Marco Reus sagte es irgendwie nur beiläufig dahin, doch es steckte viel Wahrheit in der Aussage, die er auf der Pressekonferenz am Tag vor dem DFB-Pokalfinale tätigte: "In der Mannschaft hat man oft das Gefühl: Wenn wir wirklich müssen, dann liefern wir auch", sagte der Kapitän von Borussia Dortmund. "Dann muss ich sofort etwas ergänzen", antwortete Trainer Edin Terzic: "Dann müssen wir morgen, Marco. Damit du das schon mal gehört hast."
Die Rätselhaftigkeit der eigenen Mannschaft aufgrund der Wankelmütigkeit der eigenen Leistungen - ein Phänomen, das es in Dortmund seit längerer Zeit zu bestaunen gibt. Seit längst viel zu langer Zeit, um genau zu sein.
Nachdem der BVB vor rund sechs Wochen zu Hause gegen Eintracht Frankfurt verlor und die Champions-League-Qualifikation bei sieben Punkten Rückstand außer Reichweite geriet, hat man bis auf die Duelle mit Manchester City in der Königsklasse jedes Spiel gewonnen und auch gegen die Citizens zwei sehr vorzeigbare Leistungen abgerufen.
Mittlerweile stehen dadurch der verdiente Sieg im DFB-Pokal und ein Ein-Punkte-Vorsprung im CL-Rennen in der Bundesliga zu Buche. Das ist am Ende einer intensiven und von vielen Widrigkeiten gepflasterten Saison durchaus erstaunlich. Doch genau diese Leistungen zuletzt müssen der Maßstab für einen Verein wie den BVB sein.
BVB muss seine Werte konstanter abrufen
Dortmund zeigte im Endspurt der Spielzeit zuletzt die Haltung und Gier, die es regelmäßig benötigt, um das beinahe überbordende Talent dieser Mannschaft stringent auf den Platz zu bekommen. Und zwar nicht nur dann, wenn sie im Sinne von Reus muss, sondern auch dann, wenn weniger Druck auf dem Kessel ist oder keine Highlight-Spiele wie in der Champions League oder am Donnerstagabend in Berlin anstehen.
Körpersprache, Kampfgeist, Konzentration, Wille, Zielstrebigkeit - diese fußballerischen wie mentalen Werte haben unter Terzic zuletzt gestimmt, seitdem hat die Borussia keinen Punkt mehr abgegeben. Sie dürfen aber nicht nur irgendwie lose im Selbstverständnis des selbsternannten zweiten Leuchtturms in Fußball-Deutschland, dessen Mannschaft auch die zweitteuerste des Landes ist, verankert sein, sondern müssen viel konstanter abgerufen werden als nur für ein paar Wochen.
Denn es sind genau Faktoren wie diese, die den Ausschlag dafür geben, Titel zu gewinnen oder näher an Branchenführer Bayern München heranzurücken. Der gereifte Jadon Sancho, Doppeltorschütze im Endspiel, drückte es passend aus: "Unseren letzten Titel haben wir vor vier Jahren gewonnen. Wir sind ein großer Verein und sollten Saison für Saison Trophäen gewinnen."
BVB-Maßstab muss auch unter Marco Rose gelten
Das wird auch in der neuen Konstellation unter Marco Rose gelten, denn der Maßstab für die Leistungen des BVB ist personenunabhängig. Rose übernimmt dank des womöglich sehr erfolgreichen Schlussspurts eine Herkulesaufgabe, die ihm als Trainer zwar zuzutrauen ist. Doch es haben vor ihm schon viele Trainerkollegen nicht dauerhaft hingekriegt, das Potential der Mannschaft so zu wecken, dass sie nicht mehr vor allem an sich selbst scheitert.
Wie Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zu Recht anmerkte, wird schon in der unmittelbaren Gegenwart die "größte Leistung" vonnöten sein, das bereits am Sonntag anstehende Bundesligaspiel beim wiedererstarkten 1. FSV Mainz 05 zu gewinnen.
Der Sieg im Pokalfinale war emotional sicherlich enorm wichtig für viele geschundene BVB-Seelen, doch er war nur die Kür. Die Pflicht für die Mannschaft wird es sein, auch die beiden abschließenden Ligapartien so zu bestreiten, dass am Ende die wirtschaftlich essentielle Qualifikation zur Champions League steht.