SPOX: Kann es den "alten" Kagawa überhaupt noch einmal geben?
Kagawa: Es gibt keinen "alten" Kagawa, es gibt aber auch keinen "neuen" Kagawa. Wenn man schon einmal besser gespielt hat, hofft man natürlich, diese Form wieder zu erreichen. Ich will selbstverständlich nicht nur deshalb in Erinnerung bleiben, weil ich mal zwei gute Jahre in Dortmund gespielt habe. Ob ich aber noch einmal so spielen kann wie zu meiner ersten Zeit, ist nicht entscheidend.
SPOX: Was ist für Sie entscheidend?
Kagawa: Unter Thomas Tuchel muss ich in der Lage sein, auf mehreren Offensivpositionen spielen zu können und dort jeweils gute Leistungen zu zeigen. Das ist durchaus etwas Neues für mich. Das 4-3-3 kommt immer mehr in Mode, den klassischen Spielmacher gibt es da nicht mehr. Diese neue Rolle ist ziemlich anspruchsvoll, was die Arbeit in der Offensive und Defensive angeht. Sie reizt mich aber sehr und füllt mich derzeit gut aus.
SPOX: Bei Manchester United waren Sie nicht so ausgefüllt, im zweiten Jahr unter David Moyes saßen Sie sogar längere Zeit auf der Bank. Was haben Sie aus der Zeit in England mitgenommen?
Kagawa: Vor allem, was es benötigt, um auf absolutem Top-Niveau und unter unglaublichem Druck zu Recht zu kommen.
SPOX: Das wäre?
Kagawa: Es braucht herausragende individuelle Fähigkeiten sowie den Glauben an sich und sein Talent, um auf dem Feld Höchstleistungen zeigen und die entsprechenden Ergebnisse einfahren zu können. Wenn es dir nicht gelingt, diese Mentalität zu zeigen und zu leben, landest du auf der Bank oder musst gleich den Verein verlassen. Das ist sehr hart, aber es wird einem auch schnell klar. Um mit den großen Spielern eines Klubs wie Manchester United mithalten zu können, müssen Spieler wie ich, die klein und körperlich unterlegen sind, besonders viel trainieren und eine große Entschlossenheit an den Tag legen - und zwar jeden Tag, um Schritt für Schritt nach vorne zu kommen. Das ist die einzige Möglichkeit.
SPOX: Welche Erinnerungen haben Sie an Sir Alex Ferguson? Ihr erstes Jahr bei den Red Devils war ja sein letztes.
Kagawa: Die Trainingseinheiten überließ er üblicherweise seinem Trainerteam. Er war vor allem am Tag vor einem Spiel oder am Spieltag selbst sehr präsent. Ich erinnere mich noch, wie wir alle ziemlich lange gebraucht haben, um sein Englisch zu verstehen. (lacht) Dass ich in seiner letzten Saison unter ihm spielen durfte, war für mich eine fantastische Erfahrung. Er hat sehr viele Titel gewonnen und ist einfach ein legendärer Coach.
SPOX: Der auch mal sehr laut werden konnte, oder?
Kagawa: Absolut. Mich hat er auch einmal in der Halbzeit eines Spiels zusammengefaltet. Ansonsten bin ich aber verschont geblieben. Vielleicht hat er mich ja übersehen. (lacht) Obwohl ich davon schon vor meinem Wechsel gehört habe, war ich wirklich erstaunt - so laut habe ich einen Trainer noch nie schreien gehört. Er war wirklich wie ein Fön: er stand mit hochrotem Gesicht vor allem vor den Schlüsselspielern und schrie sie lauthals an.
SPOX: Ohne Widerworte?
Kagawa: Ohne Widerworte. Dass er verdiente Spieler wie Wayne Rooney, Ryan Giggs, Paul Scholes oder Rio Ferdinand derart angehen konnte belegt, welche Präsenz er als Persönlichkeit ausstrahlte. Diese Jungs haben das über sich ergehen lassen und nie etwas gesagt, weil sie so viel Respekt vor ihm hatten. Seine Aura und Antriebskraft sind wirklich großartig. Ich glaube, dass er es deshalb auch über so viele Jahre hinweg schaffte, solche Top-Spieler zu trainieren.
SPOX: Unter dem Strich ist Ihr Stern bei United etwas gesunken und Sie haben dem Verein nach zwei Jahren wieder den Rücken gekehrt. Bereuen Sie im Nachhinein Ihren Wechsel?
Kagawa: Nein, überhaupt nicht. Es war richtig und gut, zu United zu gehen. Es gab dort viele Erfahrungen, die man bei anderen Vereinen nicht machen würde. Ich spürte deutlich, welch großer Klub das ist und welch riesige Aufmerksamkeit er weltweit genießt. Wenn man dort gute Leistungen zeigt, wird das überall sofort wahrgenommen. Es hat mich als Spieler und Persönlichkeit weitergebracht, dort unter Vertrag gestanden zu sein.
SPOX: Stimmt es eigentlich, dass Jürgen Klopp und Sie sich umarmt und mehrere Minuten lang geweint haben, als damals Ihr Abgang aus Dortmund feststand?
Kagawa: Ja. Ich habe mich mit ihm getroffen, als der Wechsel so gut wie abgeschlossen war. Ich wollte mich einfach bei ihm für die zwei tollen Jahre bedanken. Nur zwei Jahre, nachdem ich die zweite japanische Liga verlassen habe, konnte ich dank seiner Hilfe zu dem Verein wechseln, den ich schon als kleines Kind bewunderte. Er freute sich für mich und meine neue Herausforderung. Ich musste an all dies denken, als wir uns umarmten. Dann schossen mir die Tränen automatisch in die Augen, auch wenn mir das zunächst etwas peinlich war.
SPOX: Welche Eigenschaften von Klopp kamen Ihnen besonders entgegen?
Kagawa: Er lebt pausenlos seine Emotionen. Das sieht man nicht nur an seinem Torjubel, sondern auch daran, wie er eine Mannschaft motiviert, wie er mit ihr kommuniziert und wie er jeden einzelnen Spieler auf seine Weise liebt. Er vertraute mir und ließ mich spielen, obwohl ich aus der unbekannten zweiten japanischen Liga kam. Das werde ich ihm nie vergessen. Die Beziehung zwischen uns wurde durch die vielen Erfolge und emotionalen Erlebnisse immer enger...
SPOX: ...und waren der Grund, weshalb Sie dann wieder zurück nach Dortmund gingen?
Kagawa: Natürlich, er war der Hauptgrund. Die Aussicht, wieder unter ihm zu trainieren und spielen war ausschlaggebend. Wobei ich auch sagen muss, dass die anderen Verantwortlichen beim BVB in den Gesprächen sehr enthusiastisch waren und es mir deshalb letztlich leicht fiel, mich zu entscheiden.
SPOX: Haben Sie sich schon ein Spiel des FC Liverpool unter Klopp angeschaut?
Kagawa: Ja. Es interessiert mich sehr, wie schnell und wie vielfältig er den Klub dort umpolen wird. Die Spielweise hat sich ja bereits jetzt drastisch verändert. Ich bin gespannt, wie sie sich noch die restliche Saison über schlagen werden. Es läuft jetzt schon ziemlich gut und beweist, welch fantastischer Trainer Jürgen Klopp ist. Ich hoffe, es geht für ihn so weiter.
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