Das FIFA-Leibchen wirbelte wild um Emre Cans Körper, der Kapitän war wütend wie selten zuvor. Can hatte sich vor Omar Ponce aufgebaut und fuchtelte aufgeregt mit den Armen.
Neben dem Münchener bedrängten auch Marvin Duksch und Mitchell Weiser den Mann aus Ecuador. Erst ein deutscher Teambetreuer beendete die kleine Inquisition und bewahrte die Jungs womöglich vor einer Dummheit.
Ein echtes Fußball-Fest
Ponce hatte soeben das Halbfinale der U-17-Weltmeisterschaft abgepfiffen. Viel zu früh, wie die deutschen Spieler befanden. Womit sie auch Recht hatten, schließlich wurden von den angezeigten fünf Minuten Nachspielzeit effektiv keine zwei Minuten gespielt.
Der Rest zerstob in fingierten Verletzungen der Mexikaner und der traditionellen Trödelei bei Standardsituationen. Es ist ein bisschen das Wesen von Jugendmannschaften, dass sie in der Minute einer schmerzhaften Niederlage nicht gerecht und rational, sondern eher emotional und aufbrausend reagieren - wie ein Teil der deutschen Mannschaft nach diesem 2:3 von Torreon gegen Gastgeber Mexiko.
30.000 Zuschauer waren gekommen in der Hoffnung auf ein "Fußball-Fest", wie es Steffen Freund im Vorfeld nannte. Und keiner von ihnen wurde enttäuscht. Deutschland und Mexiko zeigten das anspruchsvollste und aufregendste Spiel des bisherigen Turniers.
Can wie der junge Ballack
Mit einem unglaublichen Tempo begegneten sich beide Mannschaften trotz Temperaturen an die 40 Grad im Glutofen im Nuevo Estadio Corona. Mexiko brachte eine ungeheure Offensivstärke auf den Rasen, attackierte vor allen Dingen in der zweiten Halbzeit ohne Unterlass, Deutschland hielt lange Zeit mit einer guten Ordnung und blitzschnellen Kontern dagegen.
Nachdem Samed Yesil die frühe mexikanische Führung durch Gomez ausgeglichen hatte, schnupperte Deutschland in der erste Halbzeit schon einige Male an der Führung, die dann Can nach einer Stunde mitten in die Drangphase von El Tri besorgte.
Mit einem Tor, das man selbst im Profibereich nicht häufig sieht. Can spielte seine körperliche Überlegenheit in einem Solo aus, das ihn tief aus dem Mittelfeld bis in den gegnerischen Strafraum führte, vorbei an drei Gegenspielern und mit dem Bewegungsablauf des jungen Michael Ballack.
Deutschland am Schluss zu defensiv
Wie teuer erkauft dieses Tor jedoch war, wurde eine Viertelstunde später ersichtlicht. Can war völlig platt und angeschlagen, also musste ihn Trainer Freund vom Feld nehmen. Es war der Knackpunkt für den restlichen Verlauf der Partie.
"Nach der 2:1-Führung musste ich meinen Kapitän Emre Can verletzt rausnehmen. Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns", erklärte Freund seine offenbar erzwungene Maßnahme.
Die Deutschen hatten ihren Anführer verloren und damit auch die physische Präsenz im Mittelfeld, Mexiko wechselte dreimal in kurzer Zeit - und brachte mit allen drei Spielern so viel frischen Wind, dass das umgestellte deutsche Mittelfeld von da an viel zu tief stehen und dem mexikanischen Powerplay hinterher rennen musste.
Kleinigkeiten und das Quäntchen Glück
Dass die Partie dann aber durch zwei sehr spezielle Treffer der immer wuchtiger werdenden Mexikaner entschieden werden sollte, einer davon in der 90. Minute erzielt, machte die Niederlage nur schwer erträglich.
"In der zweiten Halbzeit gab es eben diese Momente im Spitzenfußball, in denen Kleinigkeiten und das Quäntchen Glück über das Spiel entscheiden", formulierte es Freund mit der Erfahrung von 40 Lebensjahren und über 300 Profispielen.
Die Spieler hatten die erwarteten 100.000 Zuschauer im Aztekenstadion, am Sonntag Ort der beiden Finals, quasi schon vor Augen. Und den dazugehörigen Gegner Uruguay, das sich überraschend deutlich gegen Brasilien durchgesetzt hatte.
Dann schlug Mexiko aber mit aller Überzeugung zurück und entriss der deutschen Auswahl doch noch den ganz großen Traum
"Wir sind alle sehr enttäuscht. Die Spieler waren in der Kabine traurig und emotional", fasste Freund die Minuten nach dem Spiel zusammen. Ohne näher darauf einzugehen, wie seine Jungs mit dieser enormen Enttäuschung umgegangen waren.
Gegen Brasilien, im Aztekenstadion
Aber selbst in der bitteren Stunde der Niederlage bleiben der deutschen Mannschaft einige Trostpreise, die auf mittel- und langfristige Sicht mindestens genau so wertvoll sind wie der mögliche WM-Titel.
Zunächst darf die Mannschaft ja auch im Aztekenstadion spielen, gegen Brasilien immerhin und sich für ein tolles Turnier mit dem dritten Platz belohnen. "Meine Aufgabe ist es jetzt, die Mannschaft wieder aufzurichten und aufzubauen", sagte der Trainer mit Blick nach vorne.
Tolle Generation
Vor allen Dingen bleibt aber die Gewissheit, dass es in dieser Altersstufe nur sehr wenige Mannschaften gibt, die wirklich besser sind als Deutschland.
"Meine Mannschaft hätte die Qualität gehabt, den Gastgeber zu schlagen und den WM-Titel zu holen", sagt Freund.
Der DFB hat im U-17-Bereich eine tolle Generation beisammen, der die Zukunft offen steht. Das WM-Turnier ist wie ein Versprechen für die Zukunft. Selbst ein Halbfinal-Aus gegen Mexiko kann daran nichts ändern.