Drei gute Nachrichten und ein Problem

Stefan Rommel
29. Oktober 201011:17
Joachim Löw (M.) hat mit der Nationalmannschaft seit über drei Jahren kein Quali-Spiel mehr verlorenGetty
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Der Sieg gegen die Türkei zeigt: Joachim Löw kann sich auf sein Team und sein Konzept verlassen. Die Qualifikation zur EM ist auf einem guten Weg. Es bleiben aber auch Probleme.

Fast schon im Vorübergehen analysierten und kommentierten die deutschen Protagonisten das 3:0 gegen die Türkei. Ganz so, als wäre es ein Sieg in einem eher belanglosen Testspiel gegen einen mittelprächtigen Gegner gewesen.

Dabei war es ein gefühltes Auswärtsspiel gegen den wohl schärfsten Gegner in der Gruppe. Das deutsche Selbstverständnis ist aber mittlerweile so weit, dass selbst wichtige Erfolge nicht mit gefährlichem Überschwang, sondern sachlicher Nüchternheit bewertet werden und der Fokus längst schon wieder auf die nächsten Aufgaben gerichtet ist.

Der Sieg gegen die Türkei hat einige Fragen beantwortet. Aber eben auch noch nicht alle.

Deutschland bleibt konstant: Die halbe Miete auf dem Weg nach Polen und in die Ukraine ist praktisch eingefahren. Deutschland ist noch ohne Punktverlust und wird es trotz der durchaus beschwerlichen Reise nach Astana wohl auch nach der Partie in Kasachstan am Dienstag bleiben. Dazu wurden mit Belgien und der Türkei die vermeintlich schärfsten Konkurrenten bereits geschlagen. Die beiden Spiele mit Gefahrenpotenzial gegen die Türkei (in Istanbul) und Belgien (in Düsseldorf) im Oktober kommenden Jahres zum Abschluss der Qualifikation könnten bei günstigem Verlauf dann schon bedeutungslos sein.

Auch wenn davon in der Mannschaft noch niemand voreilige Schlüsse ziehen will. "Das war ein großer Schritt nach vorne, aber noch kein Meilenstein. Dafür ist die Qualifikationsrunde zu lang", sagt etwa Thomas Müller.

Derzeit sieht es aber danach aus, als würde die Mannschaft die dritte souveräne Qualifikation unter Joachim Löw in Folge spielen. Die letzte Niederlage in einem Quali-Spiel ist schon über drei Jahre her - damals setzte es für die längst qualifizierte Mannschaft in einem besseren Testspiel gegen Tschechien ein 0:3.

Deutschland hat seinen Ruf als eines der stabilsten Teams in Europa jetzt schon unterstrichen. "Es beeindruckt, wie die Mannschaft im Moment spielt", sagt Kapitän Philipp Lahm. Während sich andere Nationen wie Frankreich oder Italien im Umbruch befinden, England in der Selbstfindungsphase ist oder Portugal und Serbien große Schwierigkeiten in der Qualifikation haben, darf sich das DFB-Team neben Spanien und den Niederlanden auch nach der WM zu den momentan drei besten Teams des Kontinents zählen.

Der spezielle Teamgeist: Wieder einmal haben es einzelne Spieler geschafft, ihre Krise im Verein außen vor zu lassen und im DFB-Dress eine starke Leistung abzurufen. Philipp Lahm spielte vor allem in der zweiten Halbzeit, als sich viele Räume öffneten, eine gute Partie. Miroslav Klose ist ein Phänomen, das in den wichtigen Spielen die wichtigen Tore macht. Der Münchener wird Gerd Müller wohl ziemlich sicher als bester deutscher Torschütze aller Zeiten ablösen.

"Hier habe ich nunmal das Quäntchen Glück, das mir bei den Bayern manchmal fehlt. Da wäre der Ball sicherlich links oder rechts an mir vorbeigeflogen. Hier fällt er mir direkt auf den Helm", sagt Klose.

Ein wichtiger Grund für die Leistungssteigerung einiger Spieler ist aber auch die spezielle Stimmung, die im DFB-Tross herrscht. In den Stunden vor dem Spiel war keinerlei Verkrampfung oder Nervosität zu spüren, mit einer selbstsicheren Lockerheit geht die Mannschaft ihre Spiele an.

Die bewährte Basis: Das Fundament der deutschen Mannschaft fußt nicht auf einzelnen Akteuren, sondern auf einer Spielidee, die sich aus einer gesamtheitlich geschulten und geschlossenen Gruppe definiert. Selbst der Ausfall wichtiger Spieler wird im Kollektiv kompensiert. Dabei steht Löw ein Unterbau zur Verfügung, wie vor ihm nur sehr wenigen Bundestrainer.

Die Leistungsdichte der besten 30 Spieler des Landes ist groß. Das ist in erster Linie natürlich ein Verdienst der DFB-Maßnahmen seit dem EM-Desaster von 2000, aber auch Löws zu Unrecht kritisierter "Testwut". Der Bundestrainer wird beim letzten Länderspiel des Jahres im November gegen Schweden die beiden Mainzer Andre Schürrle und Lewis Holtby, sowie Mario Götze von Borussia Dortmund erstmals berufen. Unter Umständen dürfen sich auch Benedikt Höwedes (Schalke 04) und Marcel Schmelzer (Dortmund) Hoffnungen machen.

Die frühzeitige Sichtung unter Wettkampfbedingungen beschert Löw in naher und ferner Zukunft noch mehr Alternativen, die die wenigen Schwachstellen im Kader beheben könnten.

Die (derzeit) größte Schwachstelle: Was bleibt, sind aber die Probleme auf der linken Seite. Seitdem Lahm von links nach rechts gewechselt ist, sucht Löw noch nach der Idealbesetzung des linken Außenverteidigers. Hier gibt es selbst im Weltfußball allenfalls eine handvoll Spieler von Weltklasseformat, die deutschen Varianten erscheinen immer noch mehr als Verlegenheitslösungen denn als verlässliche Institutionen.

Heiko Westermann konnte seine Chance definitiv nicht nutzen. Auch Jerome Boateng oder Holger Badstuber sind eher aushilfsweise auf der linken Seite zu Hause. Ihr Spezialgebiet ist die Innenverteidigung.

Andere Alternativen sind rar gesät, Dortmunds Schmelzer ist einer der ganz seltenen gelernten Außenverteidiger und Linksfüßer auf dieser Position - auch deshalb wird der U-21-Europameister in naher Zukunft wohl seine Chance bekommen.

Beginnend mit der ungeklärten Frage nach einem geeigneten Linksverteidiger führt sich die Malaise fort zu Lukas Podolski. Der Kölner braucht für sein (Offensiv-)Spiel eine verlässliche Größe im Rücken und vor allen Dingen auch Konstanz. Allein in den letzten zehn Partien versuchten sich drei verschiedene Verteidiger hinter Podolski.

Von einem eingespielten Tandem kann deshalb nicht die Rede sein, die linke deutsche Seite fällt im Vergleich zur rechten mit Lahm und Müller, die sich aus dem Verein in selber Konstellation bestens kennen, um Längen ab. Hier hat Löw noch einiges an Arbeit vor sich: Es geht um mehr als nur Feinjustierung. Hier geht es um grundlegende Entscheidungen.

Deutschland - Türkei