel Flunkerei.

Kroos besteht Test bravourös

Toni Kroos und Christian Träsch seien die beiden Optionen als Schweinsteiger-Ersatz, sagte Löw. Und auch Thomas Müller. Dem traue er es durchaus zu, auch auf dieser Position seine Stärken auszuspielen. "Er kann von dort aus sehr torgefährlich werden", sagte Löw.

Nun ist der Torabschluss für einen defensiven Mittelfeldspieler nicht eben eine der primären Kompetenzen. Zudem entwickelt Müller in Schlagdistanz zum gegnerischen Tor und über seine rechte Seite immer noch deutlich mehr Torgefahr.

Für den Spielfluss einer Mannschaft ist die Position vor der Abwehr schon eher gedacht, von hier aus entwickeln sich Struktur und Rhythmus. Und im deutschen Kader konnte es für dieses Anforderungsprofil in dieser Partie keinen Besseren geben als Kroos.

Vor der WM hatten sich einige noch verwundert die Augen gerieben, als Kroos von Löw beim Test in Ungarn plötzlich an der Seite von Khedira getestet wurde. Gegen die Türkei bestand er aber den Test unter Wettkampfbedingungen bravourös.

"Großes Einspielen brauchen wir nicht"

Kroos darf als Sinnbild dafür gelten, wie weit die deutsche Mannschaft in ihrer Entwicklung schon ist. Das Spielsystem ist Gerüst genug, um auch den einen oder anderen prominenten Ausfall zu tragen. Wie in einem warmen Schoß muss sich Kroos gefühlt haben.

Der Bundestrainer kann auf vielen - aber noch nicht allen! - Positionen immer wieder neue Spieler ins Getümmel werfen, ohne einen großen Qualitätsverlust zu erleiden.

"Wir haben eben Leute, die zu jeder Zeit nachrücken können. Und ein großes Einspielen brauchen wir nicht. Wenn da zwei Spieler stehen, die die Qualität mitbringen, dann kann das funktionieren. Im Verein habe ich auf der Position zwar noch nie gespielt, ich bin da aber trotzdem relativ flexibel", sagte Kroos im Gespräch mit SPOX zu seinem Spiel.

Kroos gibt den Khedira, Khedira den Schweinsteiger

Für das Spiel der Mannschaft hieß es: Kroos gibt den Khedira, Khedira gibt den Schweinsteiger. "Es ist bekannt, dass ich im Mittelfeld viele Rollen spielen kann. Ich bin grundsätzlich ein offensiverer Spieler, deshalb war es klar, dass ich die offensivere Sechser-Rolle übernehmen kann."

Jene, die zuletzt immer wieder Khedira ausfüllte, mit langen Sprints bis tief in die gegnerische Hälfte, während Schweinsteiger hinten absicherte. Kroos tolle Leistung zeigt, wie weit die deutsche Mannschaft im Vergleich zu vielen anderen schon ist.

Den Türken fehlte mit Arda Turan eine ähnlich wertvolle Figur wie Schweinsteiger den Deutschen. In den ersten beiden Qualifikationsspielen hatte Trainer Guus Hiddink seine Nachwuchshoffnung Sahin noch auf der Tribüne schmoren lassen.

"Dieses Spiel kann eine Lehre für ihn sein"

Seit seinem Amtsantritt in der Türkei hat sich der Begriff "realistisch" zu Hiddinks Lieblingsfloskel entwickelt. Genau so hatte er Sahins Leistung beim 2:0-Sieg von Borussia Dortmund über die Bayern eingestuft. "Wieso haben die Bayern über eine Stunde lang diese Partie im Griff?", soll er Sahin gefragt haben. "Wieso hast du nicht früher und mehr die Initiative ergriffen?"

Diese antizyklische Sichtweise - Sahin hatte immerhin mit einem wunderbaren Freistoßtor für die Entscheidung gesorgt - kam etwas überraschend. Nach den 90 Minuten von Berlin musste sich der Niederländer aber in seiner eigenen Meinung bestätigt fühlen.

"Gegen eine der besten Mannschaften der Welt reicht es nicht, neutral zu bleiben. Das muss er lernen. Dieses Spiel kann eine Lehre für ihn sein."

Deutschland - Türkei